Mit der Digital Services Act (DSA) will die EU gegen Desinformation im Internet vorgehen. Doch viele Politiker und die Tech-Firmen halten das für Zensur. Die Kommission verteidigt das Gesetz. Aber kann sie gegen die mächtigen Gegner bestehen?
Wenn die EU ein neues Gesetz einführt, ist damit stets viel Bürokratie verbunden. Davon sind zumindest die Kritiker des Staatenbundes überzeugt. Als Bürokratiemonster, das erst noch die freie Meinungsäusserung beschneide, erachten sie auch das Gesetz über die digitalen Dienste (DSA). Es ist in den vergangenen zwei Jahren schrittweise in Kraft getreten.
150 EU-Bürokraten hätten ihr Gespräch mit Elon Musk in dessen sozialem Netzwerk X überwacht, behauptete Alice Weidel, die Co-Chefin der AfD, vergangene Woche. Das sei Zensur. Die Nachricht hatte sich schon vorher in den sozialen Netzwerken verbreitet.
Die EU bestritt die Meldung allerdings, nur zwei bis drei Personen hätten den Livestream von Weidel und Musk begutachtet. Weidels Verdrehung der Tatsachen rührte auch daher, dass die EU-Abteilung, die sich um die Durchsetzung der DSA kümmert, insgesamt 150 Angestellte hat. Doch das Beispiel zeigt, wie rasch sich Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken verbreiten – etwas, was die EU mit der DSA eigentlich verhindern will.
EU-Parlamentarier wollen gegen Meta vorgehen
Der Vorwurf der Zensur hängt dem Gesetz an, seitdem es geschaffen wurde. Mark Zuckerberg, der Chef der Tech-Firma Meta, erhob ihn jüngst ebenfalls. Europa habe immer mehr Gesetze, welche die Zensur institutionalisierten, sagte er. Das mache es schwierig, in Europa Neues zu schaffen.
In den USA vollziehen die Meta-Plattformen Facebook und Instagram auf Geheiss von Zuckerberg gerade eine Kehrtwende. Sie beenden die Zusammenarbeit mit externen Faktenprüfern. Deren Aufgabe sollen die Nutzer übernehmen, indem sie irreführende und falsche Mitteilungen als solche kennzeichnen («Community-Notes»). Auch Aussagen, die gesellschaftliche Gruppen beleidigen könnten, sollen weniger strikt unterbunden werden. Facebook will weniger «woke» sein.
Diese Neuausrichtung von Meta hat EU-Parlamentarier aufgeschreckt und teilweise empört. «Der Schutz der Demokratie steht auf dem Spiel», sagt Andreas Schwab von der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch Berichterstatter für die DSA ist. Die EU müsse die Entwicklungen sehr wachsam beobachten und allenfalls handeln.
Schwab bleibt im Ton ziemlich moderat, die deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament wollen dagegen strengere Saiten aufziehen. Sie verlangen, dass Zuckerberg und Musk sofort ins EU-Parlament vorgeladen werden, und wollen ein Hausverbot gegen Meta-Lobbyisten aussprechen. «Europa muss jetzt handeln», schreibt René Repasi, der Chef der SPD-Europa-Abgeordneten, in einem Aufruf. «Sonst drohen die Geschäftsinteressen der neuen Klasse von US-Oligarchen wie Musk und Zuckerberg die Demokratie zu überwältigen.»
Die EU kämpft gegen den Zensurvorwurf
Die EU-Kommission bemüht sich derweil, die Lage zu entschärfen. Vertreter des Gremiums sind jüngst immer wieder darauf angesprochen worden, ob der Milliardär Musk seinen Einfluss bei X missbrauche, um sich in Wahlkämpfe einzumischen, beispielsweise in den deutschen.
Kommissionssprecher haben jeweils abgewiegelt. Mit der DSA wolle man keinesfalls Aussagen von Individuen unterdrücken, betonen sie. Das Gespräch von Weidel und Musk sei aus Sicht der Kommission auch kein Problem. Für die EU wäre ein solches Gespräch nur dann ein Problem, wenn X die Diskussion mit der Hilfe eines Algorithmus massiv weiterverbreiten würde und die Nutzer keine Möglichkeit hätten, die Veranstaltung aus ihrem Feed zu entfernen («opt out»). Dann müsste man einen solchen Inhalt genauer unter die Lupe nehmen, heisst es in Brüssel. Etwa deshalb, weil ein solches Vorgehen ein Risiko für faire Wahlen in Deutschland darstellen könnte.
Die Netzwerke müssen wissen, was sie auslösen
Mit Risiken umgehen, das ist der Schlüsselbegriff, wenn Spezialisten der EU sich zur DSA äussern. Die Verpflichtungen des Gesetzes bezögen sich nicht darauf, was die Nutzer publizierten, sondern darauf, wie die Netzwerke damit umgingen, sagen Experten der Kommission. Die Verantwortlichen der Plattformen müssten dabei immer auch im Hinterkopf haben, was Meldungen auslösen könnten.
Besonders besorgt scheint die Kommission darüber zu sein, dass Agitatoren über die sozialen Netzwerke Unruhen schüren, wie das jüngst in Grossbritannien, Frankreich und Irland der Fall war.
Um das zu verhindern, müssen die sozialen Netzwerke über Instrumente verfügen, die ihnen erstens helfen, falsche oder illegale Aussagen von der Plattform zu entfernen. Dazu zählt zum Beispiel die Leugnung des Holocausts oder das Schüren von Hass gegen gesellschaftliche Gruppen.
Zweitens müssen die Portale über Funktionen verfügen, die es Nutzern ermöglichen, vor irreführenden Meldungen zu warnen oder Videos als Werke zu kennzeichnen, die mit künstlicher Intelligenz manipuliert wurden.
Die DSA schreibt jedoch nicht vor, mit welchen Instrumenten ein soziales Netzwerk illegale Aussagen als solche zu erkennen und allenfalls von der Plattform zu entfernen habe. Diese Aufgabe können Faktenprüfer übernehmen, aber auch Nutzer. Die EU verlangt aber, dass das gewählte System wirkungsvoll ist.
Zuckerberg verbrüdert sich mit Trump
Allerdings werden erst die kommenden Monate zeigen, welche Folgen die DSA für die Tech-Firmen hat. Derzeit führt die Kommission einige Prüfverfahren durch, keines ist bisher aber abgeschlossen worden. Das gewichtigste unter ihnen ist jenes gegen X, das seit Dezember 2023 läuft. Die Kommission verdächtigt Musks Netzwerk, zu lasch zu sein, wenn Nutzer verbotene Aussagen tätigen oder irreführende Nachrichten verbreiten.
Ein Verfahren läuft auch gegen die Meta-Plattformen Facebook und Instagram. Hier geht es unter anderem um den Jugendschutz. Machen Facebook und Instagram Jugendliche süchtig, und tauchen diese daher immer tiefer in die Welt der Netzwerke ein? Das will die Kommission abklären.
Die Verfahren haben die EU auf Kollisionskurs mit den USA gebracht. Zuckerberg nimmt es der EU übel, dass sie gegen amerikanische Tech-Firmen Bussen in Milliardenhöhe verhängte, vor allem in Wettbewerbsverfahren. Er spricht von insgesamt 30 Milliarden Dollar in den vergangenen zwanzig Jahren. Das wirkt laut Zuckerberg wie Zölle gegen amerikanische Firmen.
Es dürfte kein Zufall sein, dass Zuckerberg einen Begriff verwendet, den Trump auch schon als eines seiner Lieblingswörter bezeichnet hat. Der Unternehmer sucht Trumps Nähe und hat klar gesagt, dass er mit dem künftigen Präsidenten die Regulierungen in der EU bekämpfen wolle.
In Brüssel gibt es derweil widersprüchliche Signale dazu, wie hart die Kommission die Tech-Firmen im Rahmen der DSA anfassen wird. Maximal kann sie Bussen von 6 Prozent des Umsatzes verhängen, welchen eine Firma weltweit erzielt.
Die Kommission wolle sich Trump momentan unter keinen Umständen zum Feind machen, sagen einerseits Personen aus deren Umfeld. Das spricht für Zurückhaltung. Andererseits hat die für Digitales zuständige Kommissarin Henna Virkkunen am Donnerstag betont, dass man die DSA durchsetzen werde. «Es gibt hier keine Verzögerungen», sagte sie.
Noch sind die Untersuchungen gegen X und Meta aber nicht so weit, dass die Kommission den teilweise politischen Entscheid treffen könnte, ob und wie hoch die Unternehmen gebüsst werden sollen. Die Untersuchungen befänden sich noch in der Phase der technischen Abklärung, heisst es.
Die EU ist aber auf jeden Fall mit einer neuen und starken Gegnerschaft konfrontiert. Bisher mischte sich Washington nicht ein, wenn die Kommission Bussen gegen die Tech-Firmen verhängte. Schliesslich war deren Marktmacht auch der amerikanischen Regierung nicht ganz geheuer. Aber nun sieht sich die EU einem stärkeren Bündnis gegenüber: jenem der grossen Tech-Firmen und des Weissen Hauses.