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In Europa serbelt die katholische Kirche, im Süden floriert sie. Möglich, dass der nächste Papst aus Afrika oder Asien kommt. Doch viele fürchten, dass ein solcher Papst etwa bei der Homosexualität eine radikal konservative Haltung einnehmen würde.
266 Päpste hat es laut der offiziellen Zählung des Vatikans bisher gegeben. Fast alle von ihnen waren Europäer – mehr als 200 kamen aus Italien, dazu gab es Franzosen, Deutsche, Spanier, einen Polen. Zuletzt, mit Papst Franziskus, einen ersten Lateinamerikaner.
Könnte der nächste Papst nun ein Afrikaner sein? Oder könnte er aus Asien kommen, der bevölkerungsreichsten Weltregion? Während die Zahl der Katholiken in Europa sinkt, nimmt sie in Asien und Afrika zu. In Afrika wuchs die katholische Kirche 2022 um mehr als sieben Millionen Mitglieder – das war über die Hälfte des globalen Zuwachses. 2050 könnte ein Drittel aller Katholiken in Afrika leben.
In Asien stechen die Philippinen hervor. 80 Prozent der 115 Millionen Filipinos gehören dem katholischen Glauben an. Volksfrömmigkeit prägt das öffentliche Leben. Vor Ostern lassen sich Strenggläubige ans Kreuz nageln und nehmen schwere Verletzungen in Kauf. Andere peitschen sich an Prozessionen blutig. Millionen von öffentlichen Verkehrsmitteln sind mit dem Angesicht von Jesus bemalt. In Osttimor sind sogar über 95 Prozent der Bevölkerung Katholiken. In den anderen asiatischen Ländern bilden die Katholiken eine kleine, aber mitunter einflussreiche Minderheit.
Nach dem Tod von Franziskus sei endlich ein asiatischer oder afrikanischer Papst an der Reihe, finden viele Gläubige in Asien und Afrika.
Im Stadtzentrum von Nairobi zum Beispiel, Kenyas Hauptstadt, werden in diesen Tagen Zeitungen verkauft mit Schlagzeilen wie: «Zeit für Afrika». Darunter Bilder des Petersplatzes und der Mitra, der Kopfbedeckung des Papstes.
Neben dem Eingang zur Kathedrale, wo französische Missionare Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals eine Kirche errichtet hatten, winkt die Kartonfigur eines lächelnden Papstes Franziskus. Daneben tragen sich Gläubige in ein Kondolenzbuch für den verstorbenen Pontifex ein. Eine Schlange hat sich gebildet, in Kenya leben zehn Millionen Katholiken. Franziskus hat Kenya 2015 besucht, er wird hier verehrt.
Lucia Muthoni, eine 50-jährige Verkäuferin von Kreuzen und Rosenkränzen, hat sich gerade ins Kondolenzbuch eingetragen. Was würde ein afrikanischer Papst für sie bedeuten? Sie strahlt: «Das würde zeigen, wie stark die Kirche in Afrika gewachsen ist. Es waren Weisse, die den Glauben hierhergebracht haben. Aber ein afrikanischer Papst würde bedeuten, dass wir Afrikaner wichtig geworden sind und den Glauben nun unsererseits nach draussen tragen können.»
In Kongo kamen eine Million Menschen zur Papstmesse
Die Chancen auf einen asiatischen oder afrikanischen Papst sind so gross wie nie, wenn das Konklave der Kardinäle im Mai beginnt. Papst Franziskus hat sich bemüht, die Länder des Südens zu stärken, in denen der Katholizismus lebendig ist. Das kommt unter anderem in der Zusammensetzung des Wahlgremiums zum Ausdruck: Die Hälfte aller Kardinäle stammt mittlerweile aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Am Anfang von Franziskus’ Pontifikat war es ein Drittel.
Wie wichtig ihm Afrika und Asien waren, zeigte Franziskus auch mit der Wahl seiner Reiseziele. Den afrikanischen Kontinent hat er fünf Mal besucht und dabei Massen mobilisiert, die in Europa unvorstellbar wären. Als Franziskus 2023 in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa eine Messe las, versammelten sich dafür eine Million Menschen. In Asien reiste Franziskus in elf Länder, zuletzt im September 2024 nach Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur.
Auch die Rhetorik und die symbolischen Gesten eines Papstes, der sich als Anwalt der Armen und Schwachen sah, fanden in Asien und Afrika Anklang. Vor der Kathedrale in Nairobi sagt Lucia Muthoni: «Als Franziskus nach Kenya kam, besuchte er einen Slum. Er sprach über Korruption. Das hat uns in Kenya und Afrika viel bedeutet.»
«Franziskus hatte eine besondere Liebe für Afrika», sagt auch Stan Chu Ilo, ein nigerianischer Theologe, der an der DePaul University in Chicago lehrt. Franziskus sei ein «postkolonialer Papst» gewesen, der Priester aus Entwicklungs- und Schwellenländern ermutigt habe, Netzwerke ausserhalb der traditionellen Zirkel im Vatikan zu bilden. Er habe immer wieder auch Themen auf die Agenda gebracht, die Afrika und Asien stark beträfen, etwa den Klimawandel.
Asiatische und afrikanische Kardinäle stehen bereit
Mehrere asiatische und afrikanische Kardinäle werden nun als mögliche Papstkandidaten gehandelt. Der Filipino Luis Tagle zum Beispiel, der im Vatikan das Ministerium leitet, das für die missionarische Tätigkeit der Kirche zuständig ist.
Tagles Reputation hat indes gelitten. 2022 entband ihn Franziskus seines Amtes als Präsident des internationalen Caritas-Dachverbands. Er soll Fällen von Mobbing und sexuellem Missbrauch nicht nachgegangen sein. Als asiatischer Papstanwärter genannt wird auch der südkoreanische Kardinal Lazarus You Heung Sik.
Aus Afrika gelten der Erzbischof von Kinshasa, Fridolin Ambongo, und der Ghanaer Peter Turkson als mögliche Päpste. Beide haben eng mit Franziskus zusammengearbeitet, Ambongo als eines von acht Mitgliedern des Kardinalsrats, der den Papst bei organisatorischen Reformen berät. Auch der Guineer Robert Sarah, ein Erzkonservativer vom Schlag des früheren Papstes Benedikt XVI., wird gehandelt.
Der schwierige Umgang mit Homosexualität
Wie es um die Chancen der asiatischen und afrikanischen Papabili steht, ist schwer zu sagen, zu unberechenbar ist das Konklave. Doch falls der nächste Papst tatsächlich aus Asien oder Afrika kommen sollte, gibt es Bedenken darüber, in welche Richtung er die Kirche führen würde. Gerade in Europa herrscht Skepsis. Der Schweizer Kirchenexperte Michael Meier formulierte es Anfang April im Interview mit der NZZ so: «Bei der Ernennung von Kardinälen im Süden lässt sich ein Muster erkennen: engagiert für die Armen, ewiggestrig in der Moral.»
Bei den Afrikanern zum Beispiel heisst es, dass ihre Überzeugungen beim Thema Homosexualität für viele progressive Katholiken nur schwer zu tolerieren wären. Homosexualität ist noch immer in einer Mehrheit der afrikanischen Länder verboten, Kirchen stehen oft zuvorderst, wenn in Afrika gegen Homosexuelle gehetzt wird.
Als sich Franziskus Ende 2023 dafür aussprach, dass Priester homosexuelle Paare segnen dürften, schickte das oberste katholische Gremium in Afrika einen Protestbrief in den Vatikan, in dem stand, die neue Haltung habe auf dem Kontinent eine «Schockwelle» ausgelöst.
Auch im wichtigsten katholischen Land Asiens, den Philippinen, predigt die Amtskirche gegen Verhütungsmittel und Sexualaufklärung an Schulen. Kardinal Tagle nannte Abtreibung «eine Art von Mord». Seit Jahrzehnten opponiert die Kirchenführung zudem gegen die Legalisierung von Scheidungen. Toleranter gibt sich die Kirche gegenüber Homosexuellen, im Unterschied zu den Afrikanern. Die Kirche müsse ihre «harsche Haltung» überdenken, mahnt Kardinal Tagle.
Tatsächlich lässt sich die katholische Kirche in Asien und in Afrika schwer auf einen Nenner bringen. Die Regionen sind gross und heterogen, die Positionen der Kirche in verschiedenen Ländern unterschiedlich. In Afrika agiert die katholische Kirche zudem meist aufgeklärter als andere Kirchen, etwa neue evangelikale Kirchen, die extrem konservative moralische Positionen vertreten.
«Rom ist nicht länger das Zentrum des Christentums»
Falls am Ende des Konklave ein asiatischer oder afrikanischer Kardinal als neuer Papst hervorkäme, würde dies den Weltregionen, in denen die Kirche noch wächst, weiteren Schub verleihen. Trotz allen Verschiebungen unter Franziskus ist der Vatikan noch immer dominant, was Geistliche und Gläubige in Entwicklungs- und Schwellenländern als störend empfinden. Der Theologe Stan Chu Ilo zum Beispiel sagt: «Wir mögen viele afrikanische Gläubige haben, auch eine wachsende Zahl afrikanischer Priester, aber das meiste wird noch immer aus dem Vatikan diktiert. Das muss sich ändern, denn Rom ist nicht länger das Zentrum des globalen Christentums.»
Ein asiatischer oder afrikanischer Papst würde diesem Umstand Rechnung tragen. Das findet in der Schlange vor dem Kondolenzbuch in Nairobi auch Wycliffe Makori, ein 38-jähriger Kleiderverkäufer: «Ein Sohn Afrikas als Papst wäre ein Segen für uns. Die Messen hier sind anders, wärmer, mit mehr Gesang. Ein afrikanischer Papst würde unsere Art, den Glauben zu leben, verstehen und stärken.»
Ein Sohn Afrikas als Papst wäre dabei nicht einmal eine Premiere. Es gab bereits drei afrikanische Päpste, sie kamen aus Nordafrika, als dieses Teil des Römischen Reiches war. Lange ist das her. Der letzte der drei, Gelasius I., starb im fünften Jahrhundert.