Die Aufständischen in Syrien sind Richtung Süden vorgerückt und haben etliche Orte unter ihre Kontrolle gebracht. Das Regime von Bashar al-Asad ist geschwächt.
Die islamistischen Rebellen um die Hayat Tahrir al-Scham (HTS) in Syrien haben über das Wochenende weitere Gebiete erobert. Aktuell kontrollieren sie einen Grossteil der Provinz Aleppo. Die Stadt ist gefallen. Die syrische Armee gab am Samstag offiziell ihren Rückzug aus Aleppo bekannt.
In der Provinz Hama, ebenfalls im Westen des Landes, eröffneten die Rebellen eine zweite Front. Am Samstagabend eroberten sie nach Angaben von Aktivisten mindestens elf Orte in dem Gebiet. Damit kontrollieren die Aufständischen einen Korridor, der von ihrer Hochburg Idlib aus bis an die Stadt Hama weiter südlich heranreicht.
In Hama konnten die Truppen von Präsident Bashar al-Asad den Vormarsch der Rebellen vorerst stoppen. Dennoch setzt das enorm rasche Vorrücken und die Gebietsgewinne der Rebellen das Regime um Asad sowie seine Verbündeten – Russland, Iran und den libanesischen Hizbullah – unter Druck. Gerüchte über einen möglichen Militärputsch in Damaskus haben sich bis jetzt aber nicht bestätigt.
Zwei weitere Akteure stiegen in die Kämpfe ein: Die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (SNA) und das kurdisch-arabische Milizenbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Beide sind im Norden der Provinz Aleppo präsent und greifen Gebiete unter Regime-Kontrolle an. Während die SNA, die von der Türkei unterstützt wird, mit den Jihadisten um HTS zu kooperieren scheint, steht sie der kurdisch dominierten SDF feindlich gegenüber. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kam es zu Kämpfen zwischen der SNA und der SDF.
Syrische Armee will Gebiete zurückerobern
Die syrische Armee kündigte ihrerseits am Samstag an, einen Gegenangriff zu starten, um alle Gebiete zurückzuerobern. Dabei wird sie von Russland unterstützt. Vladimir Putin eilte Asad bereits 2015 zu Hilfe, als dieser kurz vor dem Sturz stand. Seither ist Russland militärisch in Syrien präsent. Aktuell fliegt die russische Luftwaffe Angriffe gegen das Kernland der Rebellen in Idlib und gegen die neu eroberten Gebiete. Zum ersten Mal seit 2016 bombardierte sie dabei wieder die Stadt Aleppo. Damals mussten die Rebellen die Stadt nach langen und heftigen Gefechten verlassen.
Laut Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei den Kämpfen der letzten fünf Tage 372 Menschen getötet. Darunter 210 Rebellen, 114 Soldaten der Regierungstruppen sowie 48 Zivilisten, davon die Mehrheit durch russische Bombardements.
Überraschende Offensive der Islamisten
Der jüngste Aufstand gegen Asad wird von der jihadistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angeführt. Sie wird von den USA als Terrororganisation eingestuft und beherrscht grosse Teile Nordwest-Syriens, der einzigen Rebellenhochburg, die in den vergangenen Jahren nicht von Regierungseinheiten zurückerobert wurde. Die Islamisten begannen die anhaltende Offensive gegen Asad am Mittwoch – zur Überraschung des syrischen Regimes und vieler Beobachter.
Der Zeitpunkt der Offensive war offenbar kein Zufall: Die Führung in Damaskus gilt nach bald vierzehn Jahren Bürgerkrieg als extrem geschwächt. Und die Verbündeten Asads haben ihre eigenen Probleme: Russland, der wichtigste Verbündete Asads, hat seit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine die Truppenpräsenz in Syrien verringert. Der libanesische Hizbullah, der seit 2013 in Syrien für das Asad-Regime kämpft, ist, nach einem Jahr Krieg gegen Israel, entschieden geschwächt. Und auch Iran hat im Konflikt mit Israel jüngst schwere Schläge gegen seine militärischen Einrichtungen einstecken müssen.
Keiner der drei Verbündeten scheint willens oder in der Lage, das syrische Regime stärker zu unterstützen.
Unterstützung aus dem Ausland?
Unklar ist weiterhin, ob die Aufständischen Hilfe aus dem Ausland erhalten. Die USA verneinen jegliche Verbindung zur Offensive oder der HTS. Dafür gilt die Türkei als möglicher Unterstützer. Ankara hat zwei Motive in Syrien einzugreifen: Die Schwächung Asads und die Bekämpfung kurdischer Milizen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wollte jüngst viele der mehr als drei Millionen syrischen Flüchtlinge zurück in ihre Heimat schicken. Asad entgegnete, dass die Türkei zunächst aus Nordsyrien abziehen solle und erteilte Erdogan damit eine Abfuhr. Gleichzeitig kämpft die Türkei seit Jahren in Syrien gegen kurdische Milizen, wobei sie oft auf die von ihr unterstützte SNA setzt – allem Anschein nach auch jetzt.
In den vergangenen Jahren war der syrische Bürgerkrieg in vielen Gebieten abgeflaut. Asad hatte bis zuletzt etwa zwei Drittel des Staatsgebiets unter seiner Kontrolle. Doch weite Teile des Landes sind völlig zerstört, die Bevölkerung ist verarmt, Korruption weit verbreitet. Westliche Staaten lehnen es ab, beim Wiederaufbau Syriens zu helfen, solange Asad an der Macht ist. Russland und Iran wollen oder können nicht dabei helfen, unterstützen das Regime bislang aber militärisch.







