Tausende von zentralasiatischen Gastarbeitern können nur noch mit Mühe nach Russland einreisen. Die Politik reagiert mit schärferen Gesetzen auf die Stimmung in der Gesellschaft. Verschrecken kann sie die Zuwanderer aber auch nicht.
Wie auf einer Strafbank sitzt da, wer auf den Moskauer Flughäfen nicht auf Anhieb an der Passkontrolle abgefertigt wird. «Zusatzüberprüfung» nennen die Grenzbeamten, die dem Geheimdienst FSB angegliedert sind, das Prozedere, das einige Minuten oder auch Stunden dauern kann, mit und ohne Befragung. Arbeitsmigranten aus Zentralasien warten zu jeder Tages- und Nachtzeit dort. Die meisten von ihnen werden in Besprechungsräume weggeführt und befragt, ihre Mobiltelefone werden durchsucht, zusätzliche Dokumente kontrolliert, und wer den russischen Behörden verdächtig erscheint, darf gar nicht erst einreisen.
Unmenschliche Bedingungen an der Grenze
Seit dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall in Moskau Ende März scheint jeder verdächtig zu sein, vor allem wenn er aus Tadschikistan einreist. Alle Attentäter vom 22. März waren Tadschiken; sofort nach dem Anschlag hatten Übergriffe auf zentralasiatische Migranten in Russland zugenommen und war die Polizei zu Razzien in Moscheen, Cafés und an Arbeitsplätzen zentralasiatischer Gastarbeiter ausgerückt. Vor Wochenfrist beschwerte sich dann das tadschikische Aussenministerium ungewöhnlich scharf über den Umgang mit seinen Landsleuten bei der Einreise nach Russland. Über tausend Tadschiken würden auf den Moskauer Flughäfen tagelang festgehalten, unter unhygienischen Bedingungen und ohne hinreichende Verpflegung.
Als das russische Aussenministerium beschied, die Zusatzüberprüfungen fänden aus Sicherheitsgründen statt, aber hätten mit der Herkunft der Einreisenden nichts zu tun, widersprachen die tadschikischen Kollegen. Sie bestellten auch den russischen Botschafter in Duschanbe ein und rieten dringend von Reisen nach Russland ab, die nicht unumgänglich seien. Diesem Aufruf folgte am Donnerstag das Aussenministerium der Nachbarrepublik Kirgistan.
In den vergangenen Tagen hatten sich die Berichte darüber gehäuft, dass auf russischen Flughäfen und auch an den Landgrenzen zu Kasachstan insgesamt mehrere tausend Zentralasiaten gestrandet sein sollen. Nicht nur Tadschiken seien betroffen, sondern mehrheitlich Usbeken und Kirgisen, meldete die Aktivistin Walentina Tschupik, die sich für Migranten einsetzt. Der Onlineplattform Agentstwo erzählte sie, die meisten von ihnen würden binnen weniger Tage zurückgeschickt; bei manchen dauere es aber auch eine Woche. In diesem Umfang seien die Rückweisungen aussergewöhnlich.
Scharfe Reaktion aus Zentralasien
Ungewöhnlich ist auch, wie scharf die tadschikische und die kirgisische Regierung mit ihren Stellungnahmen Russlands Verhalten anprangern. Sie wollen zeigen, dass sie über die schlechte Behandlung ihrer Landsleute nicht hinwegsehen. Für Russland wie für die zentralasiatischen Staaten ist die Situation unangenehm. Bis zu einem gewissen Grade sind sie aufeinander angewiesen. Am vergangenen Freitag meldete der Kreml, der russische Präsident Wladimir Putin und sein tadschikischer Amtskollege Emomali Rachmon hätten miteinander telefoniert; unter anderem sei es auch um die Migrationspolitik gegangen.
Einen offenen Konflikt mit dem mächtigen Partner in Moskau, von dessen Gunst wirtschaftlich in beiden Ländern einiges abhängt, können sich Duschanbe und Bischkek nicht leisten. Umgekehrt ist auch Russland nicht darauf erpicht, gar keine zentralasiatischen Migranten mehr zu bekommen. Der russische Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet. Schon jetzt fehlt es an Arbeitskräften in den Sektoren, in denen besonders viele Gastarbeiter beschäftigt sind: bei der Strassenreinigung, bei Hauswartungen, Taxifahrern, im Gastgewerbe und auf dem Bau.
Halten die zentralasiatischen Staaten ihre Bürger davon ab, in Russland Arbeit zu suchen, ist das eine schwere Bürde für die russische Wirtschaft. Eine Auswertung der Zeitung «Wedomosti» zeigt zwar, dass im vergangenen Jahr mehr Arbeitssuchende als früher aus anderen Ländern, vor allem aus Asien, nach Russland kamen. Ihr Anteil ist aber immer noch um ein Vielfaches kleiner als jener der Tadschiken, Usbeken und Kirgisen. Manche von ihnen ziehen mittlerweile zwar andere Märkte, etwa im Nahen Osten, vor; für die meisten, die ein Auskommen im Ausland suchen müssen, ist aber nach wie vor Russland das Ziel.
Forderung nach Überwachung und Verboten
Die russische Gesellschaft blickt auf Fremde grundsätzlich argwöhnisch und behandelt kaukasische und zentralasiatische Arbeitsmigranten oft abschätzig. Die Forderung nach einer restriktiveren Migrationspolitik ist populär. Dabei geht es nicht nur um eine Reduktion der Zahl der Migranten und ihrer Aufenthaltsdauer. Behörden und Bürger versprechen sich viel von einer schärferen Kontrolle, ja Überwachung der ausländischen Arbeitskräfte und von Verboten. Mehrere Provinzen haben die Beschäftigung von Migranten im Taxi- und im Gastgewerbe untersagt – zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit, wie es hiess.
Dem Parlament liegen Vorschläge für Verschärfungen der Migrationsgesetzgebung vor. Visumsfrei Einreisende dürfen demnach nur noch 90 statt 180 Tage im Jahr bleiben. Zudem sollen alle Migranten biometrisch erfasst werden. Bei der Einreise will das Gesetz sie mit ihrer Unterschrift zu einer Loyalitätsbezeugung gegenüber dem russischen Staat verpflichten. Diese enthält unter anderem den Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und die Achtung der «traditionellen Werte», wozu etwa die Vorstellung der Ehe als Bund von Frau und Mann gehört, sowie der offiziösen Geschichtsschreibung. Bei Verstössen gegen Gesetz und Ordnung sind künftig Auflagen vorgesehen, die ein normales Leben verunmöglichen.
Solche Ideen zirkulierten schon länger. Nach dem Terroranschlag in Moskau entsprechen sie der Stimmung in der Bevölkerung erst recht. Für Mitleid mit den Migranten, die an der Grenze stundenlang auf die Einreise warten, ist kein Platz.