Die Schweiz soll bald wieder vollen Zugang zum Forschungsprogramm haben. Für heikle Bereiche gilt das aber nur bedingt.
Guy Parmelin spielt in der Europapolitik eine wichtige Rolle. Unlängst konnte der SVP-Bundesrat beim Lohnschutz einen Kompromiss mit den Sozialpartnern verkünden. Nun folgt die nächste Etappe: Der Bundesrat hat das Programmabkommen mit der EU gutgeheissen, wie er am Donnerstag bekanntgab. Es bildet den Rahmen für die Beteiligung der Schweiz und umfasst auch laufende EU-Programme wie bei der Forschung. Parmelin sprach vor den Medien in Bern von einem wichtigen Schritt zur Assoziierung ans Forschungsprogramm Horizon Europe der EU. Dieses gehöre zu den renommiertesten der Welt. Die Teilnahme erhöhe die Attraktivität der Schweiz und habe eine lange Tradition.
Das Programmabkommen ist Teil des ausgehandelten neuen Pakets von Verträgen mit der Europäischen Union, über das Parlament und Stimmvolk erst abstimmen müssen. Die Schweiz und die EU ziehen es aber vor, um rasche Teilnahme an den laufenden Programmen zu ermöglichen. Der Bundesrat habe ihn beauftragt, bis im November die Unterzeichnung vorzunehmen, sagte Parmelin. Dies mache den Weg frei für eine rückwirkende und vorläufige Assoziierung an Horizon Europe, Euratom und Digital Europe. Das Programmabkommen tritt in Kraft, wenn die Schweiz und die EU das Paket von neuen und angepassten Verträgen ratifizieren, was für das kommende Jahr geplant ist. Sollte das Paket im Parlament oder vor dem Stimmvolk durchfallen, würde auch die vorläufige Assoziierung an Programme wie solche der Forschung hinfällig.
ETH reagiert erfreut
Für den Forschungs- und Innovationsstandort ist es eine gute Nachricht, dass der Bundesrat vorwärtsmacht. Statt der graduellen Erosion, die seit dem Ausschluss der Schweiz 2021 stattgefunden habe, erfolge nun ein gradueller Wiederaufbau der Forschungszusammenarbeit mit der EU, sagt Michael Hengartner. Er präsidiert den ETH-Rat, das strategische Führungsorgan der eidgenössischen Hochschulen. Horizon Europe sei das grösste Forschungsprogramm der Welt, an dem am meisten Leute mitmachten, sagt Hengartner. «Es geht darum, in der höchsten Liga mitzuspielen, zusammenzuarbeiten und sich im Konkurrenzkampf zu behaupten.»
Forscher aus der Schweiz haben dank einer Übergangsregelung bereits seit Anfang Jahr wieder Zugang zu den meisten Ausschreibungen von Programmen wie Horizon Europe. Die Schweiz wird ihren Beitrag für die Teilnahme im laufenden Jahr an die EU überweisen. Gemäss Parmelin handelt es sich bei den 630 Millionen Franken nicht um mehr Geld, als ohnehin eingeplant ist. In der Vergangenheit hat die Schweiz über die Forschungsprogramme der EU mehr Mittel erhalten, als sie eingezahlt hat.
Mit der Assoziierung an Horizon Europe kann die Schweiz auch wieder die Leitung von Verbundprojekten übernehmen. Zudem ist sie nicht mehr vom Einzelprojektwettbewerb des European Research Council ausgeschlossen, den sogenannten ERC-Grants. Diese gelten in der Wissenschaft als einer Art Goldstandard und sind für die Reputation wichtig. Hengartner zieht eine Analogie zum Sport: «Es ist, wie wenn Sie in der Leichtathletik an den Europameisterschaften und nicht nur an den Schweizer Meisterschaften gewinnen.» Die erhöhte Sichtbarkeit helfe auch, gute, junge Leute anzuziehen.
Allerdings hat die EU die Schweiz gemäss dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) in die Ländergruppe D eingeteilt, wie auch Grossbritannien. Das bedeutet, dass sie in Bereichen wie der Quantentechnologie oder der Raumfahrt, die die EU als strategisch erachtet, vorderhand nicht an Ausschreibungen teilnehmen kann. Die Schweiz ist damit schlechtergestellt als die drei EWR-Staaten. Sie muss mit Beitrittskandidaten und Ländern der Nachbarschaftspolitik der EU wie Israel oder Georgien ein Assessment durchlaufen.
Die Schweiz spreche mit der EU-Kommission über eine Teilnahme an den strategischen Bereichen, sagt Simone Keller, die Sprecherin des SBFI. Sie habe in diesen Bereichen oft eine weltweit führende Rolle. Die Schweiz ist gemäss einem Bericht der Europäischen Union das innovativste Land Europas. Ein Ausschluss sei für beide Seiten nachteilig, weil langjährige Forschungsarbeiten mit europäischen Partnern nicht weitergeführt werden könnten, sagt Keller. Die EU-Kommission evaluiert gegenwärtig die Unterlagen, die der Bund zu Horizon Europe eingereicht hat. Ende März hat sie die Schweiz bereits informiert, dass sie Zugang zu den strategischen Bereichen des Programms Digital Europe erhalte.
Die Schweiz sitzt in Brüssel am Tisch
Das Programmabkommen mit der EU erleichtert es, künftige Verträge mit der EU bei der Forschung und anderswo unter Dach zu bringen. Automatisch Zugang zum nächsten Forschungsprogramm der EU erhält die Schweiz jedoch nicht. Wie andere Nicht-EU-Länder muss sie jede Teilnahme an den mehrjährigen Programmen neu aushandeln.
Dies sei richtig, sagt Hengartner. Bevor der Inhalt des nächsten Forschungsprogramms klar sei, ergebe es wenig Sinn, ohne Wenn und Aber dabei sein zu wollen – obwohl die EU einen guten Job mache. Die Diskussionen für das nächste Forschungsprogramm laufen bereits. Es sei wichtig, dass die Schweiz am Tisch sitze und sich einbringen könne, auch wenn sie nicht mitentscheide, sagt Hengartner.
Der Bundesrat schickt das Programmabkommen nun in eine Konsultation bei den zuständigen Kommissionen des Parlaments. Kritik kommt von der SVP, der Partei Parmelins. Der Inhalt des geplanten EU-Vertrags sei noch nicht bekannt, und die Volksabstimmung dürfte frühestens 2027 stattfinden. «Trotzdem wollen die Schweiz-Müden im Bundesrat das Programmabkommen, das Teil des EU-Abkommens ist, bereits Ende Jahr umsetzen.» Die Absicht sei so durchsichtig wie verwerflich: Mit der vorzeitigen Anwendung sollten Fakten geschaffen werden, um dann dem Stimmvolk die Zustimmung zum «Unterwerfungsvertrag» abpressen zu können.
Es dürfte nicht der letzte Konflikt der SVP mit Parmelin bleiben, der als Mitglied einer Kollegialbehörde eine andere Rolle hat. Voraussichtlich erfolgt die Unterzeichnung der Verträge mit der EU im kommenden Jahr, wenn der Waadtländer zum zweiten Mal Bundespräsident wird.
–