Südkorea ist eines der führenden Länder in der Digitalwirtschaft. Seit Jahren grassiert die Cyber-Sex-Kriminalität. Der Regierungschef will die Vergehen mit Drogendelikten gleichstellen – und hart bestrafen.
Der Chatdienst Telegram ist berühmt für die Anonymität der Nutzer – und in Südkorea berüchtigt. Ein Skandal um den Vertrieb von Pornobildern, die mit künstlicher Intelligenz (KI) verfälscht wurden und minderjährige Schülerinnen und Lehrerinnen zeigen, erschüttert seit Wochen die Hightech-Nation.
Bei diesen sogenannten Deepfakes können mit KI-Programmen künstliche, aber echt wirkende Bilder von realen Personen erzeugt werden. Seit Anfang des Jahres wurden laut dem Bildungsministerium mehrere hundert Deepfakes mit pornografischem Inhalt in Schulen und Universitäten gemeldet.
Das Thema ist in Südkorea brisant. Der Staatspräsident Yoon Suk Yeol forderte bereits alle Behörden auf, die Vorfälle zu untersuchen und die Anbieter zu bestrafen. Denn der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine Schattenseite der globalen Führungsposition Südkoreas in der digitalen Wirtschaft. In kaum einem Land wird mobiles Breitband-Internet stärker genutzt als in der ostasiatischen Exportnation. Aber auch bei Cybersex-Delikten ist Südkorea führend.
Deepfakes als Geschäftsmodell
Security Hero, ein Beratungsunternehmen für Cybersicherheit, schreibt in seinem «2023 Deepfake Report»: «Südkorea führt die Liste der Länder an, die anfällig für Deepfake-Inhalte für Erwachsene sind.» Demnach fanden 53 Prozent der global registrierten Deepfakes prominenter Künstler in Südkorea statt.
Acht von zehn der am häufigsten betroffenen Sänger und Sängerinnen stammten aus Südkorea. Die südkoreanische Tageszeitung «Hankyoreh» hat nun aufgedeckt, dass das Problem viel grösser ist – und ein florierendes Geschäft.
Die Zeitung beschrieb kürzlich, wie sich ihre Journalisten Zugang zu einem Telegram-Chatroom mit mehr als 200 000 Nutzern verschafft hatten, von denen eine unbekannte Zahl aus dem Ausland stammt. Als eine Journalistin dem Kanal beitrat, poppte die Aufforderung auf, «ein Foto einer Frau hochzuladen, die Ihnen gefällt». Die Reporterin lud daraufhin ein von einer künstlichen Intelligenz erstelltes Foto einer Frau hoch. Innerhalb von fünf Sekunden generierte der Kanal ein Deepfake-Nacktfoto von diesem Bild.
Das Deepfake-Tool ermöglichte es den Nutzern sogar, die Körperteile des Bildes an ihren Geschmack anzupassen. Zwei Bilder waren kostenlos, jedes weitere wurde mit einem «Diamanten», einer eigenen Währung, berechnet. Ein Diamant entspricht 650 Won (0,41 Franken). Bei grösseren Abnahmemengen gab es sogar Rabatte. Kim Hye Jung, Leiterin des Korea Sexual Violence Relief Center, bilanzierte gegenüber der Zeitung «Hankyoreh», es müsse von einer grossen Nachfrage ausgegangen werden.
Ein Skandal mit Vorgeschichte
In Südkorea wurden in den letzten Jahren mehrere schwere Cyber-Delikte registriert. Beim Fall «Nth Room» im Jahr 2020 erpressten Moderatoren aus Telegram-Kanälen Mädchen und Frauen mit Nacktfotos und pornografischen Szenen.
Dies war nicht der einzige Fall. Der «Doctor’s Room» kopierte das Geschäftsmodell. Doch statt Reichtum brachte es den zwei Haupttätern vor allem hohe Haftstrafen ein. «God God» vom Nth Room, mit bürgerlichem Namen Moon Hyun Wook, wurde zu 34 Jahren Haft verurteilt, der «Doktor» Cho Joo Bin sogar zu 45 Jahren.
Seither reagiert der Staat – vor allem mit juristischen Mitteln. Anfang September gab die Polizei bekannt, dass seit 2021 insgesamt 403 Personen verhaftet wurden, weil sie gefälschte Pornovideos produziert hatten. Doch Won Eun Ji von der Bürgerinitiative Team Flame, die verschiedene Cyber-Verbrechen aufgedeckt hat, hält die Massnahmen für ungenügend. Digitale Sexualverbrechen, die Deepfake-Technologie nutzten, müssten breiter angegangen werden, erklärte sie in einem Beitrag für «Hankyoreh». Es habe zwar Berichte über Deepfake-Rachepornos gegeben. Aber erst nach den jüngsten Enthüllungen würde die Polizei auch gegen die Betreiber der Telegram-Freundschaftsräume vorgehen.
Andere Experten bemängeln, dass es im Gegensatz zu Ländern wie Finnland und Deutschland in den Schulen keine umfassende Aufklärung über die Gefahren des Internets und Medienkompetenz gebe. Ob sich dies nun ändern wird, da sich dieser Fall vor allem an Schulen ereignet hat, ist allerdings fraglich. In ersten Reaktionen forderten Politiker beider grossen Parteien zunächst härtere Strafen für die Täter.
Die Abgeordnete der linken Oppositionspartei Hwang Jung A sagte: «Digitale Sexualverbrechen sollten als schwere Straftaten behandelt werden, weil sie sich so schnell verbreiten und nur mit einem Smartphone und einem Computer begangen werden können.»
Premierminister Han Duck Soo forderte, gegen diese Verbrechen beinahe so hart vorzugehen wie gegen Drogen. Das Parlament solle neue Regelungen prüfen, sagte Han. «In solchen Fragen sollte die Aufklärung mit der Bestrafung einhergehen.» Allerdings müssen die Behörden die anonymen Hintermänner der Deepfakes erst einmal dingfest machen.