Der Chip-Designer und grösste Profiteur vom Boom im Bereich künstliche Intelligenz beschleunigt das Wachstum erneut. Der Ausblick für das laufende Quartal übertrifft die Erwartungen. Wie viel besser kann es noch werden?
Bei keinem anderen Unternehmen wird den Quartalszahlen gegenwärtig so stark entgegengefiebert wie bei Nvidia. Das Spektakel ist am Mittwochabend nach Handelsschluss nicht ausgeblieben: Der Chip-Designer aus dem Silicon Valley wächst weiter in atemberaubendem Tempo und erntet dafür an der Börse Applaus.
Der Leistungsausweis spricht für sich. Der Umsatz ist in der Berichtsperiode per Ende Januar um 265% auf 22,1 Mrd. $ gestiegen, was die Analystenerwartungen von 20,6 Mrd. $ übertrifft. Die Bruttomarge hat sich weiter auf astronomisch hohe 76% verbessert. Der Gewinn ist gegenüber dem Vorjahr von 1,4 auf 12,3 Mrd. $ oder 4.93 $ pro Aktie explodiert. Analysten hatten mit 4.64 $ pro Aktie gerechnet.
Zum Vergleich: Nvidias Gewinn bewegt sich inzwischen über dem Niveau des Internetriesen Amazon und der Grossbank JPMorgan Chase, die im vergangenen Quartal einen Profit von 10,6 bzw. 9,3 Mrd. $ erzielt haben. Unter den Branchenleadern im US-Leitindex S&P 500 haben diese Berichtssaison sonst nur Apple, Microsoft, der Google-Mutterkonzern Alphabet und Meta Platforms ein höheres Ergebnis ausgewiesen.
Für eine positive Überraschung sorgt ebenso die Prognose. Der Umsatz für die laufende Berichtsperiode soll sich auf rund 24 Mrd. $ belaufen. Das entspricht 234% Wachstum. Analysten hatten bisher mit knapp 22,2 Mrd. $ gerechnet. Mit einer anvisierten Bruttomarge von über 76% wird Nvidia im Branchenvergleich voraussichtlich erneut überaus profitabel arbeiten.
Die Aktien von Nvidia tendierten gestern nachbörslich rund 9% fester. Allein seit Anfang Jahr ist der Kurs im Zug einer neuen Begeisterungswelle für künstliche Intelligenz bis zu 49% vorgeprescht. Im Vorfeld der Ergebnispräsentation hatte er seit dem Rekordhoch von Mitte Februar indes knapp 9% korrigiert. Die Quartalszahlen gaben auch anderen «heissen» KI-Aktien wie Marvell Technology, AMD oder Super Micro Computer Auftrieb.
Im Zentrum des KI-Booms
Das kräftige Wachstum von Nvidia basiert fast ausschliesslich auf der Sparte Data Center. Sie ist auf Grafikprozessoren (Graphics Processing Unit, GPU) für Grossrechner spezialisiert, mit denen grosse Sprachmodelle wie ChatGPT und andere Anwendungen für generative künstliche Intelligenz aufgebaut werden. In der Berichtsperiode nahm der Umsatz um 409% auf 18,4 Mrd. $ zu.
«Im letzten Jahr haben wir gesehen, dass sich generative KI zu einem völlig neuen Anwendungsbereich entwickelt hat», sagte Unternehmensgründer und Konzernchef Jensen Huang währender der Ergebnispräsentation. Entstanden ist daraus «eine völlig neue Art der Datenverarbeitung, eine völlig neue Branche, und das treibt unser Wachstum an», ergänzte er.
Mehr als die Hälfte der Einnahmen hat die Sparte mit grossen Cloud-Infrastrukturanbietern wie Microsoft, Amazon und Google erzielt. Zu den wichtigsten Endmärkten gehören konsumnahe Segmente des Internetsektors wie E-Commerce, Social Media und Online-Videodienste, sagte Finanzchefin Colette Kress. Grosse Abnehmer sind ebenso Software-Firmen wie Adobe, ServiceNow oder SAP und KI-Startups wie OpenAI oder Anthropic.
Nach Regionen hat das Data-Center-Geschäft überall starkes Wachstum verzeichnet, ausser in China. Dort haben sich die Einnahmen «signifikant» verringert, weil die US-Regierung im Oktober schärfere Exportkontrollen für Nvidias Server-Chips verhängt hat. Nun hat der Konzern damit begonnen, alternative Chips nach China zu verkaufen, für die er keine US-Exportlizenz benötigt.
In den anderen Unternehmensbereichen sieht das Bild gemischt aus. In der Sparte Gaming, die Grafikprozessoren für Videospiele anbietet und ursprünglich Nvidias Kerngeschäft war, hat sich der Umsatz nach dem Einbruch im letzten Jahr um 56% auf knapp 2,9 Mrd. $ verbessert. Im Auto-Geschäft, das relativ klein ist, waren die Einnahmen hingegen rückläufig, wie das bei den meisten Halbleiterkonzernen der Fall ist.
Maximaler Optimismus
Der Abschluss macht es klar: Nvidia könnte es momentan kaum besser laufen. Dank dem KI-Boom druckt der Konzern mit seinen Server-Prozessoren de facto Geld. Der freie Cashflow nahm im vergangenen Quartal deutlich auf mehr als 11,2 Mrd. $ zu, was auf ein Jahr hochgerechnet annähernd 45 Mrd. $ entspricht.
Die Marktkapitalisierung von fast 1,7 Bio. $ nimmt davon allerdings bereits einiges vorweg. Um diese Bewertung in einen Kontext zu stellen: Die gesamten Verkäufe von Halbleitern haben sich letztes Jahr weltweit auf knapp 527 Mrd. $ belaufen. Im Rekordjahr 2022 waren es mehr als 574 Mrd. $.
Auch im Vergleich zu andern Branchenriesen ist die Bewertung ziemlich sportlich. Auf Basis der Prognose zum laufenden Quartal handeln die Aktien zum knapp 18-Fachen des Jahresumsatzes. Bei Microsoft zum Beispiel, dem qualitativ wohl besten Konzern im Tech-Sektor, beträgt das Vielfache leicht weniger als 12, wobei das Geschäft bedeutend weniger zyklisch und dank wiederkehrenden Einnahmen gut absehbar ist.
Die entscheidende Frage ist deshalb, wie lange Nvidia in hohem Tempo weiter expandieren kann. Wenn das Unternehmen gegen Ende Mai die nächsten Quartalszahlen präsentiert, wird es ein Jahr her sein, seit es die Welt mit einem phänomenal starken Ausblick schockte. Dass sich das Wachstum aufgrund der anspruchsvollen Vergleichsbasis fortan verlangsamen wird, ist klar. Doch zu welchem Grad, ist schwierig abschätzbar.
Nvidia gibt jeweils keine Prognose zum Gesamtjahr ab, sondern nur von Quartal zu Quartal. Bekannt ist aber, dass Kunden in der Halbleiterbranche bei Engpässen oft das Doppelte oder Dreifache ihres Bedarfs bestellen. Dies in der Hoffnung, wenigstens einen Teil decken zu können. Sobald sich der Engpass dann auflöst (was früher oder später immer passiert), werden die Bestellungen dann abrupt storniert, worauf die Nachfrage und damit die Preise einbrechen.
Nvidia sieht für solche Benken derzeit keinen Anlass. Bei der Ausweitung des Angebots und den Lieferzeiten würden Fortschritte gemacht, sagte Huang. «Wir gehen aber davon aus, dass die Nachfrage weiterhin stärker sein wird als unser Angebot, und zwar das ganze Jahr über», erklärte er. Speziell beim neuen H200-Prozessor, Nvidias Server-Chip der nächsten Generation, der im nächsten Quartal lanciert wird, rechne er mit weiteren Engpässen.
Diese zuversichtlichen Aussagen dürften mit ein Grund für die positive Reaktion der Aktien auf den Quartalsabschluss sein. Investoren sollten aber nicht vergessen, dass Nvidia in der Vergangenheit immer wieder von Schwankungen der Nachfrage überrascht wurde – zuletzt erst vor zwei Jahren, als der Konzern seine Prognose gleich mehrfach deutlich senken musste.