Peking will familienfreundlichere Politik machen und lanciert einen Propaganda-Push fürs Kinderkriegen. Ob das die Geburtenrate aus der Versenkung holt?
Momo und Tantan heissen die beliebten Dating-Apps in China. Das Konzept ist dasselbe wie bei Tinder oder Bumble: unverbindliche Rendez-vous dank einem Fingerwisch und ein paar Chat-Nachrichten. Manche lernen so die Liebe fürs Leben kennen, die Mehrheit wohl eher die Liebe für eine Nacht.
Aus Sicht der Regierung in Peking ist diese Art von unbeschwertem Kennenlernen kaum zielführend. China kämpft seit Jahren mit einer sinkenden Geburtenrate. Seit 2022 schrumpft die Bevölkerung. Im vergangenen Jahr kamen nur knapp 9 Millionen chinesische Babys auf die Welt. Im Jahr 2016 waren es noch fast doppelt so viele gewesen.
Auch heiraten wollen die Chinesinnen und Chinesen immer seltener. Peking will nun das Verkuppeln selbst in die Hand nehmen und Plattformen für die Partnersuche von jungen Leuten entwickeln. Das gab die Regierung am Montag bekannt.
Staatlich gesponserte Dating-Apps sind Teil einer Reihe von insgesamt 13 neu beschlossenen Massnahmen, die Chinas Gesellschaft familienfreundlicher machen sollen. Sie sind gezielt und setzen an den richtigen Punkten an: den hohen Kosten für Familien und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So sollen die Kosten für Betreuung und Gesundheit von Kindern unter drei Jahren von den Einkommenssteuern abgezogen werden können bis zu einer Deckelung von monatlich 2000 Yuan (umgerechnet 240 Franken). Angebote für Kinderbetreuung sollen ausgeweitet werden, die Wohnungspolitik verbessert. Eltern sollen zeitlich flexibler und von zu Hause aus arbeiten können.
Wie diese Massnahmen konkret umgesetzt werden sollen und in welchem Zeitrahmen, gab der Staatsrat der Volksrepublik am Montag nicht bekannt. Die Verantwortung dafür liegt vorwiegend bei den Provinzregierungen.
Landesweit flankiert wird die neue Familienpolitik jedenfalls von einer «Kultur des Heiratens und Kinderbekommens», die die Regierung durch Propaganda in der Bevölkerung verbreiten möchte. Fernsehserien, Comedy-Shows oder die Artikel zum Thema müssen künftig eine «positive Sicht» auf die Familiengründung vermitteln. Im Umkehrschluss ist das Gelegenheitsdating, wie es auf Apps wie Momo oder Tantan stattfindet, wohl eher verpönt.
Verkupplungsversuche der Regierung – oder der eigenen Eltern
Wie die Partnervermittlung in den Händen der Regierung aussehen könnte, dafür gibt es bereits Beispiele. Verschiedene Lokalregierungen haben als Reaktion auf den zunehmenden Druck aus Peking Speed-Dating-Veranstaltungen durchgeführt. Ähnlich verfahren übrigens die Lokalregierungen in Südkorea, wo die Geburtenrate noch tiefer ist. Das Problem: Die staatlichen Partnerbörsen kommen bei den Männern gut an, Frauen melden sich kaum. Umfragen zeigen, dass Südkoreanerinnen im Vergleich zu den Männern ein geringeres Interesse am Heiraten und Kinderkriegen haben.
Eine Kleinstadt im Osten Chinas, Guixi, ist vergangenes Jahr mit einer eigenen digitalen Lösung vorgeprescht, die keine Anmeldung braucht. Der Partnervermittlungsdienst Palm Guixi erfasse alle unverheirateten Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt in einer Datenbank und organisiere auch Blind Dates, berichtete die parteinahe Zeitung «China Youth Daily» letztes Jahr.
Die Reaktionen auf die Initiative waren gemischt. Einige Nutzer sorgten sich um den Schutz privater Daten, wie des Zivilstands, der durch die App für alle sichtbar sei. Andere befürworteten den Dienst und sagten, eine staatliche Partnervermittlung sei vertrauenswürdiger als eine private.
Die chinesischen Dating-Apps sind tatsächlich zu einem Tummelplatz für Betrüger und Prostituierte geworden, eine seriöse Partnersuche findet anderswo statt. Junge Leute, die ernsthaft heiraten wollen, verlassen sich teilweise wieder vermehrt auf die Empfehlungen ihrer Eltern, die in ihrem Bekanntenkreis nach vielversprechenden Söhnen und Töchtern suchen und über deren Eltern ein Treffen einfädeln.
Frauen sind der entscheidende Faktor
Das Thema der tiefen Geburtenrate ist in China mittlerweile ein heikles. Die neuen Massnahmen der Zentralregierung durften denn auch nicht kritisch diskutiert werden. Die Kommentare unter Nachrichten zum Thema waren deaktiviert.
Zweifelhaft ist auch, ob die Massnahmen etwas bringen werden. In der Demografie geht man davon aus, dass geburtenfördernde Politik nur geringfügige Verbesserungen der Geburtenrate zur Folge hat. Finanzielle Anreize haben eine begrenzte Wirkung. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten, die China gerade durchmacht, entscheiden sich Paare tendenziell eher gegen weitere Kinder. Entscheidend sind wohl, genauso wie in Südkorea, die Frauen: Sie haben mittlerweile dank ihrem höheren Bildungsstand die Wahl, sich für oder gegen eine Ehe mit oder ohne Kinder zu entscheiden. Immer mehr Frauen schieben die Entscheidung hinaus und widerstehen dem Druck der Familie und der Gesellschaft.