Polens Regierungschef wollte die strenge Gesetzgebung zur Abtreibung liberalisieren. Daran ist er gescheitert. Weil auch sonst Erfolge ausbleiben, droht Tusks heterogener Koalition eine Krise.
Vor Beginn der Sommerpause wollte Polens Ministerpräsident zeigen, dass er Wahlversprechen einlöst um dann mit Rückenwind in den Herbst starten. So hatte Donald Tusks Koalition gelobt, mit der Misswirtschaft unter der ehemaligen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) abzurechnen und deren Abtreibungsverbot rückgängig zu machen.
Stattdessen musste die Regierung zwei peinliche Pleiten einstecken: Rebellen aus den eigenen Reihen stimmten mit der konservativen Opposition gegen eine Aufhebung von Bestrafungen für Abtreibungsärzte. Zudem zwang ein Gericht die Behörden, einen wegen Veruntreuung verhafteten Vize-Minister der Vorgängerregierung sofort freizulassen.
Abtreibung als Streitthema
Dass der rechte und linke Flügel der Koalition bei der Abtreibungsfrage nicht auf der gleichen Linie liegen, war bekannt: Die konservative Bauernpartei akzeptiert höchstens eine Rückkehr zur bereits sehr strengen Regelung, die vor dem faktischen Verbot ab 2020 galt. Die Linken haben ihren Wählern hingegen eine Fristenlösung versprochen, die auch Tusk unterstützt.
Die Entkriminalisierung der Ärzte hätte diesen Streitpunkt nicht direkt tangiert. Doch die Bauernvertreter lehnten selbst die inhaltlich relativ unbestrittene Vorlage ab, weil sie in dieser gesellschaftspolitischen Frage keine Kompromissbereitschaft signalisieren wollten. Der Taktiker Tusk hatte sich verkalkuliert. Er reagierte sichtbar verärgert und suspendierte den stellvertretenden Fraktionsführer seiner Partei, der ebenfalls gegen die Vorlage gestimmt hatte.
Ziemlich unsouverän geht die Regierung auch bei der Verfolgung der Misswirtschaft vor: Zwar sind die Vorwürfe gegen den ehemaligen Vize-Justizminister Marcin Romanowski, öffentliche Gelder für den Wahlkampf seiner Partei entwendet zu haben, durchaus plausibel. Doch die medial ausgeschlachtete Festnahme Romanowskis erwies sich als Bumerang: Zwar hatte das Unterhaus dem nunmehrigen Abgeordneten die Immunität entzogen. Doch das Justizministerium übersah, dass Romanowski als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates weiterhin Immunität geniesst.
In beiden Fällen wäre ein Erfolg für die Regierungsallianz umso wichtiger gewesen, als sie bei ihrem Vorhaben, die rechtsstaatlichen Rückschritte unter der PiS wettzumachen, bisher hinter den Erwartungen zurückbleibt. Zwar hat die EU das vor Tusks Wahlsieg zurückbehaltene Geld weitgehend freigegeben. Doch die versprochene Entpolitisierung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Medien bleibt grösstenteils blockiert.
Fundamentalopposition von Präsident und Verfassungsgericht
Verantwortlich dafür sind in erster Linie die Fundamentalopposition des Staatsoberhaupts und des Verfassungsgerichts. Auf beiden Positionen sitzen Loyalisten der PiS. Präsident Duda hat bereits sein Veto gegen Vorlagen eingelegt oder damit gedroht, das Verfassungsgericht hat mehrere Vorlagen gestoppt.
So ermüdend die Grabenkämpfe sind – von der Polarisierung profitieren potenziell beide Seiten, da sie die Wähler mobilisieren. Dafür müsste die Regierungsallianz aber eine grössere Zahl von Vorlagen liefern, die der Präsident politisch bekämpfen muss. Dies gelingt ihr wegen ihrer aufreibenden internen Abstimmungsprozesse zu selten; die Urnengänge seit der Parlamentswahl im letzten Herbst haben sie kaum gestärkt. Auch liefert sie so keine zusätzlichen Argumente gegen Duda bei der Präsidentenwahl im nächsten Jahr.
Stattdessen liefert die Koalition selbst wohlgesinnten Experten und Medien mit einem wenig durchdacht wirkenden Vorgehen Stoff für Kritik. Dass das Justizministerium nie schlüssig darlegte, auf welcher rechtlichen Grundlage es die zum PiS-Propagandasender mutierte öffentliche Fernsehanstalt TVP neu aufstellte, ist nur ein Beispiel.
Die Regierung begründete ihre umstrittenen Schritte nicht nur in diesem Fall mit einer aus der Blockadepolitik des Präsidenten entstandenen Notlage. Das Argument mag eine gewisse Plausibilität besitzen. Es erinnert aber auch fatal an das Vorgehen der PiS, die wichtige Reformen oft in Nacht-und-Nebel-Aktionen durchdrückte. Eine Koalition, die Polen nicht weniger als die Rückkehr zur Demokratie versprach, muss sich an höheren Standards messen lassen.
Der Wunsch nach Rache
Gleichzeitig gibt es unter den Wählern der Regierenden aber einen Wunsch nach Rache für die als erniedrigend empfundenen acht Jahre unter PiS-Herrschaft. Sie wollen jene bestraft sehen, die ihre Macht missbrauchten. Um sie zu besänftigen, liess Tusk nach der Freilassung Romanowskis auf dem Messenger-Dienst X (früher Twitter) verlauten, dieser sei zwar wie in einem Gangsterfilm entkommen, werde aber früher oder später bestraft.
Damit, so die liberale Zeitung «Rzeczpospolita», spiele er aber jenen in die Hände, welche die Strafverfolgung von PiS-Exponenten als politisch motiviert bezeichnen. Mit solcher Rhetorik zeigt Tusk wenig Respekt für die Gewaltenteilung. Aber sie lenkt vom eigenen Unvermögen und der drohenden Blockade durch den Dissens in den eigenen Reihen ab. Dadurch droht eine grössere Regierungskrise.