Muss man Angst vor dem Fliegen haben? Statistisch gesehen ist die Antwort klar: Nein. Dennoch haben nach den jüngsten Unglücken Zehntausende Passagiere einer der betroffenen Airlines ihre Tickets storniert.
Eine Swiss-Maschine muss in Graz notlanden, russische Truppen schiessen mutmasslich ein Flugzeug der Aserbaidschan Airlines ab, 179 Tote nach einem Unglück in Südkorea: Im Dezember häuften sich die schlechten Nachrichten aus der Airline-Branche.
Viele Reisende werden ein mulmiges Gefühl haben, wenn sie das nächste Mal ein Flugzeug besteigen. Allen voran die Passagiere der südkoreanischen Billig-Airline Jeju Air, deren Maschine am 29. Dezember am Flughafen Muan eine Bauchlandung hinlegte und anschliessend in eine Mauer knallte.
Zurzeit untersuchen die Behörden, ob die Airline Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt und den Unfall fahrlässig herbeigeführt hat. Polizisten haben den Hauptsitz durchsucht, der CEO darf das Land gegenwärtig nicht verlassen. Auch betriebswirtschaftlich hat der Fall Konsequenzen: Innert eines Tages nach dem Unfall gingen bei Jeju Air 68 000 Stornierungen bereits gebuchter Flüge ein.
Unfälle wie jener in Südkorea können das Verhalten von Flugreisenden beeinflussen. Nachdem zwei Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center gekracht waren, brach die Zahl der geflogenen Meilen in den USA innert eines Monats um 20 Prozent ein. Erst drei Jahre nach 9/11 war sie wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Katastrophe.
Statistisch kann man fast 14 Millionen Mal sicher fliegen
Der deutsche Verhaltenspsychologe Gerd Gigerenzer spricht in diesem Zusammenhang von «Schockrisiken»: Die hohe Zahl der Toten, die ein Absturz eines Linienflugzeugs mit sich bringt, wirkt lähmend und blockiert die rationale Risikoabschätzung.
Denn eigentlich gäbe es beim Fliegen kaum Grund zur Sorge. Statistisch gesehen ist ein tödlicher Flugzeugunfall ein äusserst unwahrscheinliches Ereignis. In der Zeit von 2018 bis 2022 endete pro 13,7 Millionen Flugreisen eine tödlich.
Das «Schockrisiko» eines Flugzeugunglücks lässt manche Menschen glauben, dass beispielsweise Autofahren sicherer sei als Fliegen.
So verzichteten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 viele Amerikaner aufs Fliegen und verreisten stattdessen per Auto. Das hatte fatale Folgen, wie Auswertungen von Gerd Gigerenzer zeigen: In den zwölf Monaten nach 9/11 gab es schätzungsweise 1600 mehr unfallbedingte Todesfälle auf amerikanischen Strassen, als es statistisch zu erwarten gewesen wäre. «Das lässt sich als Usama bin Ladins Zweitschlag bezeichnen», sagt Gigerenzer.
Die Konsumenten strafen die Marke ab
Zurzeit scheinen die Konsumenten jedoch nicht so stark auf die Vorfälle der vergangenen Wochen zu reagieren. Zumindest teilt die Swiss auf Anfrage mit, keine wesentlichen Auffälligkeiten bei den Buchungen oder gehäufte Stornierungen zu beobachten.
In den meisten Fällen schwören die Konsumenten im Nachgang auf tödliche Katastrophen nicht Flugreisen per se ab, sondern meiden lediglich die betroffene Airline. Selbst wenn ein Unglück oft auf viel Pech und nur selten auf ein direktes Verschulden der Firma zurückgeführt werden kann.
Ein Beispiel für dieses Phänomen ist Malaysia Airlines. Die Fluggesellschaft hatte 2014 gleich zwei Tragödien zu vermelden: Im März verschwand die Maschine MH370 bei einem Flug von Kuala Lumpur nach Peking über dem Indischen Ozean vom Radar, sie wurde bis heute nicht aufgefunden. Nur fünf Monate später wurde die MH17 von prorussischen Rebellen in der Ukraine abgeschossen, 298 Personen starben.
Während Monaten wichen Passagiere danach auf andere Fluggesellschaften aus, in den Medien zirkulierten Bilder von leeren Malaysia-Airlines-Maschinen. Die Firma geriet in finanzielle Schieflage. Der malaysische Staatsfonds, der bereits Anteile an Malaysia Airlines hatte, übernahm vollständig, senkte die Ticketpreise und strich Verbindungen, auf denen die Airline viele Konkurrenten hatte.
Fluch und Segen der Marke
Aus Sicht der betroffenen Fluggesellschaft wäre es wohl am einfachsten, sie könnte sich der Bürde des Namens entledigen und das Geschäft nach einem Vorfall unter einer neuen Marke fortführen. Bei Germanwings trug eine Unfalltragödie in den französischen Alpen 2015 dazu bei, dass die Muttergesellschaft Lufthansa fünf Jahre später die Marke in Eurowings überführte.
Im Falle von Malaysia Airlines entschieden sich die Verantwortlichen auch nach der Verstaatlichung für eine Beibehaltung des alten Namens. Denn so tragisch die beiden Vorfälle auch waren – sie hatten die Fluggesellschaft weltbekannt gemacht. Dean Dacko, der damalige Marketingverantwortliche von Malaysia Airlines, verglich die plötzliche Markenwahrnehmung seiner Firma mit jener von Coca-Cola und Pepsi. Betriebswirtschaftlich gesehen wäre es ein Fehler, das leichtsinnig aufzugeben, sagte Dacko.
2023 beförderte Malaysia Airlines mehr als 10 Millionen Passagiere und überschritt laut Aussagen des CEO erstmals seit einem Jahrzehnt wieder die jährliche Gewinnschwelle.
Die Unternehmensleitung der südkoreanischen Jeju Air wird bestimmt handeln müssen, damit sie die Vertrauenskrise ebenfalls überstehen kann.