Die Berliner Philharmoniker verabschieden sich nach dreizehn Jahren mit Puccinis «Madama Butterfly» von Baden-Baden und wechseln zurück nach Salzburg. Die Rochade ist eine Chance für beide Festspielstädte.
In Baden-Baden ist immer Festspielzeit. Jedenfalls suggeriert das der Name der wichtigsten Kulturinstitution in der Kurstadt, er ist Programm und Verpflichtung zugleich: Im dortigen Festspielhaus, das 1998 als erster privat finanzierter Opern- und Konzertbetrieb in Europa gegründet wurde, soll stets Herausragendes gezeigt und exemplarische Interpretenkunst gepflegt werden. Das Modell erinnert an das Lucerne Festival, das sich ebenfalls zu über neunzig Prozent mithilfe von Sponsoren und aus dem Kartenverkauf finanziert; vergleichbar sind zudem die Höhe des jährlichen Budgets von gut zwanzig Millionen Euro und die beachtliche Umwegrentabilität, die der gesamten Region finanziellen und touristischen Nutzen bringt.
Programmatisch verfolgt man dagegen unterschiedliche Konzepte. Anders als in Luzern, wo man sich seit einigen Jahren stark auf das vierwöchige Sommerprogramm konzentriert und die Festival-Satelliten auf wenige Tage reduziert hat, versucht das Festspielhaus in Baden-Baden, mit insgesamt sieben saisonalen Festivals während des gesamten Jahres Glanzlichter im Kulturbetrieb zu setzen.
Dafür arbeitet man traditionell mit bedeutenden Institutionen und namhaften Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Erst jüngst gelang dem Intendanten Benedikt Stampa ein neuer Coup, als er den legendären Choreografen John Neumeier noch vor dem Ende von dessen 50-jähriger Ära beim Hamburg Ballett für ein eigenes Festival gewann. Allerdings hat Stampa im kommenden Jahr auch einen schmerzhaften Einschnitt zu verkraften.
Rückkehr nach Salzburg
Die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko werden dem Festspielhaus nach dieser Saison den Rücken kehren. Damit endet eine langjährige Zusammenarbeit, jeweils vor Ostern, die 2013 unter Petrenkos Vorgänger Simon Rattle begonnen hatte. Von 2026 an wird das führende deutsche Orchester rund um den Palmsonntag wieder in Salzburg auftreten und damit die Tradition seiner dort 1967 von Herbert von Karajan gegründeten Osterfestspiele fortsetzen. Und zwar sogleich mit einem Paukenschlag, einer Neuproduktion von Wagners «Ring»-Zyklus unter Petrenko und in der Regie von Kirill Serebrennikow.
Die Rückkehr der Berliner nach Salzburg dürfte auf die enge Zusammenarbeit zurückgehen, die Petrenko mit dem Intendanten der Osterfestspiele, Nikolaus Bachler, verbindet; die beiden standen bis 2020 gemeinsam an der Spitze der Bayerischen Staatsoper. In Baden-Baden hat man sich freilich schnell getröstet und das ähnlich renommierte Amsterdamer Concertgebouw sowie das Mahler Chamber Orchestra für Residenzen gewonnen. Und auch hier, Zufall oder nicht, zeigt man 2026 Wagner, nämlich einen «Lohengrin» in Spitzenbesetzung. Der vorösterliche Wettstreit der beiden Festspielstädte, der die Musikwelt seit 2013 prächtig unterhält und bereichert, dürfte also unter umgekehrten Vorzeichen weitergehen.
Überdies kommt der Weggang der Philharmoniker aus Baden-Baden wohl genau zum richtigen Zeitpunkt: bevor sich nämlich Routine in ihre hiesigen Gastspiele einschleicht – so, wie es in den Jahren vor 2013 in Salzburg der Fall gewesen war. Tatsächlich haben Petrenko und die Seinen mit den beiden spektakulären Strauss-Premieren von 2023 («Die Frau ohne Schatten») und 2024 («Elektra») einen Höhepunkt ihres Wirkens im Festspielhaus erreicht. Die nun zum Abschied gezeigte Neuproduktion der «Madama Butterfly» von Giacomo Puccini wirkt bereits wie ein Nachklang – nicht weniger hochgespannt im künstlerischen Anspruch, aber trotzdem deutlich konventioneller.
Suche nach den eigenen Wurzeln
Das liegt auch an der Inszenierung von Davide Livermore, der sich als Regisseur besonderer Wertschätzung unter anderem von Riccardo Chailly erfreut, dem Chefdirigenten des Lucerne Festival Orchestra und der Mailänder Scala. Dort hat Livermore bereits vier Mal die «inaugurazione» zur Saisoneröffnung gestalten dürfen, und das nicht ohne Grund: Der mit allen Wassern gewaschene Theatermann aus Turin garantiert optisch glanzvolles, szenisch zumeist stimmiges Opernhandwerk. So auch hier bei Puccinis «tragedia giapponese», für die er ein zwischen Gegenwart, Tradition und Klischee schillerndes Japan auf die Bühne zaubert, vor allem mithilfe der üppigen Kostüme von Mariana Fracasso und einer durchlaufenden Video-Ebene des Design- und Entertainment-Unternehmens D-Wok, die brillant in die Szenerie eingebunden wird.
Auch dramaturgisch hat sich Livermore etwas einfallen lassen: Er umgibt die bekannte Erzählung von der Geisha Ciò-Ciò-San, die eine Zweckehe mit einem amerikanischen Offizier eingeht, sich aber tragischerweise wirklich in den flatterhaften Benjamin Franklin Pinkerton verliebt, mit einer interessanten Rahmenhandlung: Der Sohn, der den Liebesnächten des ungleichen Paares entstammt, macht sich als junger Erwachsener (dargestellt von dem Tänzer Felix Chang) im ganz und gar nicht klischeeschönen modernen Japan auf die Suche nach seinen Wurzeln. Gemeinsam mit der alt gewordenen Dienerin Suzuki erlebt er die wahre Geschichte seiner Mutter, die von seinem Yankee-Vater bloss zur Triebbefriedigung benutzt wird und aus Verzweiflung darüber am Ende der Oper das rituelle Seppuku vollzieht.
Daraus hätte sich einiges machen lassen. Aber Livermore schreckt, wie leider häufig, vor genau der Zuspitzung zurück, durch die es auch für die Zuschauer schmerzhaft werden könnte. Dabei benötigt Puccinis härteste, nicht erst heute als Kolonialismuskritik lesbare Oper genau diesen unbarmherzigen Zugriff, um nicht im Japan- und Ausstattungskitsch zu versinken. Der Regisseur bedient diesen ein paar Mal zu oft, auch wenn seine trostlose Rahmenerzählung erkennen lässt, dass ihm der Balanceakt zwischen Exotismus und harter Realität als zentrale Herausforderung jeder «Butterfly»-Produktion bewusst ist.
Griff ans Herz
Ähnlich zwiegespalten und letztlich unentschlossen wirkt leider auch die Interpretation von Petrenko. Als erfahrener Operndirigent weiss er natürlich, wo Puccinis italienisches Melodramma voll aufs Sonnengeflecht und manchmal unverhohlen auf die Tränendrüse zielt. Echte, durchaus operngemässe Leidenschaft entfacht er jedoch nicht, denn immer wieder kommt ihm sein ausgeprägter Sinn für das Durchleuchten und Zergliedern von Partituren dabei in die Quere. Puccinis Musik verträgt dies weniger gut als die hochkomplexe Textur bei Richard Strauss; sie zerfällt stattdessen leicht in schön modellierte Stellen.
Wenn analytische Genauigkeit und emotionale Freiheit ineinandergreifen wie in der von Eleonora Buratto subtil gesteigerten Suizid-Szene der Butterfly oder auch in dem kurzen Moment der Selbsterkenntnis Pinkertons («Addio, fiorito asil»), in dem Jonathan Tetelman die Unbeschwertheit des flüchtigen Lovers in Verzweiflung kippen lässt, erreicht die Aufführung jene Dringlichkeit, die das Stück schlagartig aus jeder Herzschmerz- und Opernwunschkonzert-Sphäre katapultiert. Dann greift die Tragödie der kleinen Frau Schmetterling, wie das Stück früher auf Deutsch arg verniedlichend genannt wurde, wirklich ans Herz.
Buratto, die als Muttersprachlerin intensiv mit Textnuancierungen zu arbeiten weiss, zeigt hier, warum sie derzeit als führende Sopranistin im italienischen Fach gehandelt wird. Tetelman, der in der kommenden Saison am Opernhaus Zürich debütiert, und Tassis Christoyannis als Konsul Sharpless, der das Unheil kommen sieht, stehen ihr an Eindringlichkeit nicht nach. Rein sängerisch bewegt sich diese Produktion auf einem Niveau, wie man es von Festspielen erwarten darf – ganz gleich, wo sie gerade stattfinden.