In Yiwu, einer kleinen Stadt im Osten Chinas, bieten mehr als 70 000 kleine und grosse Firmen ihre Waren für den Weltmarkt an. Trumps Zollorgie sorgt dort für Wut und Entsetzen. Ein Stimmungsbericht.
Weihnachtsschmuck, so weit das Auge reicht. Bunte Lichterketten, aufblasbare Weihnachtsmänner, mit Kunststoffschnee bestäubte Tannen: In den schier endlosen Gängen des Grossmarktes in Yiwu reiht sich ein Geschäft mit Weihnachtsartikeln an das andere. Manche der Läden sind kaum grösser als ein Kiosk.
In Yiwu hat das Weihnachtsgeschäft begonnen. Jetzt, im April, reisen Einkaufsmanager aus der ganzen Welt in die 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt in der Provinz Zhejiang und geben ihre Bestellungen für die kommende Saison auf.
Rund 90 Prozent aller weltweit verkauften Weihnachtsartikel werden in Yiwu bestellt; drei von vier Plastik-Weihnachtsbäumen, die in amerikanischen Wohnzimmern stehen, kommen aus der Stadt im Osten Chinas.
Der Handelszwist ist in Yiwu angekommen
Der Handelsstreit zwischen China und den USA ist denn auch längst in Yiwu angekommen. Angst vor den Amerikanern habe sie nicht, schimpft eine Ladeninhaberin, China sei sowieso stärker. Weil sie Angst vor möglichen Repressalien der chinesischen Behörden hat, will die junge Chinesin ihren Namen nicht in der Zeitung lesen.
Die Geschäftsfrau ist Chefin von Chenxiu Christmas. Natürlich verkauft sie auch in die USA, doch vor den schwindelerregenden Zöllen, mit denen der US-Präsident Donald Trump Einfuhren aus China belegt hat, fürchtet sie sich nicht. Die Chinesin hat ein Schlupfloch gefunden.
Sie verkaufe jetzt viele ihrer Produkte nach Mexiko, sagt sie, während sie mit zwei Geschäftsmännern aus dem mittelamerikanischen Land verhandelt, von dort gehe der Weihnachtsschmuck in die USA. Auf Waren aus Mexiko fällt in den USA nur ein Zoll in Höhe von 25 Prozent an.
Ein Seismograf für die Stimmung
Der Grossmarkt in Yiwu ist so etwas wie ein Seismograf für die Stimmung unter chinesischen Exportfirmen. Einst von Händlern aus dem Nahen Osten gegründet, beherbergt der riesige Basar heute mehr als 70 000 kleine und grosse Firmenrepräsentanzen.
Die riesigen Hallen sind von langen Gängen durchzogen. Links und rechts stellen die Firmen in kleinen Läden ihre Produkte aus. Die aus aller Welt angereisten Einkäufer bestellen direkt in den Läden.
Barbiepuppen, Schlagbohrmaschinen, Plastikblumen, Spielzeug-Drohnen und eben Weihnachtsschmuck: Vieles von dem, was in den Regalen von Supermärkten und Kaufhäusern rund um den Globus steht, hat seinen Ursprung in Yiwu. Die meisten der Produkte werden in nah gelegenen Fabriken produziert.
Während der Covid-Pandemie war der Grossmarkt über viele Monate verwaist. Doch das Genick gebrochen hat das Virus dem Markt nicht. Kurz nach dem Ende der Null-Covid-Politik erlebte Chinas Exportsektor einen kräftigen Aufschwung. Jetzt, da Trump für Einfuhren aus China Zölle in Höhe von 125 Prozent erhebt, greift in Yiwu ein von Nationalismus befeuerter Trotz um sich.
«Der Gewinner heisst China»
Chinas Führer seien sehr fähig, sagt die Inhaberin von Chenxiu Christmas mit Blick auf die chinesische Regierung und fügt hinzu, der Gewinner werde am Ende China heissen. Schliesslich habe ihr Land zahlreiche erfolgreiche Unternehmen wie etwa den Telekomausrüster und Handyhersteller Huawei hervorgebracht.
Es gilt allerdings als sicher, dass Chinas Wirtschaft unter den US-Zöllen leiden wird. Zwar konnten die Ausfuhren im März im Jahresvergleich noch einmal um kräftige 12,4 Prozent zulegen. Doch inzwischen dürften die Exporte in die USA zum Erliegen gekommen sein. Trumps, wohl auch aus Furcht vor leeren Regalen, verfügte vorübergehende Aufhebung der Zölle auf Elektronikprodukte dürfte daran wenig ändern.
Chinas Führung weiss, dass der US-Präsident der Wirtschaft einen Schlag versetzt hat. Die Machthaber in Peking sind sich allerdings sicher, dass sie die Wirtschaft des Landes mit gezielten Stimulusmassnahmen vor dem Absturz bewahren können.
Die Regierung will China neue Absatzmärkte erschliessen
Darüber hinaus setzt die Regierung zu einer Charmeoffensive an, um die Beziehungen zu anderen Ländern zu verbessern. Das Ziel: die Erschliessung neuer Absatzmärkte. Am Montag ist der Staats- und Parteichef Xi Jinping zu einer Reise nach Vietnam, Kambodscha und Malaysia aufgebrochen.
Mit den zehn südostasiatischen Staaten des Asean-Bündnisses hat China vor einigen Jahren ein Freihandelsabkommen geschlossen. Gleichzeitig macht sich Peking daran, das angespannte Verhältnis zur Europäischen Union zu entkrampfen. Hier dürften die Erfolgsaussichten allerdings bescheiden sein.
Nach Meinung der Inhaberin von Chenxiu Christmas ist das Verhältnis zu den USA hoffnungslos zerrüttet. Unter dem Präsidenten Barack Obama sei es noch halbwegs gegangen, sagt die Geschäftsfrau, doch danach sei es nur noch bergab gegangen. Zum Glück unterhalte China gute Beziehungen zu vielen anderen Ländern.
Das Management des Grossmarktes befragt derzeit alle Ladenbetreiber zu ihren Erwartungen für das US-Geschäft.
Eine Etage unter dem Laden Chenxiu Christmas stellt eine zierliche Frau die Produkte ihrer Firma aus: buntes Spielzeug, unter anderem Slime, eine bunte klebrige Masse, mit der Kinder im Westen gern spielen.
Natürlich spüre sie die US-Zölle, sagt die Geschäftsfrau. Einige ihrer Abnehmer in den USA hätten ihr bereits gesagt, dass wegen der Zölle ihre Kosten stiegen. Doch manche von ihnen hätten auch in jüngster Zeit noch Ware bestellt. Die Preise senken wird die Chinesin wegen der Zölle allerdings nicht, wie sie sagt.
Hoffnung auf ein besseres Verhältnis zu Europa
Die Chefin hofft jetzt, dass sich das Verhältnis zu den europäischen Ländern entspannt. Schon jetzt machen Kunden in Europa, vor allem in Deutschland, einen Grossteil ihres Geschäfts aus. Den möglicherweise wegfallenden Absatz in den USA hofft sie, durch neue Abnehmer in Europa wettmachen zu können.
Wie die Inhaberin von Chenxiu Christmas ist auch sie sich sicher, dass China aus dem Handelskonflikt mit den USA am Ende gestärkt hervorgehen wird. Sie glaube an die Stärken ihres Landes, sagt die junge Geschäftsfrau. Die Führung in Peking wisse, wie sie mit diesem Konflikt umzugehen habe.
Wie so oft, wenn China von aussen unter Beschuss steht, schliesst das Volk die Reihen. Der Patriotismus kennt in diesen Tagen keine Grenzen.