Sie haben Hip-Hop-Klassiker und eine gigantische Projektionsfläche geschaffen: Nach dreissig Jahren finden der Rapper Snoop Dogg und der Produzent Dr. Dre wieder für ein Album zusammen. Es vermag die Welt nicht mehr zu erschüttern.
Es zuckt wieder in ihrem Bizeps. Der Rapper Snoop Dogg und der Starproduzent Dr. Dre haben nach dreissig Jahren erneut auf Albumlänge zusammengearbeitet. «Missionary» wurde als Fortsetzung von Snoop Doggs legendärem Debüt «Doggystyle» (1993) angekündigt – und von vielen bereits vorab zum Klassiker erkoren.
Was da alles in der Waagschale landet, wenn diese Schwergewichte zusammenarbeiten, ist schon beachtlich. Etliche Male haben sie Musikgeschichte geschrieben: Dr. Dre als Produzent von N.W.A, als Wegbereiter von Eminem, 50 Cent und Kendrick Lamar, als Architekt eines ausgeklügelten, breitwandigen Sounds, der die Klubs seit Jahrzehnten durchrüttelt. Und Snoop Dogg wusste diesen Sound stets höchst elegant zu nutzen.
Gemeinsam haben sie nicht nur «Doggystyle» kreiert, sie haben Welthits wie «Nuthin’ but a ‹G› Thang», «The Next Episode» oder «Still D.R.E.» erschaffen. Sie haben das Publikum in eine Welt entführt, in der nur die Stärksten überleben, in der die Waffen und Gangs regieren, in der die Hydraulik das Fahrgestell der Autos auf Knopfdruck in die Höhe spediert und trotzige Coolness (fast) alles bedeutet.
Kiffen, Kichern, Kläffen
Calvin Broadus alias Snoop Dogg, heute 53 Jahre alt, baute auf seinem besonderen Image nach und nach eine Weltkarriere auf. Nachdem er in den neunziger Jahren wegen Mordes angeklagt war und in seinen Texten immer wieder ein zweifelhaftes Frauenbild verbreitet hatte, gilt er heute als der coole Onkel von nebenan. Eine kumpelhafte, an Coolness nicht zu überbietende Gestalt, die das Leben lebt, das sich man selbst nicht zu leben getraut: kiffen, kichern, kläffen.
Mit den Jahren entwickelte sich der bissige Köter zum liebenswerten Streicheltier. Die Wandlung passiert nicht zuletzt dank der Zusammenarbeit mit Pharrell Williams und Tracks wie «Beautiful» oder «Drop It Like It’s Hot». «Ich war lange Zeit darauf konditioniert, meine harte Seite zu zeigen und mir keine Blösse zu geben, aber Pharrell sagte mir, ich solle lächeln und die Leute glücklich machen», sagte er kürzlich im amerikanischen Frühstücksfernsehen.
Heute ist seine Kunstfigur so weit gediehen, dass er gar nicht mehr viel machen muss. Vieles, was ihm an Humor und Schlagfertigkeit attestiert wird, ist eigentlich Projektion. Im Frühstücksfernsehen wartet etwa eine von der Redaktion vorbereitete Wettervorhersage auf ihn, die nur aus Orten mit Hanf-Bezug besteht. Er muss sie nur ablesen, und alle kichern.
Dieses Jahr war Snoop Dogg als Reporter des amerikanischen Senders NBC auch an den Olympischen Spielen in Paris zu sehen. Er jubelte den Athleten in immer wieder anderen Outfits zu und kommentierte Sportarten wie Dressurreiten oder Kunstturnen. Dazwischen zeigte er sich mit der amerikanischen Haushaltskönigin Martha Stewart oder setzte sich als Jurymitglied von «The Voice» in Szene. Aus seinem Hit von 1993, «Gin and Juice», ist ausserdem eine Getränkemarke geworden. Kurz: Snoop Dogg ist unterdessen ein verkörperter Gemischtwarenladen.
Alles einmal ausprobieren
Das wirkt sich auch auf seine Musik aus. Nach dem stringenten Debütalbum, das einen beim Hören mit auf eine Cabriofahrt durch die zwielichtigen Viertel von LA mitzunehmen schien – die wippende Hydraulik im Sound eingebaut –, erinnerten etliche spätere Alben eher an die Schleppnetz-Taktik: Alles einmal ausprobieren! So driftete die Vielfalt in Beliebigkeit ab. Das hat er natürlich selbst gemerkt: Im Vorfeld zur Veröffentlichung von «Missionary» merkte er in vielen Interviews an, dass viele Fans gar nicht mehr wüssten, wofür er eigentlich berühmt sei. Das neue Werk steht deshalb für Rückbesinnung auf den eigenen Rap. Es soll beweisen, dass der Herzmuskel noch rhythmisch zuckt.
Snoop Dogg und Dr. Dre stehen heute allerdings nicht mehr im Epizentrum der Hip-Hop-Kultur. Das sind heute vielmehr Kendrick Lamar und Drake, jene rappenden Antagonisten, die sich dieses Jahr einen kreativen Schlagabtausch geliefert haben. Der eine steht für den Intellekt, für die kunstvolle Auseinandersetzung mit der afroamerikanischen Kultur, der andere für die ebenso lustvolle wie schamlose Produktion von Hits und dem Surfen auf jeglichen musikalischen Moden.
Da können Dr. Dre und Snoop Dogg nicht mehr mithalten. Wenn Dr. Dre zu Beginn des Albums nochmals den Hinweis des alten Gangsta-Rap-Stücks «Straight Outta Compton» von N.W.A platziert und behauptet: «You’re now about to witness the strength of street knowledge» («Sie werden jetzt Zeuge der Stärke von Strassenwissen»), dann klingt das plump und altväterisch angestrengt.
«Missionary» ist jedoch ein nach bestem Wissen und Gewissen produziertes Hip-Hop-Album, das die Stärken und Schwächen der beiden Musiker aufzeigt. Sie können noch immer rappen, sie können noch immer produzieren. Aber es fehlt an aktueller Dringlichkeit, die Reibung an den Tücken der Gegenwart. Die Relevanz schöpfen sie unterdessen aus der eigenen Historie.
Sting macht mit
Während sich ein Produzent wie Dre früher Samples illegal beschaffte und aus Diebesgut etwas funkelndes Neues schuf, kann er sich heute überall bedienen – alle wollen profitieren von seinem Renommee. So wird nun in «Another Part Of Me» der Police-Hit «Message in a Bottle» zitiert, mit ausdrücklicher Erlaubnis und unter Mitwirkung von Sting, der sich ebenfalls die Stimme mit Autotune belegen lässt und mitsingt. In «Sticcy Situation» klingt der Suzanne-Vega-Hit «Tom’s Diner» an. In «Last Dance With Mary Jane» ist der Refrain von «Mary Jane’s Last Dance» von Tom Petty & the Heartbreakers zu hören.
Braucht die Welt einen neuen Kiffer-Song eines Multimillionärs? Wohl kaum! Trotzdem ist «Missionary» keine musikalische Peinlichkeit. Es klingt zum Teil sogar virtuos, wie etwa in «Shangri-La», wo der Sprechgesang und die kinematografische Musik passgerecht ineinandergreifen. Die Snoop-Dogg-Fans aber warten wohl gar nicht mehr auf eine musikalische Entwicklung. Sie sind zufrieden mit Snoop Dogg als kiffendem Onkel. Als Medien- und Werbefigur ist er unsterblich. Als Rapper hat er seinen Teil schon längst geleistet.