Die Verschwörungstheorie QAnon ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die Ideen hinter der Bewegung sind aber teilweise salonfähig geworden und dürften bei einem Wahlsieg Trumps aufblühen.
Was ist eigentlich aus QAnon geworden? Vordergründig ist es ruhig geworden um die Verschwörungstheorie. Das heisst aber nicht unbedingt, dass sie verschwunden ist. Vielmehr sind einige ihrer zentralen Inhalte rund um Pädophilie und Kinderhandel im rechten Mainstream angekommen, wo sie ein breiteres Publikum erreichen als noch vor ein paar Jahren.
Trumps Wahlkampf und der Capitol-Sturm
Ein Blick zurück: Die Verschwörungstheorie verbreitete sich während Trumps Wahlkampf im Sommer 2020 und erreichte den Gipfel ihrer Popularität beim Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021, wo QAnon-Anhänger tatkräftig mitmachten. Das Bild des «QAnon-Schamanen» ging um die Welt. Es gab damals Umfragen, die zeigten, dass etwa ein Viertel der Amerikaner und die Hälfte der Trump-Anhänger an die QAnon-Ideen glaubten.
Es begann 2016 mit der Unterstellung, hochrangige Demokraten, unter ihnen Hillary Clinton, unterhielten von einer Pizzeria in Washington aus einen internationalen Kinderhandelsring, um Minderjährige zur Prostitution zu zwingen. Später hiess es, die satanistischen Linken folterten und töteten die Kinder, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Die Anhänger glaubten auch, dass diese geheime Elite den angeblichen «Deep State» kontrolliere und insgeheim die Fäden hinter den Kulissen ziehe. Trump wurde als Retter gesehen, der in einer Art Endschlacht, «Storm» genannt, die Übeltäter demaskieren und zur Rechenschaft ziehen würde.
Das Besondere und Neue an QAnon war, dass es keine organisierte Sekte mit einem Guru und einer Hierarchie war. Es handelte sich primär um ein Internetphänomen rund um den ominösen Q, einen angeblich ranghohen Mitarbeiter in der Regierung Trumps mit Zugang zu geheimen Informationen. Ab 2017 postete er seine vieldeutigen Nachrichten, die Zehntausende von Exegeten auf Trab hielten; sie deuteten in den sozialen Netzwerken die «Enthüllungen» und Voraussagen aus und drehten sie weiter.
Zwei Ereignisse begünstigten vermutlich die Verbreitung von QAnon: erstens die Corona-Pandemie, die generell zu einem Aufblühen von Verschwörungstheorien führte, zweitens die Verhaftung von Jeffrey Epstein, der im August 2019 in einem New Yorker Gefängnis Suizid beging. Der Milliardär mit seinen einflussreichen Freunden hatte einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Jugendlichen unterhalten. Sein Beispiel diente QAnon als «Beweis», dass die ganze demokratische Elite pädophil sei, mitsamt antisemitischem Unterton.
Nach Epsteins Tod, Bidens Amtsantritt und dem Abflauen von Corona wurde es ruhiger um QAnon. Gleichzeitig mit Trumps Abgang verstummte auch Q. Sprachanalysen ergaben 2022, dass es sich bei Q vermutlich um zwei Männer, einen Amerikaner und einen Südafrikaner, handelte, die schon früher durch Verschwörungstheorien aufgefallen waren, allerdings nichts mit der Regierung zu tun hatten.
Die angebliche Sexualisierung von Kindern in der Schule
Dass die Bewegung leiser wurde, liegt auch daran, dass sich die Prophezeiung des grossen «Sturms» nicht bewahrheitete und dass sie aus den grossen sozialen Netzwerken verbannt wurde. Inzwischen sind ihre Slogans zwar auf X wieder zugelassen und werden auch in Trumps Netzwerk Truth Social und auf anderen marginalen Kanälen weiterhin verbreitet, in der breiteren Öffentlichkeit wird sie jedoch kaum noch intensiv wahrgenommen.
Interessant ist jedoch, dass sich einige QAnon-Ideen transformiert haben und in verbreitete Diskurse eingedrungen sind, die zumindest explizit nichts mit QAnon zu tun haben. Das ist die These des «Washington Post»-Mitarbeiters Will Sommer, Autor des Buches «Trust the Plan: The Rise of QAnon and the Conspiracy That Unhinged America».
«QAnon und viele der Ideen, die in ihrem Zentrum standen, wurden in die Republikanische Partei eingebunden», sagt er. Zwar seien einige Elemente der QAnon-Ideologie bei dieser «Assimilation» in den Hintergrund gerückt: etwa die Theorie, dass Demokraten um Hillary Clinton Kinderhandel betrieben und aus Embryos Verjüngungsserum herstellten. Die Pädophilie-Panik sei aber weiterhin verbreitet und geistere in neuem Gewand unter dem Stichwort «Grooming» herum. Grooming meint dabei die «sexuelle Zurichtung» der Kinder durch Pädophile mit dem Ziel, sie zu verführen oder zu missbrauchen.
Ein Beispiel war das 2022 in Florida eingeführte Gesetz, das die Thematisierung sexueller Orientierung und Geschlechteridentität im Primarschulunterricht untersagt. Das «Don’t Say Gay»-Gesetz, wie es Gegner nennen, war eine Herzensangelegenheit von Gouverneur Ron DeSantis. Seine Sprecherin, Christina Pushaw, schrieb auf der Plattform X, wer sich dagegenstelle, sei wahrscheinlich selbst ein «Groomer» oder es mache ihm zumindest nichts aus, wenn Kinder sexuell verführt würden.
Jenseits der sachlichen Frage, welcher Sexualunterricht für welche Altersgruppe angemessen ist: Solche Vorwürfe stellen sowohl LGBT-Menschen wie auch Lehrkräfte unter Generalverdacht. Die Popularisierung dieser sogenannten «Grooming-Verschwörungstheorie» wird vor allem auf den konservativen Aktivisten Christopher Rufo zurückgeführt. In denselben Kontext gehört die Verbannung von Büchern mit LGBT-Inhalten aus öffentlichen Bibliotheken oder der Angriff gegen Disney World unter dem Vorwurf, dort werde Pädophilie propagiert.
Zunehmende Verbreitung im Kongress
Das Thema dominierte im Sommer 2022 auch die Anhörung von Ketanji Brown Jackson als neuer Richterin für den Supreme Court im Senat. Ihr wurde unter anderem vom republikanischen Senator Josh Hawley vorgeworfen, einige pädophile Straftäter zu nachsichtig behandelt zu haben. Den Vorwurf konnte Brown Jackson leicht entkräften.
Die Rede von Kinderschändern und «Grooming» ist heute unter vielen Rechtskonservativen so normal geworden, dass sie gar nicht mehr als Verschwörungstheorie wahrgenommen wird. Ironischerweise traf es am Ende sogar Gouverneur DeSantis; Trump insinuierte während der republikanischen Vorwahlen letztes Jahr auf seinem Kanal Truth Social, auch sein Mitbewerber für die Präsidentschaftskandidatur sei ein «Groomer». Es wirkte wie eine politische Guillotine.
Ein bekanntes Beispiel einer einstigen QAnon-Anhängerin auf dem Parkett der nationalen Politik ist Marjorie Taylor Greene. Als sie 2020 zur republikanischen Abgeordneten gewählt wurde, vermied sie es fortan, QAnon zu erwähnen oder Posts mit den typischen Slogans zu verbreiten. Sie behauptet aber weiterhin, «die kriminelle Biden-Familie» betreibe internationalen Menschenhandel, führe junge Frauen der Prostitution zu und schmuggle sie dann in andere Länder. Oder: Die Demokraten seien die Partei der Babykiller, Kinderhändler und «Groomer».
Trump will nicht auf QAnon-Anhänger verzichten
2020 wurde Trump gefragt, was er von der QAnon-Bewegung halte. Er sagte, er wisse nicht viel darüber, aber offenbar liebten deren Anhänger ihn, was er schätze. Nach seinem Rückzug von Washington nach Mar-a-Lago hielt er sich in den sozialen Netzwerken zurück. Doch nun, da er erneut fürs Präsidentschaftsamt kandidiert, verbreitet er auf seiner Plattform Truth Social wieder aktiv QAnon-Propaganda.
In den vergangenen zwei Jahren hat er laut der amerikanischen Organisation Media Matters für seine 7 Millionen Follower mehr als 800 QAnon-Inhalte, die typische Slogans oder sogar Posts von Q zitieren, weiterverbreitet oder verlinkt, und zwar in immer schnellerem Rhythmus. Bei seinen Wahlkampfveranstaltungen lässt er regelmässig den Song «Mirrors» abspielen, der als QAnon-Hymne gilt.
Offenbar geht er davon aus, dass es immer noch viele QAnon-Sympathisanten unter seinen Anhängern gibt, die bei einem Wahlsieg Trumps neuen Aufschwung erleben würden.