Japans Regierungschef Kishida will auf Nordkorea zugehen. Die einflussreiche Schwester von Diktator Kim reagiert positiv. Doch bestehen noch einige Hürden.
Seit Wochen droht der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un Südkorea mit Krieg. Gesprächsangebote der USA lehnt er schon seit viel längerem ab. Das einzige demokratische Land in Asien, mit dem seine Regierung noch spricht, ist Japan. Nun hat Kims einflussreiche Schwester Kim Yo Jong die Möglichkeit eines Gipfeltreffens zwischen Kim und Japans Premierminister Fumio Kishida ins Spiel gebracht. Es wäre das erste Spitzentreffen beider Seiten seit 2002.
Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichte vergangene Woche eine «persönliche Erklärung» der stellvertretenden Abteilungsleiterin im Zentralkomitee der nordkoreanischen Arbeiterpartei. Darin erklärte sie zwar, dass sie die bilateralen Beziehungen nicht offiziell kommentieren könne. Fügte jedoch hinzu, dass der Tag kommen könnte, an dem Japans Ministerpräsident Pjongjang besuche.
Japan nehme die Äusserungen von Kims Schwester ernst, antwortete der frühere japanische Aussenminister und jetzige Regierungssprecher Yoshimasa Hayashi. Tatsächlich steht die nordkoreanische Hauptstadt schon länger auf Kishidas Wunschliste. Seit rund zwei Jahren verhandelt seine Regierung bereits mit Vertretern des Diktators Kim.
Im vergangenen Jahr verstärkte Kishida sein Werben. Immer wieder erklärte er öffentlich, er sei offen für Gespräche ohne Vorbedingungen. Einige Kommentatoren vermuten, dass er seine niedrige Popularität durch einen aussenpolitischen Erfolg steigern will.
Streitpunkt Entführungen
Er will die diplomatische Eiszeit beenden, die seit der gescheiterten Annäherung vor zwei Jahrzehnten Japans Nordkorea-Diplomatie handlungsunfähig gemacht hat. In seinen vier Jahren als Aussenminister hat Kishida selbst erlebt, wie sehr Japan in wichtigen multilateralen Verhandlungen mit dem atomar bewaffneten Nachbarn isoliert ist.
Im Mittelpunkt steht dabei die aus Tokioter Sicht ungelöste Frage der in den 1970er und 1980er Jahren von Nordkorea gekidnappten Japaner. Im Jahr 2002 traf der damalige Regierungschef Junichiro Koizumi Kims Vater Kim Jong Il, der sich für die Entführungen entschuldigte.
Nordkorea gab damals an, es habe 13 Japanerinnen und Japaner entführt. Acht seien gestorben, behauptete Kim. Die fünf Überlebenden liess Nordkorea nach Japan ausreisen. Doch was als freundschaftliche Geste gedacht war, entwickelte sich zu einem diplomatischen Desaster. In Japan sorgte die Tatsache, dass die von Nordkorea zurückgeschickten Gebeine laut Gentests nicht von den angeblich Verstorbenen stammten, für Irritationen.
Der rechte Flügel der regierenden Liberaldemokratischen Partei unter dem zweimaligen Premierminister Shinzo Abe machte daraufhin die Lösung der Entführungsfrage zur Vorbedingung für Kontakte. Nordkorea besteht bis heute darauf, dass diese Frage bereits geklärt worden sei.
Nordkorea will Südkoreas Regierung schwächen
Auch Nordkorea ist aber an Gesprächen mit Japan interessiert. Der Nordkorea-Experte Frederic Spohr, Büroleiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Südkorea, sagt: «Ein Motiv könnte sein, einen Keil in die trilaterale Allianz zwischen Japan, Südkorea und den USA zu treiben.» Kim könnte versuchen, Südkoreas Präsidenten Yoon Suk Yeol zu schwächen, der auf eine harte Linie gegenüber Nordkorea setzt.
Tatsächlich ist Südkoreas Regierung angesichts der neuen Waffenbrüderschaft zwischen Nordkorea und Russland skeptisch. Nordkorea liefert Russland Waffen für den Ukraine-Krieg und erhält im Tausch wahrscheinlich auch militärische Hilfe. Während Washington Unterstützung für mögliche Gespräche zwischen Tokio und Pjongjang zusagte, mahnte ein Sprecher des südkoreanischen Aussenministeriums, dass die Kontakte auch einer Denuklearisierung Nordkoreas dienen müssten.
«Ein weiteres Motiv könnte ganz profan Geld sein», sagt Spohr. Japan war in der Vergangenheit nicht nur als offizieller Geldgeber wichtig. Nordkorea profitierte auch von den Überweisungen der grossen Gemeinde der in Japan lebenden Nordkoreaner, die nach dem Streit um die Entführten erst eingeschränkt und dann verboten wurden.
Als Überbleibsel der Annexion Koreas leben heute noch rund 600 000 Menschen mit koreanischer Staatsbürgerschaft in Japan. Ende des letzten Jahrzehnts gehörte etwa ein Viertel von ihnen der nordkoreanischen Interessenvertretung Chongryon an, die in Japan eigene Kindergärten, Schulen und sogar eine Universität unterhält.
Nordkorea schiebt Japan die Entscheidung zu
Doch die Verhandlungen stehen derzeit vor einer grossen Hürde, wie Kims Schwester deutlich machte. «Sie hat ihre Rede mit Giftpillen gespickt», so Spohr. Kishida will auch das Thema der Entführten und die Atomwaffen Nordkoreas ansprechen, die auch Japan im Visier haben.
Kim erklärte die Entführungsfrage jedoch für gelöst. Und die Verhandlungen über Atomwaffen und Raketen hätten «nichts mit der Reparatur der Beziehungen» zu tun. Ihre «persönliche Erklärung» diene daher dazu, die japanische Regierung in den Verhandlungen unter Druck zu setzen, meint Spohr.