Die Ausstellung in Rom ist von Anfang an ein Politikum gewesen. Sie sollte den Anbruch einer rechten Kulturhegemonie markieren. Die Nähe der Avantgarde-Bewegung zum Faschismus thematisiert man dabei lieber nicht.
Das Kriegsbild des Futuristen Fortunato Depero irritiert mit seiner Unbeschwertheit. Es stellt eine Kampfszene aus dem Ersten Weltkrieg dar. Von Gewalt kaum eine Spur. Die farbenfrohe Komposition verbirgt die Grausamkeit hinter beschwingter Spielerei. Der Titel des Wandteppichs ist Programm: «Guerra – Festa.» Er erfüllt den Anspruch der futuristischen Kunst auf vollendete Weise: Das Werk ist eine unerhörte Provokation.
Deperos Stoffbild «Krieg – Fest» aus dem Jahr 1925 hängt derzeit in Rom in einer grossen Futurismus-Ausstellung, mit der die italienische Rechtsregierung von Giorgia Meloni nach eigenem Bekunden ihr Verlangen nach kultureller Hegemonie untermauert. Der Kurator der Schau, Gabriele Simongini, führt durch die 26 Ausstellungssäle in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna. «Ästhetisch ist das ein wunderschönes Werk», sagt Simongini.
Für die Botschaft des Wandteppichs gelte das nicht, schiebt er eilig hinterher. Doch mit dieser Botschaft meinten es die Futuristen ernst. Schliesslich hatte ihr Vordenker Filippo Tommaso Marinetti im Gründungsmanifest der avantgardistischen Bewegung bereits 1909 proklamiert: «Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt.»
Anfang Dezember wurde zum Gedenken an den Todestag Marinettis vor 80 Jahren die Retrospektive «Die Zeit des Futurismus» eröffnet. Der Gründer bezahlte Kritiker einst dafür, dass sie negativ über die Arbeiten seiner Gruppe schrieben. Die Verrisse sollten die Öffentlichkeit neugierig machen. Im Fall der Hommage an den Vater des Futurismus stellte sich das Aufsehen jetzt von selbst ein – und zwar gratis. Seit Monaten erregt die Schau die Gemüter. Selten gingen einer Kunstausstellung in Italien so langanhaltende und so heftige Querelen voraus.
Versuch der Vereinnahmung
Man stritt über die Absetzung des wissenschaftlichen Beirats, der die Vorbereitungen zu der grossen Futurismus-Schau begleitete. Über die Berufung fachfremder Nachfolger, die das Kulturministerium für die geschassten Experten einwechselte. Über zurückgezogene Leihgaben internationaler Museen. Und über eine Serie von Pannen und Peinlichkeiten. Die Medien griffen die Kontroversen auf. Sogar das Parlament beschäftigte sich mit den Hintergründen des Zanks. «Bei der Ausstellung geht es zu wie im Tollhaus», lästerte die rechtsliberale Zeitung «Il Foglio» im August.
Die Schau in Rom ist von Anfang an ein Politikum gewesen. Kaum hatte Melonis Regierung im Oktober 2022 ihre Arbeit aufgenommen, kündigte der damalige Kulturminister Gennaro Sangiuliano eine grosse Ausstellung über den Futurismus an. Sie sollte den Anbruch einer rechten Kulturhegemonie markieren und «die italienische Identität wiederbeleben».
Die Regierungschefin und ihren Minister verband der Drang, der international einflussreichen Kunstbewegung aus Italien jene Anerkennung zu verschaffen, die ihr aus politischen Gründen angeblich immer versagt geblieben war. Sangiuliano, der Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d’Italia angehört, nahm sich die Erschaffung «einer neuen italienischen Vorstellungswelt» vor. Marinetti, Mussolinis enger Freund, sollte dabei Pate stehen.
Dass dem Futurismus wegen seiner Verbindung zum Faschismus nicht die gebührende Beachtung geschenkt wurde, ist eine unbegründete Behauptung. In Ausstellungen und mit Forschungsarbeiten haben Kunsthistoriker ein differenziertes Bild des italienischen Futurismus und seines Einflusses auf die internationalen Kunstbewegungen verbreitet.
Umso mehr sorgte nun für Aufsehen, dass das Ministerium ausgewiesene Kenner im Streit über das Ausstellungskonzept aus dem beratenden Kuratorium geworfen hatte. Wollte sich die rechte Regierung eine kulturelle Visitenkarte zulegen? Jedenfalls erweckt Italiens Kulturpolitik den Eindruck, ihr Ziel sei nicht eine Neubewertung des Futurismus, sondern vielmehr seine Vereinnahmung.
Verherrlichung Mussolinis
Geht man durch die Mammutschau in der Nationalgalerie, begegnet einem die unbequeme, revolutionäre Kunst-Avantgarde nur selten. Gezeigt werden 350 Kunstwerke und 180 Objekte. Darunter finden sich viele Zeitschriften, technische Innovationen aus den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts und Produkte der jungen italienischen Industrie. Letztgenannte sind für Simongini, der die Ausstellung im Auftrag des Kulturministers kuratiert hat, die Highlights unter den mehr als 500 Exponaten.
Der Kunstkritiker der rechten Tageszeitung «Il Tempo» führt zu Oldtimern und Wasserflugzeugen, die auf dem gebohnerten Museumsparkett platziert wurden. Da steht ein roter, 90 Jahre alter Maserati, den man zwei Tage lang polieren liess. Am Steuer sei einst Tazio Nuvolari gesessen, der grösste Rennfahrer seiner Zeit, sagt Simongini begeistert. Zu sehen ist auch das einzige erhaltene Exemplar des Fiat Siluro Chiribiri, dem 1913 ein Geschwindigkeitsrekord gelang, sowie Europas erstes Motorrennrad der Marke Frera.
Die PS-Ikonen verkörpern die futuristische Verherrlichung von Geschwindigkeit, Dynamik und Kraft. Für den Kurator repräsentieren sie zudem die stolzen wirtschaftlichen Leistungen des Landes. «Italien besass einmal die beste Automobilindustrie der Welt», sagt Simongini. Nun sei sie komplett untergegangen. «Diese grossartigen Autos müsste man John Elkann zeigen», giftet er an die Adresse des Fiat-Erben, der heute Mehrheitsaktionär des multinationalen Autokonzerns Stellantis ist. Vom schneidigen Regierungston gegenüber dem Agnelli-Enkel Elkann, dem man den Verlust der italienischen Autoindustrie anlastet, unterscheiden sich seine Bemerkungen kaum.
Am Pop-Konzept der römischen Ausstellung aber reiben sich internationale Fachleute. Der grossen Schau wird vorgeworfen, die avantgardistische Kunstbewegung aus ihrem historischen Kontext zu reissen und sie als ein apolitisches, visionäres Phänomen darzustellen. In der Tat wird die Nähe der Futuristen zum Faschismus in Rom ausgeblendet. Stattdessen konzentriert sich die Ausstellung auf ästhetische und technologische Aspekte.
Zentrale Positionen des Futurismus wie der Militarismus oder die Verachtung der Frauen werden nicht untersucht. «Marinetti wollte mit seinem Gefolge die Revolution und bekam nun eine Ausstellung für Familien», spottete die römische Zeitung «La Repubblica». Die «New York Times» bemerkte: Das italienische Kulturministerium habe die Ausstellung so konzipieren lassen, dass sie «die Mussolini-Jahre zu verherrlichen scheint».
Nach Ansicht des deutschen Futurismus-Forschers Günter Berghaus, der mit anderen Kollegen aus dem beratenden Kuratorium ausgeschieden ist, wollte die Regierung mit der Ausstellung ihre kulturelle Agenda und das nationalistische Selbstverständnis Italiens fördern. «Mir wurde klar, dass mein Name nur ein Feigenblatt sein würde für ein peinliches Desaster, das sich am Horizont abzeichnete», sagte Berghaus dem «Giornale dell’Arte».
Die geballte Kritik perlt an Simongini ab. In einer Pause des Rundgangs steht er im Galeriecafé und schiebt die Querelen auf den Umstand, dass die Futurismus-Schau mit der Rechtsregierung identifiziert werde. «Die Ausstellung wird angegriffen, um die Regierung zu attackieren», beschwert sich der Kurator. Schuld daran sei der ehemalige Kulturminister. «Sangiuliano ging zu weit, als er die Ausstellung mit seinem Diskurs über die anbrechende Hegemonie der rechten Kultur verband», sagt Simongini. Ihn heute zum Sündenbock abzustempeln, fällt sehr leicht.
Der Minister ist im September über eine Liebesaffäre mit einer weithin unbekannten Influencerin gestolpert, die er zu seiner persönlichen Beraterin gemacht hatte. Der Fall beschäftigt nun die Justiz. Im Übrigen jedoch steht Simongini zu seiner Entscheidung, die Verbindungen zwischen Futurismus und Faschismus zu ignorieren. «Ich wollte die Ausstellung nicht mit Informationen belasten, die zum Angriff auf die rechte Regierung missbraucht werden können», sagt er. Wen diese Aspekte interessieren, dem empfiehlt der Kurator die Lektüre des Katalogs. Drei Wochen nach der Ausstellungseröffnung war der Band allerdings noch nicht erschienen.
«Il Tempo del Futurismo». La Galleria Nazionale d’Arte Moderna e Contemporanea, Rom, bis 28. Februar.