Verteidigungsminister Hegseth teilt Geheiminformationen, Vizepräsident Vance lästert über die Europäer: Das amerikanische Sicherheitskabinett führt vertrauliche Gespräche auf einer privaten App und der Chefredaktor des «Atlantic» liest mit.
Die private Nachrichten-App Signal erfreut sich in Washington grosser Beliebtheit. Bisher schienen es allerdings vor allem verängstigte Beamte zu sein, die sich darauf mit ihren Kollegen über die jüngsten Entlassungswellen austauschten. Wie sich nun aber herausstellt, vertraut auch die neue Regierung auf die Verschlüsselungstechnik der App.
Bekannt wurde dies nur durch ein vermutliches Versehen: Am 11. März wollte sich ein User mit dem Namen Mike Waltz mit dem Chefredaktor des «Atlantic», Jeffrey Goldberg, auf Signal vernetzen. Goldberg war nicht sicher, ob es sich dabei tatsächlich um Donald Trumps Berater für nationale Sicherheit handelte. Aber er akzeptierte die Anfrage. Zwei Tage später wurde Goldberg zu einem Gruppenchat namens «Houthi PC small Group» hinzugefügt.
PC steht für «principals committee». Damit werden gewöhnlich Arbeitsgruppen der höchsten amerikanischen Sicherheitsberater bezeichnet. In diesem Fall gehörten unter anderem Aussenminister Marco Rubio, Verteidigungsminister Pete Hegseth, CIA-Direktor John Ratcliffe, die Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard und Vizepräsident J. D. Vance dazu. Der User Waltz forderte diese dazu auf, ihre wichtigsten Mitarbeiter zu benennen, um eine Operation gegen die jemenitische Huthi-Miliz zu koordinieren. Die von Iran unterstützte Gruppierung drohte vor drei Wochen mit neuen Angriffen auf Handelsschiffe im Roten Meer, nachdem die israelische Regierung die humanitäre Hilfe in den Gazastreifen blockierte.
«Wir machen einen Fehler»
Am Ende gehörten der Gruppe insgesamt 18 Personen an. Golberg war sich zunächst nicht sicher, ob hinter den Benutzernamen in der App wirklich die höchsten Regierungsmitglieder standen oder ob er durch gezielte Desinformation in die Irre geführt werden sollte. Der Journalist befürchtete eine Falle. Schliesslich haben er und sein Magazin mit ihrer kritischen Berichterstattung den Präsidenten schon öfters geärgert. Doch je länger er mitlesen konnte, umso mehr bestätigte sich die Echtheit der Gesprächsteilnehmer.
Die Aussagen der einzelnen User passten mit den Positionen der real existierenden Personen zusammen. Am 14. März lancierte Vance eine politische Diskussion in dem Chat. «Wir machen einen Fehler», erklärte der Vizepräsident. Nur 3 Prozent des amerikanischen Aussenhandels gehe durch den Suezkanal, im Falle von Europa seien es 40 Prozent. Die geplante Operation gegen die Huthi passe nicht zur Botschaft der Trump-Regierung, dass die Europäer mehr für ihre eigen Sicherheit tun müssten. Es bestehe ein «echtes Risiko» dass die amerikanische Öffentlichkeit das Vorgehen nicht verstehe, meinte Vance.
Es gebe gute Argumente dafür, die Operation um einen Monat zu verschieben, um das Vorgehen besser erklären zu können, schrieb Vance. Hegseth zeigte Verständnis für diese Position. Gleichzeitig befürwortete er aber ein schnelles Handeln. Es gehe darum, im nationalen Interesse die frei Schifffahrt zu gewährleisten und die unter Präsident Joe Biden verlorengegangene Abschreckung wiederherzustellen. Nur die Amerikaner seien in der Lage, die Sicherheit der Seewege zu garantieren, argumentierte seinerseits Waltz. Aber die Regierung denke bereits darüber nach, wie diese Kosten den Europäern auferlegt werden könnten.
«Abscheu» für das Trittbrettfahren Europas
Vance richtete sich dann mit einer Nachricht an Hegseth: «Wenn du denkst, wir sollten es tun, lasst uns loslegen. Ich hasse es einfach, den Europäern erneut aus der Patsche zu helfen.» Hegseth meinte dann zum Vizepräsidenten: «Ich teile deine Abscheu für das Trittbrettfahren der Europäer. Es ist erbärmlich.» Aber sie sollten Trumps Anordnung folgen und die Schifffahrtswege sichern.
Am Samstag den 15. März kurz vor Mittag teilte der User mit dem Namen «Pete Hegseth» ein Update mit den amerikanischen Angriffsplänen. In der Nachricht seien die Ziele, die zum Einsatz kommenden amerikanischen Waffen und die Sequenz der Attacken enthalten gewesen, schreibt Goldberg. Weitere Details wollte der Journalist zu dem Update und den nachfolgenden Beiträgen nicht nennen: «Sollten Feinde der Vereinigten Staaten die Informationen darin lesen, könnten sie diese verwenden, um Angehörigen des amerikanischen Militärs und der Geheimdienste zu schaden.»
Rund zwei Stunden später explodierten die ersten Bomben in Jemen ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, den Hegseth in dem Chat angekündigt hatte. Am Montag bestätigte ein Sprecher des Nationalen Rats für Sicherheit die Echtheit des Chats: «Dies scheint eine authentische Nachrichtenkette zu sein. Wir prüfen, wie eine unbeabsichtigte Telefonnummer dazugefügt wurde.» Der Austausch zeige die «sorgfältige und besonnene Koordination» zwischen leitenden Funktionären.
Möglicher Verstoss gegen Gesetze
Der versehentliche Einbezug eines verantwortungsbewussten Journalisten scheint indes nicht das eigentliche Problem zu sein. Die beteiligten Personen haben gemäss Goldberg womöglich gegen Gesetze verstossen, die den Umgang mit Geheiminformationen regulieren und die Archivierung von allen Regierungsakten vorschreiben. Waltz habe den Chat so eingestellt, dass die Nachrichten nach einer Woche verschwinden, schreibt Goldberg. Das könnte eine Verletzung der Federal Record Act darstellen.
Demokratische Politiker forderten am Montag eine parlamentarische Untersuchung zu dem Vorfall und übten harsche Kritik. Der Abgeordnete und Veteran Pat Ryan sprach von einem «bis zur Unkenntlichkeit beschissenen» Verhalten. Auch einzelne Republikaner äusserten ihr Unverständnis. Senator John Cornyn erklärte gegenüber «Politico»: «Das hört sich an wie ein riesiger Mist. Wie kann man das anders bezeichnen?»
Der ehemalige Admiral James Stavridis bezeichnete die Geschichte gegenüber CNN derweil als «unglaublichen Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen». Die Gespräche hätten über die sichersten, geheimsten Kanälen stattfinden müssen.
Präsident Trump gab sich am Montagnachmittag zunächst unwissend, um keine genaueren Fragen beantworten zu müssen. Er habe noch nichts von der Geschichte gehört, behauptete er. «Ich bin kein grosser Fan des ‹Atlantic›. Mir scheint es, das Magazin ist auf dem Weg in den Bankrott.» Hinter den Kulissen wird der Vorfall im Weissen Haus aber der Klärung bedürfen. Und auch der Präsident wird womöglich in den nächsten Tagen weitere Fragen dazu beantworten müssen. Da die Republikaner in beiden Parlamentskammern über eine Mehrheit verfügen, dürfte es aber kaum zu Untersuchungen kommen.