Fast hätten chinesische Besitzer das letzte britische Stahlwerk in den Ruin geführt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf Pekings Investitionen in wichtigen Wirtschaftssektoren – und stürzt die Labour-Regierung ins Dilemma.
Wenn es um China geht, nimmt Ian Duncan-Smith kein Blatt vor den Mund. Es erstaunte daher nicht, dass der Unterhausabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Konservativen Partei nach der notfallmässigen Rettung des letzten britischen Stahlwerks in Scunthorpe im Norden Englands schwere Vorwürfe gegen das chinesische Industriekonglomerat Jingye erhob.
Die mit der Kommunistischen Partei Chinas verbundene Firma habe British Steel nie langfristig betreiben wollen, sondern 2019 mit Blick auf die chinesischen Überkapazitäten in der Stahlproduktion erworben, erklärte er. «Was sie von Anfang an wollten, ist chinesischen Stahl mit einem britischen Label versehen und es in Märkten verkaufen, zu denen sie sonst keinen Zugang haben.»
Konkret hatte die Firma jüngst alle Bestellungen von Rohstoffen annulliert. Dies nährte den Vorwurf, Jingye habe die Produktion von direkt aus Eisenerz gewonnenem Primärstahl einstellen wollen, mit dem Ziel, in Scunthorpe stattdessen chinesischen Stahl zu rezyklieren.
Heikle Beteiligungen im Energiesektor
Chinas Botschaft in London spricht von einer «absurden antichinesischen Rhetorik». Tatsächlich fehlen für den Sabotage-Vorwurf stichfeste Beweise. Doch hat auch die Labour-Regierung die Firma scharf kritisiert und erklärt, das Management sei nicht an einer Rettung der Produktion interessiert gewesen. Dank einem Notgesetz übernahm die Regierung die operative Kontrolle über das Stahlwerk, das bald auch formell in staatlichen Besitz übergeführt werden dürfte.
Die Rettungsaktion, dank der sich Grossbritannien auch aus strategischen Gründen eine letzte Produktionsstätte von Primärstahl erhält, hat im Land eine Debatte über den chinesischen Einfluss auf kritische Infrastruktur ausgelöst. Emily Thornberry, die Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im Unterhaus, erklärte, die Geheimdienste müssten chinesische Investitionen in den Energie-, Telekom- und Transportsektor dringend einer Risikoprüfung unterziehen.
Direkt verfügt der chinesische Staat laut der «Sunday Times» in Grossbritannien über Investitionen im Umfang von 45 Milliarden Pfund (48 Milliarden Franken), wobei die gesamten Guthaben im Besitz von Investoren aus China und Hongkong dreimal so hoch sind. Damit kommt China bei weitem nicht an die USA heran. Doch ist das Vereinigte Königreich nach den USA und Australien der drittgrösste Empfänger von Investitionen aus China.
Viel Geld fliesst in kritische Infrastrukturen. So ist die staatliche China Investment Company an der Gasversorgung, der Wasserversorgung, in Transportunternehmen, Energiefirmen oder am Flughafen Heathrow beteiligt. In manchen britischen Gegenden sind die Strom- oder Wasserversorgung sogar ganz unter chinesischer Kontrolle.
Dazu kommen Investitionen in Batterien und erneuerbare Energien, wobei Grossbritannien fast die gesamte Technologie für die Gewinnung von Solarenergie aus China importiert. Ein Risiko geht laut Experten selbst von Konsumgütern aus, die Daten transferieren und damit theoretisch aus Distanz kontrollierbar sind. So verbannte das Verteidigungsministerium jüngst Elektroautos aus chinesischer Produktion von allen Militäranlagen – aus Angst, die Fahrzeuge könnten zur Spionage missbraucht werden.
Grossbritannien habe bisher gegenüber chinesischen Infrastruktur-Investitionen eine erstaunliche Naivität an den Tag gelegt, erklärt Luke de Pulford in den sozialen Netzwerken. Er ist Direktor der Inter-Parliamentary Alliance on China, einem Verbund von Parlamentsabgeordneten aus demokratischen Ländern. «Die Kommunistische Partei Chinas strebt Marktdominanz an. Teil dieser Strategie ist die Unterwanderung der Infrastruktur anderer Länder, die mit China im Wettbewerb stehen.»
Labour lockte Chinas Investitionen an
2015 hatte der damalige konservative Premierminister David Cameron ein Goldenes Zeitalter zwischen Grossbritannien und China ausgerufen, unter Boris Johnson folgte fünf Jahre später die Kehrtwende. Die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong und der Aukus-Militärpakt mit den USA und Australien belasteten die Beziehungen. Für Kritik sorgten in London auch Versuche, das Parlament in Westminster zu unterwandern, sowie ein chinesischer Spion, der sich ins engste Umfeld von König Charles’ Bruder Andrew eingeschlichen hatte.
Die Labour-Regierung von Keir Starmer leitete ein neuerliches Tauwetter ein. Im März unterzeichnete Energieminister Ed Miliband in Peking einen Kooperationsvertrag in Bereichen wie Energiespeicherung und Windkraft. Angesichts maroder Staatsfinanzen, veralteter Infrastruktur, Nullwachstum und ambitionierter Klimaziele wirken das Geld und die Technologie aus China für Labour verlockend.
Nun inszeniert sich Starmer als Retter der heimischen Stahlproduktion, und die Regierung prüft verschärfte Meldepflichten für gewisse chinesische Investoren. Doch eine konsequente Abkoppelung von China scheint aus finanziellen Gründen unrealistisch. Starmer vollzieht derzeit einen geopolitischen Balanceakt zwischen Washington und Brüssel – und hofft, auch mit Peking im Geschäft zu bleiben.