Nach langem Ringen wird Russlands Vorzeige-Technologiekonzern Yandex aufgespalten. Den russischen Teil übernehmen weitgehend unbekannte Investoren. Hinter ihnen könnten als indirekte Profiteure Personen stehen, die im Westen in Verruf geraten sind.
Präsident Putins Entscheidung zum Krieg gegen die Ukraine hat vom ersten Tag an russische Unternehmen in Sippenhaft genommen. Grandiose Pläne zerstoben über Nacht, weil Geschäftsleute unter westliche Sanktionen gestellt wurden und die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern, Zulieferern oder Abnehmern infrage stand.
Für Yandex, Russlands bekanntesten Technologiekonzern und in diesem Bereich allen anderen russischen Unternehmen weit überlegen, stellte sich die Frage doppelt: Die Muttergesellschaft Yandex N. V. hat in den Niederlanden ihren Sitz. Zugleich wurde zuerst Tigran Chudawerdjan, der Chef des Unternehmens, mit Sanktionen belegt, drei Monate später auch Arkadi Wolosch, der im Ausland lebende Gründer und Miteigentümer. Für Yandex wurden deshalb eine neue Struktur und neue Eigentümer gesucht.
Ein Durchbruch schien mehrmals zum Greifen nah, aber immer wieder gab es neue Stolpersteine. Gefunden wurde die Lösung erst jetzt, fast zwei Jahre nach dem Beginn des Krieges. Der Konzern wird in zwei Teile aufgespalten: einen russischen und einen internationalen. Nur Letzteren wird Wolosch noch kontrollieren. Die beiden neuen Einheiten werden nichts mehr miteinander zu tun haben.
Ein bunt gemischtes Konsortium übernimmt
Yandex ist Russlands Google – und wie Letzteres längst ein ganzes «Ökosystem» und weit mehr als die Suchmaschine, mit der 1997 alles für das breitere Publikum begann. Ein Internet-Browser, Karten und Navigation, Essenslieferdienste, der beliebteste Taxiservice-Aggregator, Nachrichten, Blogs, ein Bezahldienst und Musik gehören dazu und sind aus dem Alltag in Russland nicht mehr wegzudenken. Das Unternehmen begann aber auch im Bereich künstliche Intelligenz, bei Cloud-Services und sogar bei der Drohnenentwicklung zu expandieren.
Nun werden die russischen Services in eine in der Kaliningrader Sonderwirtschaftszone registrierte neue Gesellschaft übergeführt. Das internationale Geschäft dagegen bleibt bei Wolosch und wird nach einer kurzen Übergangsphase die Verbindungen zu Yandex ganz kappen. Woloschs späte, aber deutliche Distanzierung vom Krieg gegen die Ukraine machte den harten Bruch offenbar notwendig.
Ein Konsortium aus dem russischen Yandex-Management und privaten Investoren übernimmt die neue russische Einheit von der niederländischen Mutterfirma in zwei Schritten zum Preis von 475 Milliarden Rubel (rund 4,6 Milliarden Franken). Da es sich formal um den Rückzug eines ausländischen, aus einem «unfreundlichen Staat» stammenden Unternehmens aus Russland handelt, wird ein Abschlag von fünfzig Prozent auf den eigentlichen Wert fällig. Die Marktkapitalisierung von Yandex N. V. lag Ende Januar bei 918 Milliarden Rubel (8,8 Milliarden Franken). Der russische Teil umfasst rund 95 Prozent davon. Der Cash-Anteil der Transaktion wird in Yuan abgewickelt.
Frei von Sanktionen
An dem neuen Konsortium wird keiner der Beteiligten eine Kontrollmehrheit halten. Beteiligt sind neben einer von rund fünfzig Vertretern des höheren Managements neu geschaffenen Holdinggesellschaft ein vollständig vom Erdölkonzern Lukoil alimentierter Fonds, eine Investitionsfirma des Unternehmers und Financiers Alexander Tschatschawa, ein vergleichbares Vehikel des Financiers Pawel Prass und eines des vornehmlich im Agrar- und im Infrastrukturbereich tätigen Unternehmers Alexander Rjasanow.
In früheren an die Öffentlichkeit gedrungenen Informationen hatten unter anderem der Geschäftsmann Wladimir Potanin und der Lukoil-Gründer Wagit Alekperow als Investoren figuriert. Potanin hinderten aber die über ihn verhängten Sanktionen daran, und Alekperow hatte umgekehrt wohl die Befürchtung, bei einem Engagement auf die westliche Sanktionsliste zu kommen. Die jetzige Struktur ist frei von mit Sanktionen belegten Personen und Firmen. Russische Medien vermuten aber, dass hinter den bis jetzt weitgehend unbekannten Investoren gewichtigere, aber im Westen in Verruf geratene Personen stehen könnten, als indirekte Profiteure.
Der Kreml schaut mit Argusaugen
Der russische Staat hatte von Anfang an ein grosses Interesse daran, dass zumindest der Kern des Unternehmens in Russland verbleibt. Am Montag verneinte zwar der Sprecher Präsident Wladimir Putins, dass die Zukunft von Yandex mit dem Kreml abgesprochen worden sei. Recherchen der exilrussischen Portale Meduza und The Bell in den vergangenen achtzehn Monaten deuteten aber darauf hin, dass der für die Innenpolitik zuständige stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Sergei Kirijenko, in den Umstrukturierungsprozess involviert war.
Auch der Umstand, dass mit Alexei Kudrin, dem langjährigen Finanzminister und späteren Leiter des Rechnungshofs, ein Vertrauter Putins vom Staatsdienst zu Yandex wechselte mit dem Ziel, bei der Aufteilung des Unternehmens behilflich zu sein, verwies auf das staatliche Interesse. Zeitweise schien es aber, als könnte Kudrin sogar zum Fallstrick werden, weil er im vergangenen Sommer doch noch unter amerikanische Sanktionen geriet.
Damals hiess es, Yandex könnte verstaatlicht werden. Sollte der am Montag verkündete Ablauf eingehalten werden, wird Yandex immerhin in privaten Händen bleiben. Manche Beobachter sehen in dem neuen Eigentümerkonsortium aber nur eine vorübergehende Lösung. Sie vermuten, dass Yandex dereinst, wie der Konzern VK (soziales Netzwerk VKontakte), in die Hände staatsnaher, dem Kreml treu ergebener Investoren kommen könnte. Die Moskauer Börse quittierte die Ankündigung von Yandex zunächst mit einem Kursabfall von 9 Prozent. Darin dürfte sich die Skepsis darüber spiegeln, ob ein nach der Zerschlagung rein russisches Yandex die Innovationsfähigkeit und die technologischen Möglichkeiten behält, die es so erfolgreich gemacht haben.