Die Schweizer Firma Fly-Box hat ein Frachtsystem für Gewässer entwickelt. Noch aber ist der Weg bis zum Durchbruch im Logistiksektor weit. Erste Meilensteine wecken Hoffnung.
Bald steht wieder der berühmte Segelwettbewerb um den America’s Cup an. Seit einigen Jahren sind die flinken Turnierboote noch deutlich schneller geworden, weil sie sich auf Tragflächen von der Wasseroberfläche lösen und quasi fliegen können.
Dieses Prinzip des sogenannten Foilens machen sich immer mehr Boote zu eigen, die den Widerstand des Wassers überwinden und schnell von A nach B gelangen wollen. Tragflächenboote, in der Fachsprache auch Hydrofoils genannt, sind heute nichts Aussergewöhnliches mehr – viele Fährverbindungen zwischen Meeresküste und vorgelagerten Inseln werden beispielsweise oft mit Tragflächenbooten bedient.
Das Prinzip des Hydrofoils setzt sich bei Fähren, aber auch im Wassersport immer stärker durch. Und es funktioniert ähnlich wie bei Flugzeugen, nur umgekehrt: Die Tragflächen finden sich unter Wasser, sie sind durch vertikale Streben mit dem Bootsrumpf verbunden. In der Bewegung erzeugen die Flügelprofile eine Auftriebskraft, wodurch der Rumpf von der Wasseroberfläche in die Luft gedrückt wird.
So ergibt sich deutlich weniger Widerstand des Rumpfs, der mit dem Wasser nicht mehr in Berührung kommt, und die Tragflächen gleiten unter Wasser deutlich besser als der Rumpf. Das Resultat sind viel höhere Geschwindigkeiten und eine verbesserte Effizienz.
Das Foilen könnte doch auch beim Gütertransport Einzug finden, hat sich Alain Thébault, der Gründer der in Genf ansässigen Firma Fly-Box, gesagt. Der 61-jährige Franzose gilt als Pionier auf dem Gebiet der schnellen Fortbewegung auf dem Wasser: Seit 2005 hält er den Weltrekord für die schnellste Segelfahrt mit Foiling-Technik, bei der er mehr als 50 Knoten (knapp 93 km/h) erzielte. In der Folge entwickelte Thébault einen Prototyp für ein elektrisches Tragflächenboot und einen weiteren mit Brennstoffzelle und Wasserstofftanks.
Mit Fly-Box entwickelt Thébaults Team derzeit ein System zum Warentransport auf schwimmenden Plattformen, die sich elektrisch fortbewegen und dank Tragflächen über dem Wasser schweben. Sie sollen effizient Strecke machen, weil sie den Wasserwiderstand und den Wellengang eliminieren. Zudem sorgt der nachhaltige Batterieantrieb für emissionsfreies und lautloses Fortkommen. Es wäre dies ein wichtiger Baustein zur CO2-Reduktion in der Transportlogistik, und dies auf dem Wasser, wo der Schiffsverkehr noch über wenige Alternativen bei emissionsfreien Antrieben verfügt.
Frachtlösung für die letzten Kilometer
Dabei plant Thébault nicht in utopischen Grössenordnungen. Die langsam schwimmenden und schnell fliegenden Transportplattformen sollen in erster Linie die letzten Kilometer im Güterverkehr zurücklegen – und damit den meist emissionsreichen Schwerverkehr auf der Strasse entlasten. «Der Planet steht in Flammen, und wir haben keine Zeit mehr zu verlieren», sagt der Firmengründer. «Wir müssen schnell und konkret handeln.» Die Hydrofoils sollen dabei in einer späteren Phase sogar autonom fahren und keine menschliche Besatzung an Bord benötigen.
Um den Elektroantrieb insbesondere im Bereich der Zuladung auf den Transportplattformen zu optimieren, will Fly-Box auf schwere Antriebsbatterien verzichten und stattdessen auf Wasserstoff und Brennstoffzellen setzen. In Zusammenarbeit mit Fachleuten der EPFL, der ETH in Lausanne, entstand ein Prototyp für eine emissionsfreie Transportplattform mit Tragflächentechnik, die mit Wasserstoff betrieben per Brennstoffzelle elektrischen Vortrieb erzeugt. Damit sollen Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 25 Knoten möglich werden.
Bei Fly-Box sind zwei verschiedene Dimensionen der Transportplattform geplant: Ein rechteckiges E-Boot mit einer Ladefläche von rund sieben Quadratmetern soll dem selbstfahrenden Transport von kleineren Lasten unterhalb einer Tonne Gewicht dienen. Es soll kurze Distanzen innerhalb einer an einem Wasserweg liegenden Stadt zurücklegen – und dies im gleichen Tempo wie Lkw auf der Strasse (22 Knoten oder knapp 47 km/h).
Noch aber schwimmen die fliegenden Kisten nicht, wie der Fly-Box-Chef Thébault zugibt: «Wir stehen vor der Fertigstellung unseres ‹proof of concept›, also unseres Mustersystems. Damit werden wir Ende Sommer 2024 die Technologie und die Komponenten erproben.» Sollten die Tests erfolgreich verlaufen, will Fly-Box nächstes Jahr die ersten Einheiten ausliefern.
Für den Transport von Containern, die oft mehrere Dutzend Tonnen schwer sein können und zwischen grossen Häfen und weiteren Verteilzentren entlang von Flüssen verfrachtet werden, ist eine zweite Variante mit 20 Meter langen Fly-Box-Plattformen geplant, die mit grünem Wasserstoff betrieben wird und dank Brennstoffzelle elektrisch vorankommt.
Grüner Schwertransport mit grünem Wasserstoff
Die grössere Plattform trägt den Namen Fly-Box H2. Sie soll gemäss Thébault Lasten im zweistelligen Tonnenbereich transportieren können. Doch hier steht die Firma noch im Anfangsstadium. «Wir bemühen uns derzeit um Investoren für die Entwicklung», erklärt der Foiling-Pionier, der für die Entwicklung des H2-Systems rund zwei Jahre veranschlagt.
Der nachhaltig erzeugte Wasserstoff soll bei Firmen bezogen werden, die Wasser-, Wind- und Solarenergie als Quellen für die Elektrolyse-Umwandlung nutzen. Laurent Perrier, Technik-Chef bei Fly-Box, will sich jedoch noch auf keinen Wasserstofflieferanten festlegen: «Wir sind im Gespräch mit verschiedenen Firmen, um herauszufinden, welche am besten zu unserer Plattform passt.»
Auch zu den für den Betrieb der beiden Fly-Box-Systeme nötigen Batterien lässt sich Perrier noch nicht in die Karten schauen: «Wir planen den Einsatz von Akkus eines führenden europäischen Herstellers, der für seine hohen Standards bei Batterieleistung und Nachhaltigkeit bekannt ist», sagt der CTO, ohne den Batterieproduzenten zu nennen.
Ob bald fliegende Transportplattformen über Flüsse und küstennahe Meere gleiten, dürfte auch von der Kompatibilität mit dem bestehenden Schiffsverkehr abhängen. Antoine de Roquefeuil, COO bei Fly-Box, hat die rechtliche Situation im Auge. «Wir arbeiten derzeit eng mit den nautischen Behörden in aller Welt zusammen, um den gesetzeskonformen Einsatz unserer Plattformen sicherzustellen und etwaige Anpassungen vorzunehmen», sagt er.
Dabei stellt sich als Hauptproblem die minimale Geschwindigkeit der Plattformen heraus. «Fly-Box schafft eine Startgeschwindigkeit von 10 Knoten», erklärt Roquefeuil. Erst bei höheren Geschwindigkeiten kommt die Foiling-Technik zum Tragen. «Wir müssen in Küstennähe bestimmte Zonen festlegen, in denen die Plattformen mit idealer Einsatzgeschwindigkeit operieren können.»
Dem baldigen Einsatz von unbemannten Fly-Box-Booten – mit entsprechenden Einsparungen von personellen Ressourcen – sieht der COO hoffnungsvoll entgegen: «Die Gesetzgebung für den Einsatz von Drohnen und anderen unbemannten Fahrzeugen entwickelt sich sehr schnell. Schon bald könnten autonome Fly-Boxen unterwegs sein.»
Die Entwicklung ist allerdings kostspielig. Die Finanzierung der Fly-Box-Systeme befindet sich derzeit in der zweiten Runde – es fehlen gemäss Thébault noch rund 15 Millionen Euro, um mit dem serienmässigen Bau der Transportplattformen zu beginnen.
Immerhin gibt es bereits erste Erfolge bei der Kundenakquise. Eine erste grössere Partnerschaft konnte Fly-Box Anfang 2024 verkünden, sechs Monate nach der Firmengründung. Der französische Kakao- und Schokoladeproduzent Valrhona will seine nachhaltige Produktion mit umweltfreundlichem Warentransport ergänzen und etwa die Rhone als Transportweg nutzen.
In einer zweiten Phase will das mittelständische Unternehmen auf die grössere Fly-Box zum Containertransport per Wasserstoffantrieb umsteigen. So sollen etwa Rohstoffe und Waren zwischen dem Hauptsitz in Valence und dem Mittelmeerhafen Marseille bewegt werden, ebenfalls auf der Rhone.
Alain Thébault erhofft sich aufgrund der ersten Kundenpartnerschaft, die auf mehrere Jahre angelegt ist, eine Vielzahl neuer Logistikkunden, die auf nachhaltigen Wassertransport setzen. Noch gibt es keine direkte Konkurrenz, wenn man einmal von den Speditionen absieht, die mit batterieelektrischen oder per Wasserstoff betriebenen Lkw auf dem Landweg operieren. Entscheidend wird es sein, welche Transportlösung nicht nur weniger CO2 produziert, sondern auch weniger kostet.
Grosse Pläne mit weltweiter Expansion
Schon in sechs Jahren will Thébault Fly-Box zum führenden Anbieter nachhaltiger Warentransporte auf dem Wasser machen. «Wir planen, bis 2030 eine ansehnliche Flotte von 2400 Plattformen im Kundeneinsatz zu haben, sowohl an den wichtigsten Meeresküsten als auch auf Binnenwasserwegen. Damit werden wir den CO2-Ausstoss im Frachtsektor deutlich senken können.»
Auch für die weltweite Expansion hat der Fly-Box-Chef konkrete Pläne: «Bis 2030 wollen wir neben unseren europäischen Stützpunkten vier weitere Zentren einsetzen – in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Saudiarabien, den USA und Singapur.»
Fast klingt es so, als flögen die Boxen schon. Aber selbst das «proof of concept» ist noch nicht fertiggestellt. Thébault und sein Team haben noch viel zu tun, bis aus dem hehren Umweltprojekt eine grüne Transportlösung wird. Sonst aber wandert Fly-Box in die Schublade.