Studierende protestieren an Universitäten in ganz Amerika gegen den Krieg in Gaza. Angefangen hat alles am 17. April an der New Yorker Columbia-Universität. Inzwischen wurden Hunderte Demonstranten verhaftet. Die wichtigsten Entwicklungen.
Die neusten Entwicklungen
- In der Nacht auf Dienstag (30. 4.) sind an der New Yorker Elite-Universität Columbia Demonstranten in die Hamilton Hall eingedrungen. Es handelt sich um ein Gebäude, das bereits während der Proteste gegen den Vietnamkrieg besetzt worden war. Vermummte Personen schlugen Fenster des Gebäudes ein und verbarrikadierten die Zugänge mit Tischen und Stühlen. Die Polizei hielt sich ausserhalb des Campus für den Fall bereit, dass es Verletzte gebe. Am Montag hatte die Leitung der Columbia-Universität angekündigt, demonstrierende Studenten zu suspendieren, wenn sie ihr Protest-Camp nicht bis am Nachmittag räumen würden.
- Die amerikanische Regierung hat am Sonntag (28. 4.) angesichts der aufgeheizten Stimmung bei propalästinensischen Demonstrationen an amerikanischen Universitäten zu einem Gewaltverzicht aufgerufen. Das Weisse Haus teilte mit, es überlasse den lokalen Behörden die Entscheidung, wie mit den jeweiligen Protesten umzugehen sei. Friedliche Demonstrierende dürften jedoch nicht verletzt werden. Gleichzeitig verurteilte das Weisse Haus antisemitische Äusserungen, Hassrede und Androhungen von Gewalt.
- Seit dem 18. April wurden laut der «Washington Post» landesweit mehr als 900 Personen festgenommen. In vielen Fällen kamen sie laut den Berichten schnell wieder frei. Etliche Demonstrierende wurden allerdings von Lehrveranstaltungen ausgeschlossen oder dürfen die Campus nicht mehr betreten. Teilweise gibt es auch Berichte über Zusammenstösse zwischen Demonstrierenden aus gegnerischen Lagern, wie am Sonntagnachmittag (28. 4.) an der University of California.
Worum geht es?
Seit Mitte April brodelt es an den amerikanischen Universitäten. Propalästinensische Demonstrationen erfassen inzwischen fast das ganze Land, die grossen Eliteuniversitäten ebenso wie kleinere Colleges. Das Markenzeichen des Protests sind die Zeltlager vor den Hauptgebäuden, mit welchen die Demonstranten den Unterricht und das studentische Leben an den Hochschulen empfindlich stören.
Das letzte Mal wurden Zeltlager bei der antikapitalistischen Protestbewegung «Occupy Wall Street» im Jahr 2011 auf den Universitätsgeländen aufgebaut. Wie diese vereint auch die Stop-Gaza-Bewegung vielerlei Gesinnungen und Gefühle: Es vermischen sich Emotionen zum Gaza-Krieg mit offenem Antisemitismus, die Forderung nach einem palästinensischen Staat mit Postkolonialismus-Theorien.
Wo hat alles angefangen?
An der Columbia University in New York ging es los: Am 17. April, während der Kongressanhörung der Columbia-Präsidentin Minouche Shafik, verkündeten Mitglieder der Gruppe Columbia Students for Justice in Palestine mit einer Nachricht, dass sie den Rasen vor dem Hauptgebäude besetzt hätten. Sie erklärten den Campus zur «befreiten Zone». Jüdische Studierende sagten, ihre Sicherheit sei gefährdet.
Shafik, die vor dem Kongress jeglichen Antisemitismus verurteilt hatte, rief die Polizei. Diese räumte das Zeltlager, und es kam zu mehr als hundert Verhaftungen. Doch die Massnahme war nicht nachhaltig; die Gaza-Demonstranten waren bald zurück und schlugen rund achtzig Zelte auf.
Präsidentin Shafik hat ein Ultimatum für eine Einigung gesetzt, das am Montagnachmittag auslief. In der Nacht auf Dienstag (30. 4.) verschafften sich einige Demonstranten gewaltsam Zutritt zur Hamilton Hall und verbarrikadierten sich im Gebäude. Die Universitätsleitung hatte bereits zuvor vorsorglich beschlossen, dass der Unterricht bis Ende Semester online stattfindet.
Nachdem die Columbia University Mitte April die polizeiliche Räumung veranlasst hatte, sprang der Funke auf zahlreiche Universitäten im ganzen Land über, wo sich Studenten mit den New Yorker Aktivisten solidarisierten. Die Polizei intervenierte an verschiedenen Schauplätzen – es kam landesweit bisher zu insgesamt 900 Verhaftungen.
Was fordern die Studierenden?
Die Studenten fordern von den Hochschulen, dass sie akademische Beziehungen mit israelischen Institutionen kappen und sich von Investitionen zurückziehen, die in irgendeiner Weise mit Israel oder dem Krieg in Gaza zu tun haben. Den israelischen Krieg gegen die Hamas nennen die propalästinensischen Demonstranten einen Genozid. Die israelische Militäroperation erfolgte nach dem Massaker der Hamas an Israeli am 7. Oktober 2023.
Wie gehen die Universitätsleitungen mit den Protesten um?
Die Universitätsleitungen reagieren sehr unterschiedlich. Einige lassen die Zeltlager zu und verhandeln mit den Studierenden. Andere lassen den Campus sofort polizeilich räumen. Es scheint, als hätten viele Hochschulen von den Ereignissen an der Columbia University gelernt: Sie versuchen, Besetzungen so schnell wie möglich zu beenden.
Die Proteste stürzen die Universitäten in ein grundsätzliches Dilemma: Sie sind verantwortlich für die Sicherheit der Studierenden, sind aber auch der Meinungsfreiheit verpflichtet. Zudem befürchten sie, dass Repression nur zu noch stärkeren Protesten führt. Hinzu kommt: Teile der Professoren und des Mittelbaus solidarisieren sich mit den Demonstranten und nehmen an den Protesten aktiv teil.
Welche Universitäten sind betroffen?
Grössere Demonstrationen fanden an Hochschulen in den Grossstädten der Ost- und der Westküste statt, aber auch in Minnesota, Ohio, Indiana oder Tennessee. Die Proteste verliefen bisher grösstenteils gewaltlos. Nebst der Columbia University gab es grössere Polizeieinsätze an der Emory University in Atlanta, wo die Polizei Taser und Pfefferspray einsetzte. Und an der University of Southern California in Los Angeles, wo die Universitätsleitung die Graduierungsfeier absagte, aus Angst vor Ausschreitungen.
In der liberalen Hauptstadt im konservativen Texas kam es zu besonders heftigen Zusammenstössen zwischen den Demonstranten und berittenen Polizisten. Fast sechzig Personen wurden an der University of Texas in Austin festgenommen. Der republikanische Gouverneur Greg Abbott will auch künftig hart gegen die propalästinensischen Demonstranten vorgehen. Er schrieb, er werde sie so lange verhaften lassen, bis die Proteste aufhörten. Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) von Texas warnte vor gewaltsamen Polizeieinsätzen und verlangte sichere Zonen für die Proteste.
Wie könnte es weitergehen?
Das Semester dauert nicht mehr lange. Im Mai finden die Abschlussprüfungen statt, und dann herrscht Sommerbetrieb an den Universitäten. Allerdings kann der Sommer – das zeigten die «Black Lives Matter»-Proteste 2020 – auch zur heissen Phase werden, insbesondere in einem Wahljahr.
Am Sonntag (28. 4.) teilte die amerikanische Regierung durch John Kirby, den Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, mit, dass sie den lokalen Behörden die Entscheidung überlasse, wie mit den Protesten umzugehen sei. Kirby sagte, friedliche Demonstranten dürften nicht verletzt werden. Gleichzeitig sprach er sich gegen Antisemitismus, Hassrede und Androhungen von Gewalt aus. Präsident Biden braucht für seine Wiederwahl die Stimmen aus dem propalästinensischen Lager in den USA. Speziell im Swing-State Michigan ist er auf die Unterstützung der arabischstämmigen Bevölkerung angewiesen.
Im Juli und August finden die Parteitage der Demokraten in Chicago und der Republikaner in Milwaukee statt. Sie könnten zu einem Anziehungspunkt für die Bewegung werden. Es wird sich zeigen, ob die Polizeieinsätze die Proteste unterdrücken können. Wahrscheinlicher ist, dass sie abseits der Campus weitergehen.
Mit Agenturmaterial