In der Republik Zentralafrika werden russische Paramilitärs gleichermassen gefeiert und gefürchtet.
Es hat heftig geregnet, die nicht asphaltierten Strassen in Bangui, der Hauptstadt der Republik Zentralafrika, sind aufgeweicht und schlammig. Im quirligen Viertel PK 5 geht der Handel trotzdem wie gewohnt weiter. Am Rand der nun aufgeweichten Strassen verkaufen die Menschen, was man zum Leben braucht, darunter Gemüse, Haushaltswaren und Elektroartikel.
In einer ruhigen Seitenstrasse lebt der Imam Abdoulaye Ouasselegué, ein freundlicher Mann im traditionellen, bodenlangen Gewand. Dass die Menschen ein paar Strassen weiter ohne Lebensgefahr ihren Geschäften nachgehen könnten, hätten sie den russischen Kämpfern der berüchtigten Gruppe Wagner zu verdanken, sagt der Imam. «Sie haben Frieden gebracht.» Dabei wird in vielen Regionen des bitterarmen, rohstoffreichen Landes weiterhin gekämpft, doch diese Kriegszonen sind von der Hauptstadt weit entfernt.
Noch vor zehn Jahren war auch das Viertel PK 5 ein Kriegsgebiet, gezeichnet von verbrannten Häusern und Marktständen, verwaisten Strassenzügen sowie von Hass zwischen Christen und Muslimen. Im gesamten Land war es damals kaum besser. Die Regierung kämpfte gegen mehrere Rebellengruppen, die auch gegeneinander Krieg führten.
Uno-Sicherheitsrat empfahl russische Militärausbildner
Die damals eingesetzte und bis heute aktive Uno-Friedensmission Minusca bekam die Lage nicht unter Kontrolle. Auf Empfehlung des Uno-Sicherheitsrats schickte Russland deshalb parallel zur Uno-Mission 175 Militärausbildner in die Republik Zentralafrika. Nach Einschätzung von Beobachtern handelte es sich dabei um Kämpfer der Gruppe Wagner. Im Dezember 2020 halfen diese, die Hauptstadt gegen einen Ansturm von Rebellen zu verteidigen. Seitdem seien die Rebellengruppen in der Republik Zentralafrika «sehr schwach», sagt der französische Politikwissenschafter Thierry Vircoulon. Die russischen Kämpfer hätten so etwas wie einen Sieg errungen. «Das ist es, was sie dort beliebt macht.»
Dass die russischen Paramilitärs gegen Aufständische und des Aufstands Verdächtigte auch Mord und Folter anwenden, ist mittlerweile gut dokumentiert. Der Imam Ouasselegué kennt diese Vorwürfe, aber er sagt: «Bei uns gibt es eine Redewendung, die lautet: Wenn dein Haus brennt, ist dir die Farbe des Wassers egal, mit dem du das Feuer löscht.»
Der Imam wägt seine Worte ab, er möchte nicht unbedacht Propaganda verbreiten. Den Krieg hat er hautnah miterlebt, er hat für Frieden und Verständigung zwischen den Religionen geworben, während sich muslimische und christliche Milizen erbittert bekämpften. Dass er damit sein Leben riskierte, war ihm bewusst. Eines Tages hätten schwerbewaffnete muslimische Milizionäre in seinem Hof gestanden und ihn deswegen bedroht. «Da sage mir keiner, dass es damals um Religion ging», sagt der Geistliche. In der Republik Zentralafrika gehe es immer nur um die eigenen Interessen.
Permanenter russischer Stützpunkt wird gebaut
Von denen sind die russischen Paramilitärs ebenfalls getrieben, das weiss der Imam. Trotzdem habe man ihnen eben auch Gutes zu verdanken. Die Zahl russischer Kämpfer in der Republik Zentralafrika wird auf 1000 bis 1500 geschätzt. Ein bestehendes Ausbildungslager der Gruppe Wagner in Berengo, etwa sechzig Kilometer südwestlich der Hauptstadt Bangui, wird derzeit in einen permanenten russischen Stützpunkt für bis zu 10 000 Soldaten umgewandelt. Im Gegenzug für ihre Sicherheitsdienste beuten Unternehmen aus dem Firmengeflecht der Gruppe Wagner Gold- und Diamantenminen aus, exportieren Tropenholz, brauen Bier, verkaufen Wodka oder machen Geschäfte mit Zucker. Zumindest öffentlich ist in Bangui keine Kritik daran zu hören, dass die russischen Kämpfer so gute Geschäfte machen.
Dabei gibt es die Kampfgruppe Wagner offiziell gar nicht mehr. Sie wurde umstrukturiert und umbenannt, nachdem ihr Gründer, Jewgeni Prigoschin, im Juni 2023 gegen die russische Regierung rebelliert hatte und kurz darauf bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Die ehemalige Gruppe Wagner untersteht seitdem dem russischen Verteidigungsministerium und wurde in Afrika-Korps umbenannt. Einige führende Wagner-Leute wurden ausgetauscht, neue Einheiten wurden eingeführt. Trotzdem ist in der Republik Zentralafrika weiter von «Wagner» die Rede.
In den Strassen Banguis tun viele Menschen die Vorwürfe, dass die russischen Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen verüben, als westliche Lügen ab. Das mag zum Teil an der massiven russischen Propaganda liegen, zum Teil aber auch daran, dass viele Opfer schweigen. Schon in Gesprächen über Russland oder die Russen ist häufig Angst zu spüren. Viele meiden das R-Wort und reden, wenn sie nicht ganz ausweichen, nur von «unseren Alliierten».
Gruppe Wagner führt Polizei und Armee
Der Menschenrechtsanwalt Bruno Gbiegba kennt solche Situationen nur zu gut. «Die Überlebenden trauen sich nicht, Anklage zu erheben, weil sie Angst vor den Henkern haben, die frei herumlaufen», bedauert Gbiega. Er werde immer wieder von Opfern angerufen, die jedoch vor jedem weiteren Schritt zurückscheuten, erzählt er. Deshalb könne er nicht helfen und habe als Anwalt nichts zu tun, obwohl ihn die Menschenrechtslage in seiner Heimat zutiefst beunruhige. «Die Grundrechte werden ständig verletzt.»
Der Grund dafür ist offensichtlich: Die ehemalige Gruppe Wagner hat die zentralafrikanische Regierung gleichsam durchsetzt. Dmitri Podolski, ein früherer Wagner-Kommandant, ist Sicherheitsberater von Präsident Faustin-Archange Touadéra. Mitglieder der ehemaligen Gruppe Wagner befehligen die zentralafrikanische Polizei und die Streitkräfte.
Dabei sah es nach Prigoschins Tod zunächst aus, als könnten die russischen Paramilitärs an Einfluss verlieren, vielleicht sogar ihre führende Rolle in der Republik Zentralafrika. Die «New York Times» berichtete vor einem Jahr, Präsident Touadéra wolle seine «Sicherheitspartnerschaften» wieder vielfältiger gestalten. Ein Abkommen mit der amerikanischen Regierung scheiterte zwar, laut unterschiedlichen Medienberichten soll aber die amerikanische Sicherheitsfirma Bancroft derzeit mit etwa dreissig Angestellten in Bangui tätig sein. Diese sollen gemäss den Berichten bei der nachrichtendienstlichen Aufklärung sowie der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und der Justiz helfen.
Obwohl die russischen Kämpfer in Bangui im Strassenbild kaum sichtbar sind, dürfte ihr Einfluss ungebrochen sein. Nach all den Jahren, in denen die Russen die Regierung in Bangui beraten, «gibt es keine Möglichkeit mehr, die Machthaber zu kritisieren», bedauert der Menschenrechtsanwalt Gbiegba.
Terror gegen die Bevölkerung
Das amerikanische Rechercheprojekt Sentry wird in seinem jüngsten Bericht noch deutlicher. Die russischen Kämpfer nutzten «Terrorkampagnen», um unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Rebellen jeden Widerstand gegen Wagner und die Regierung zu brechen. Alle Feinde sollten buchstäblich «vernichtet», das Land, so wörtlich, «gesäubert» werden. Für ihren Bericht haben die Autoren unter anderem etliche zentralafrikanische Soldaten interviewt, die in unterschiedlichen Einheiten dienten – auch solche, die mit Wagner-Kämpfern eng zusammenarbeiten.
Maxime Balalou, Kommunikationsminister und Sprecher der zentralafrikanischen Regierung, weist solche Vorwürfe im Gespräch als westliche Propaganda zurück. Trotz seiner Kritik gibt er sich jovial, ist zu einem Interview ja immerhin bereit. Nur «Kollateralschäden», räumt er ein, die seien in einem asymmetrischen Krieg unvermeidbar. «Wenn unsere Streitkräfte vor Ort agieren, kann es manchmal zu Verlusten kommen», sagt er. Die verantwortlichen Soldaten würden von den Militärgerichten bestraft. Über Verfahren gegen die russischen Kämpfer sagt der Minister nichts.