Mit erst 17 Jahren dominiert der Brite an den Titelkämpfen im «Ally Pally» wie ein Routinier. Selbst sein Finalgegner Michael van Gerwen drückt am Ende seine Bewunderung aus.
Alles begann mit Tränen. Als Luke Littler zum Start in die Darts-WM ein Sieg mit fast perfektem Spiel gelang, versagte ihm auf dem Podium die Stimme. Er brach das Gespräch ab, ging zu seinen Eltern und umarmte sie. In diesem Moment wurde offensichtlich, unter welcher Anspannung der Engländer stand. Seine Landsleute erwarteten von ihm unerbittlich den Titel. Am Ender der WM weinte Littler erneut – aber vor Erleichterung. Mit seinem Volltreffer in die Doppel-16 krönte sich der bisherige Kronprinz des Pfeilwerfens zum König. Mit 17 Jahren.
Einzig bei diesen Gefühlsregungen wirkte Littler in diesen WM-Tagen wie ein Mensch aus Fleisch und Blut – und nicht wie ein Roboter, der Pfeile mit programmierter Selbstverständlichkeit in Felder schmettert, die klein sind wie Briefmarken. «Weine, mein Junge, weine!», habe ihm der Finalgegner Michael van Gerwen zugeflüstert, erzählte Littler später.
Sein Gegner bezeichnet Littler als Wunderkind
Vermutlich konnte sein Konkurrent am ehesten nachempfinden, was in dem Teenager vorging. Denn der Niederländer ist bis zur Ablösung durch Littler am Freitag selbst der jüngste Darts-Weltmeister gewesen. Er hatte an der WM 2014 als 24-Jähriger triumphiert. Alle 17 Jahre werde ein Star geboren, Littler sei einer davon, lobte er. Damit spielte er auch scherzhaft auf den Altersunterschied zwischen sich und seinem Gegner an, die beiden trennen ebenjene 17 Jahre. Dass van Gerwen Littler sogar noch eine Stufe über sich stellt, zeigt er, indem er ihn stets als «Wunderkind» bezeichnet.
In seiner Heimat wird Littler für den präzisesten Pfeilschützen seit Robin Hood gehalten. Ein Königreich liegt ihm zu Füssen. Grossbritanniens Premierminister Keir Starmer verneigte sich in einem Statement vor Littlers «inspirierender Leistung». Der Titel bringt ihm eine halbe Million Pfund Preisgeld ein, der Teenager ist schon jetzt Millionär. In der neuen Weltrangliste rückt er auf Platz zwei vor.
Ein Traum sei wahr geworden, sagt Littler – wobei: Lange hatte dieser Traum angesichts seines jungen Alters nicht existiert. Der Sportler erweckte den Eindruck, als habe er zwar sein Meisterwerk realisiert, es aber noch nicht begriffen. Zu später Stunde betonte er, dass er nach dieser anstrengenden Saison jetzt erst mal nach Hause wolle.
Littlers 7:3 nach Sätzen gegen van Gerwen war eine Dokumentation seiner Ausnahmestellung in der Branche. Im Final wählte er dieselbe Strategie wie einst der Rekordweltmeister Phil Taylor: Er legte mit einem Break los. Danach hielt er sein Niveau so hoch, dass van Gerwen nie in den Match kam. Der Niederländer analysierte danach, Littler habe jede Chance genutzt, ihm weh zu tun. Damit meinte er, dass beide in den meisten Statistiken annähernd gleich abschnitten, nur in einer nicht: der Quote auf die Doppelfelder. Littler traf unglaubliche 55 Prozent der Würfe.
Er begeistert mit Tempo, Ästhetik und Leichtigkeit
Der Bursche aus Warrington bei Liverpool schüttle Druck ab wie eine Ente das «Wasser von ihrem Rücken», würdigte die frühere Darts-Weltmeisterin Linda Duffy in der BBC. An der WM traf er 76-mal die Höchstpunktzahl 180 – mehr als alle anderen Spieler. Beispielhaft für Littlers Scoring-Power und Nervenstärke war der letzte Satz im Auftaktduell gegen Ryan Meikle. Er absolvierte ihn mit einer Durchschnittspunktzahl von 140,91 – Rekord. Für den gesamten Durchgang, für den mindestens 27 Darts notwendig sind, benötigte er nur 32 Würfe. Littlers Darts wirkten unwiderstehlich.
Selbst Taylor ist begeistert ob der Spielkunst. Er habe eine Phase gehabt, in der er sich Darts nicht wirklich im TV angeschaut habe, aber dieser Junge sei so besonders, dass er ihn immer spielen sehen möchte, sagt er über Littler. Taylor schwärmt von dessen Verhalten auf der Bühne, das Spieltempo und die Schönheit des Wurfs. Besonders gefalle ihm die Leichtigkeit Littlers.
Das alles brachte sich Littler von Kindesbeinen an bei, angeblich warf er seine ersten Darts mit anderthalb Jahren. Ausdruck seiner Ambition ist sein von ihm selbst ausgedachter Darts-Spitzname «The Nuke»: die Atombombe. So unterschreibt er alle Autogrammkarten. Selbst diese gewagte Wahl ergibt inzwischen insofern Sinn, als Littler im Darts eingeschlagen ist wie eine Bombe, die alles erschüttert.
Als Weltmeister steht Littler nun im Pantheon der berühmten Teenager, die vor ihrem 18. Geburtstag für Aufsehen gesorgt haben. Der «Independent» kommentierte, Littler werde «zu Recht» mit Pelé und Boris Becker verglichen, die einst ebenso als 17-Jährige einen grossen Triumph gefeiert haben: Pelé gewann mit Brasilien 1958 die Fussball-WM und Becker das Tennisturnier in Wimbledon 1985. Im vergangenen Jahr wurde Littlers Name in Grossbritannien häufiger in die Google-Suchmaschine eingegeben als der von allen anderen Sportlern. Überhaupt wurden die Suchanfragen für Littler nur von Prinzessin Kate und dem designierten US-Präsidenten Donald Trump übertroffen.
In einem Essay resümierte der «Guardian», dass Luke Littler «den Geist» des Darts repräsentiere: Es gehe um einzigartiges Können sowie um Neckerei, Kameradschaft und darum, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Nach seinem zweiten WM-Match lief Littler erneut zu seinen Eltern. Er rieb sich scherzhaft mit den Fäusten die Augen – so, als würde er wieder weinen.
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