Die Farbe, die keine ist, kann so viel mehr als Fettpolster, Flecken und die Abgründe unserer Seelen kaschieren, findet unsere Autorin.
Meine Mutter hasst es, wenn ich Schwarz trage. «It looks too harsh on you, honey», sagt sie dann. Als könnte das Dunkle mich jeden Moment verschlucken. Wenn sie mir ein Kompliment für ein neues Kleidungsstück macht, dann mit der Einschränkung, es wäre noch schöner, wäre es nicht «that colour». Diese Farbe, die Absenz aller Farben, ist in den letzten Jahren über meinem Kleiderschrank aufgezogen wie eine Wolke, hat sich über meine Schuhe und Jacken gelegt, über Rollkragenpullover und Samthosen.
Damit bin ich nicht allein. Von 100 Kleidungsstücken, die Schweizerinnen und Schweizer vergangenen Frühling beim Onlinehändler Galaxus gekauft haben, waren 43 schwarz. Die Laufstege für die aktuelle Frühjahrssaison sind ähnlich düster. Auf Instagram und Tiktok boomen Influencer, die fast ausschliesslich Schwarz tragen. Bunte Geschenke von Luxusmarken lehnen sie konsequent ab (wie nobel!), und selbst der Hund muss ins limitierte Farbschema passen. Sogar Maga-Hüte gibt es dank Elon Musk jetzt in Tech-Bro-Schwarz statt republikanischem Rot. Aber das ist das Schöne an Schwarz: Nicht einmal Influencer oder Elon Musk können diese Farbe ruinieren.
Ein «pick me girl» mit blauen Glitzerschuhen
Gerne würde ich behaupten, dass es eine bewusste Entscheidung gewesen sei, nur noch Schwarz zu tragen. Dass ich mir eine Capsule-Wardrobe, eine streng kuratierte, zeitlose Garderobe aufbauen wolle. Oder zu einer der vielen von Ästhetik oder Protest getriebenen Gruppen gehörte, die Schwarz zur Farbe ihrer Causa gemacht haben, von den Existenzialisten bis hin zur «Time’s Up»-Bewegung. Doch es geschah schleichend und aus Versehen. Von dem Moment an, als ich begann, mich seriös mit Mode zu beschäftigen: als ich die Kantonsschule in einer Kleinstadt im Mittelland verliess und nach London zog, um Modejournalismus zu studieren.
«Dass Menschen in der Modewelt immer Schwarz tragen, ist ein heilloses Klischee. Schlimmer ist nur, dass es zutrifft.»
An der Kanti trug ich blaue Glitzerschuhe und ein holografisch glänzendes Oberteil, das mit jeder Bewegung anders aussah. Ich wollte anders sein, ein «pick me girl», würde man heute sagen, mit Kleidern, die mich interessant machen sollten. An der Kunstschule in London aber verschwand ich vom ersten Tag an neben den Menschen, die wirklich anders waren, die an der für ihre Kreativität bekannten Central Saint Martins School zum ersten Mal sie selbst sein konnten und aufblühten wie Strelitzien. Um dort aufzufallen, hätte ich lauter und bunter werden müssen.
Kleider wie eine Wand
Ich tat das Gegenteil und trug Schwarz. Damit war ich fein raus und versank im Hintergrundrauschen. Dort fühlte ich mich wohl, konnte aus der Distanz zuschauen und lernen. Einer Freundin erging es ähnlich. «Wie eine Wand, an der alles abprallt», nennt sie heute die Wirkung ihrer schwarzen Kleider. Die Farbe sei bescheiden und arrogant zugleich, einfach und mysteriös, so sagte der japanische Modedesigner Yohji Yamamoto einmal. «Aber vor allem sagt Schwarz dies: ‹Ich belästige dich nicht – belästige du mich nicht!›»
Dass Menschen in der Modewelt immer Schwarz tragen, ist ein heilloses Klischee. Schlimmer ist nur, dass es zutrifft. Genauso auf Architekten, Floristen, Art-Direktoren. Schwarz bleibt die Konformität der Nonkonformität.
Das letzte Mal, dass Schwarz in der Mode revolutionär war, war 1981. Damals zeigten Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo, die Gründerin der Modemarke Comme des Garçons, ihre Kollektionen erstmals in Paris. In Japan gab es so viele in Schwarz gehüllte Kawakubo-Jüngerinnen, dass man sie «Krähen» nannte. In Paris wurden die Kleider zuerst vor allem kritisiert. Die «New York Times» bezeichnete sie belustigt als «japanischen Angriff auf Grundprinzipien der westlichen Mode». Kawakubo und Yamamotos Kleider waren androgyn und asymmetrisch, hatten sinnlose Löcher, standen weit vom Körper ab und waren in alle Richtungen verzogen. Und die meisten waren schwarz.
Malen mit Seide statt Kohle
Bald kamen so viele Einkäufer, dass der Lift in Yohji Yamamotos Gebäude kaputtging. Doch die japanischen Designer hatten die Farbe nicht erfunden. Sie gaben ihr nur den Schockfaktor zurück. Zuvor war sie die Lieblingsfarbe von Yves Saint Laurent, der ihre Sinnlichkeit schätzte, und von Coco Chanel, die sie an Serviceangestellten bewunderte und zum Merkmal ihrer Uniform für die Oberschicht machte. Schwarz war auch die Lieblingsfarbe von Cristóbal Balenciaga, dem Couturier aus dem Baskenland. Sie erinnerte ihn an seine Heimat: In Spanien gehörte Schwarz den Geistlichen, den Adeligen und dem Maler Diego Velázquez. Statt wie dieser mit Kohle oder zerstossenen Knochen malte Balenciaga mit schwarzer Seide.
Die Farbe soll kaschieren: Fettpolster, Flecken und die Abgründe unserer Seelen. Doch betrachtet man die schwarzen Kleider von Cristóbal Balenciaga in all ihrer klösterlichen Pracht, realisiert man, dass die Farbe das Gegenteil tut: Sie schafft Klarheit. Man sieht plötzlich besser, wie die Stoffe sich in Falten legen, wie das Licht ein gestepptes Muster erhellt oder wie ein Kleid am Rücken abfällt, um der Trägerin Bewegungsfreiheit zu verleihen.
Geruch von Zigarettenrauch
Wegen dieser Klarheit kaufe ich heute am liebsten schwarze Kleidung. Nicht mehr, um zu verschwinden. Ich glaube, mich besser auf Silhouette, Schnitt und Stoff fokussieren zu können, wenn ich Secondhandgeschäfte und Auktionswebsites durchforste. So geschehen bei meiner Lieblingsjacke von Yohji Yamamoto. Sie ist tiefschwarz und war bis tief in ihre Wollfasern mit Zigarettenrauch durchdrungen, als ich sie vor zwei Jahren auf der Online-Verkaufsplattform Tutti erstand.
Lüften war zwecklos. Nicht einmal die chemische Reinigung kam gegen den Geruch an. Der Rauch hatte sich wohl seit der Entstehung der Jacke in den späten achtziger Jahren dort eingenistet. Yohji Yamamoto, heute 81 Jahre alt und noch immer jede Saison an der Paris Fashion Week, raucht sein Leben lang; ich verstand es als eine Art Hommage an ihn von der ehemaligen Besitzerin der Jacke.
«Diese Jacke vergisst nicht.»
Gegen den Geruch half nur, die Jacke zu tragen: so oft wie möglich die rundlich geschnittenen, langen Ärmel über meine Arme zu streifen, die integrierte Weste zuzuknöpfen, die von der Zeit verformten Schulterpolster zu richten und, je nach Stimmung, den Kragen aufzuklappen. In ausladender weisser Schrift ist dort «Yohji Yamamoto» eingestickt, so verschnörkelt, dass man es kaum lesen kann. Fremde Menschen haben die Tendenz, ihre Augen langsam über die Schrift schweifen zu lassen. Manchmal fragen sie nach, was dort stehe. Der weisse Schriftzug auf der schwarzen Jacke stellt so etwas wie eine Einladung dar. Wie eine offene Tür in der Wand.
Das «Gewand eines leidenden Zeitalters»
Kürzlich erhielt ich für die Hochzeit eines Familienmitglieds die persönliche Weisung, nicht Schwarz zu tragen. Es gibt sie also noch, die Orte, an denen Schwarz als subversiv gilt. Es sei ja keine Beerdigung, so die Begründung. Offenbar klebt trotz ihrer Omnipräsenz an der Farbe noch immer die Trauer. Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire fragte 1846 angesichts der schwarzen Jacken seiner Zeitgenossen, ob sie denn «nicht das notwendige Gewand eines leidenden Zeitalters» seien. Und befand schliesslich: «Jeder von uns feiert irgendein Begräbnis.»
Viel Pathos für eine Farbe, die heute erschreckend banal sein kann. Doch ich verstehe es so: Kleidung kann uns im Alltag ein wenig Gewicht abnehmen. Zum Geburtstag wünscht mir mein Vater jedes Jahr mehr Leichtigkeit. Ich glaube, schwarze Kleider helfen mir dabei.
Meine Yamamoto-Jacke hat inzwischen meine Parfums und meine Tagträume aufgesogen. Der Duft von Zigarettenrauch ist verschwunden. Nur wenn es schwül ist draussen, tritt er aus den schwarzen Fasern hervor und schleicht sich in meine Nase. Diese Jacke vergisst nicht.