Die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard behauptete kürzlich, es sei dank ihrer harten Ausländerpolitik gelungen, die Nettozuwanderung zu stoppen. Jetzt muss sie zurückkrebsen.
Schweden ist nicht mehr das gelobte Land für Migrantinnen und Migranten: Zwischen Januar und Mai seien mit 5700 Personen erstmals seit 50 Jahren mehr Menschen ausgewandert als eingewandert, freute sich die zuständige Ministerin, Maria Malmer Stenergard, jüngst vor den Medien. Während die EU seit einigen Jahren steigende Flüchtlingszahlen verzeichne, habe Schweden eine Trendwende vollzogen.
2024 erwartet das nordische Land gemäss den Prognosen des Migrationsamtes so wenige Asylbewerber wie seit 1997 nicht mehr. Auch die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen für Flüchtlinge ist am Schrumpfen. Für die Migrationsministerin steht damit fest, dass die Reformen der bürgerlichen Regierung Wirkung zeigen und die angestrebte Umkehr der Migrationsströme in weniger als zwei Jahren gelungen ist.
Der Machtwechsel von 2022 kam nur dank der engen Zusammenarbeit mit den rechtsnationalen Schwedendemokraten (SD) zustande, die der neuen Immigrations- und Integrationspolitik ihren Stempel aufsetzten. Dass der bisherige Kurs gescheitert und ein Paradigmenwechsel nötig war, hatten selbst die abgewählten Sozialdemokraten erkannt.
Die Hälfte der Einwanderer kam nach 2000
Zwei von Schwedens zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern sind im Ausland geboren, die Hälfte von ihnen wanderte erst nach der Jahrtausendwende ein. 2015, auf dem Höhepunkt der europäischen Flüchtlingskrise, kamen fast 163 000 Menschen nach Schweden. Der grosszügigen Zuwanderung stand keine adäquate Integrationspolitik gegenüber. Die Folge: grosse Einwanderergruppen, die kaum Schwedisch sprechen, segregiert, arbeits- und perspektivlos leben – der Nährboden für die Bandenkriminalität, die zwar nur einen Bruchteil der Einwanderer betrifft, aber immer wieder eskaliert.
Im Wahlkampf 2022 liessen die SD ganze U-Bahn-Kompositionen in Stockholm mit ihrem Logo überkleben; ein SD-Parlamentarier twitterte fröhlich: «Willkommen im Rückwanderungszug. Du hast ein Einzelbillett. Nächster Stopp: Kabul!» Ist die schlagzeilenträchtige Kampagne der fremdenfeindlichen Partei also bereits Realität geworden? Laut der Regierung sollen bereits im vergangenen Jahr mehr Immigranten aus dem Irak, Somalia oder Syrien aus Schweden aus- denn eingewandert sein.
Technisch aufgeblähte Statistik
Die Botschaft vom neuen Auswanderungsland Schweden und dem gelungenen Paradigmenwechsel fand rasch Verbreitung in internationalen Medien. Die Freude der Regierung währte derweil nicht lange. Getrübt wurde sie ausgerechnet vom Statistischen Zentralbüro (SCB), jener Behörde, aus deren Statistik sie den vermeintlichen Trendbruch herauslas. Um die Entwicklung der Nettomigration beurteilen zu können, reiche die Analyse von fünf Monaten nicht, erklärte ein SCB-Vertreter gegenüber der Zeitung «Dagens Nyheter». Vielmehr brauche es Daten eines ganzen Jahres. Die Zahl der Einwanderer übertrifft laut Statistikamt auch heuer «mit grösster Wahrscheinlichkeit» jene der Auswanderer.
Dies war nicht die einzige kreative Statistikinterpretation der Migrationsministerin. Dass die Auswanderung plötzlich markant zunahm, hat nicht zuletzt technische Gründe. Das Steueramt arbeitet daran, das Bevölkerungsregister um Personen zu bereinigen, die nicht mehr in Schweden leben – mit falschen Angaben hatten sich Betrüger Sozialleistungen in Millionenhöhe erschleichen können. Seit dem vergangenen Jahr hat das Steueramt Tausende Personen als «ausgewandert nach unbekannt» registriert, ohne dass es sich dabei um echte Auswanderer handelt. Die Migrationsministerin erwähnte zwar kryptisch das verbesserte Einwohnerregister als eine Ursache der Trendwende, unterliess es aber zu erwähnen, dass die Auswanderungsstatistik dadurch massiv aufgebläht wurde.
Geld soll Immigranten in die Heimat zurücklocken
Die Schwedendemokraten meinen es derweil ernst mit dem «Einzelbillett nach Kabul» und suchen Ideen, wie man Immigranten am besten wieder loswird. Die Koalition willigte ein zu prüfen, welche Anreize nötig seien, damit vor allem integrationsunwillige Personen das Land verlassen. Ein jüngst veröffentlichter Untersuchungsbericht sollte Antworten liefern, fiel aber ernüchternd aus.
Die wichtigste Forderung der SD – markant höhere Entschädigungen für alle, die Schweden verlassen möchten – hiesse laut dem Autor vor allem ein Verlustgeschäft für die Gesellschaft. Wirkungsvoller ist es seiner Meinung nach, die geltende Heimkehrentschädigung von 10 000 Schwedischen Kronen (rund 830 Franken) auch nachgezogenen Familienmitgliedern und bereits eingebürgerten Personen anzubieten. Seit 2019 haben 165 Personen beim Migrationsamt ein Gesuch gestellt, ihre Aufenthaltsbewilligung gegen einen Reisebeitrag umzutauschen; bewilligt wurden bloss 9 Fälle, deren Antragsteller alle Bedingungen erfüllten.
Dänische Politik als Vorbild
Die Schwedendemokraten sind unzufrieden mit dem Bericht; laut deren iranischstämmigem Parlamentarier Nima Gholam Ali Pour wäre seine Partei bereit, Immigranten den Rückzug in die Heimat mit bis zu 350 000 Kronen (rund 28 900 Franken) zu versüssen. Die Partei schielt dabei auf Dänemark. Das Nachbarland bietet Immigranten umgerechnet über 18 000 Franken und finanziert den Wegzug aus Dänemark mit weiteren 4000 Franken – ein Angebot, von dem im Jahrzehnt jährlich 300 bis 500 Personen Gebrauch machten.
Schwedens Regierung meint derweil, man wolle die Vorschläge für eine verstärkte Rückwanderung weiter prüfen – was in der Realität meist bedeutet, dass das Thema versandet. Im Gange sind derweil verschärfte Regeln für Sozialbeiträge, Familiennachzug, Einbürgerung sowie den Landesverweis straffälliger Immigranten. Statt für Flüchtlinge will Schweden seine Grenzen künftig vor allem für hochqualifizierte Arbeitskräfte offen halten.