Konjunktursorgen oder Aufschwung, Inflationsbekämpfung oder fallende Zinsen: Die Profis schätzen die Herausforderungen für die hiesige Börse 2024 unterschiedlich gross ein. Unter ihren Favoriten sind per Ende März die zyklischen Werte SFS und Komax, aber auch defensive Aktien wie Bell Food Group.
Die Schweizer Börse ist gut, wenn auch nicht euphorisch ins Jahr gestartet. Der marktbreite Swiss Performance Index hat bis Ende März 6% gewonnen. Damit lag er im internationalen Vergleich zwar zurück, die von The Market vierteljährlich befragten Schweizer Fondsmanager zeigen sich aber insgesamt eher positiv überrascht. Anfang Jahr hatten sie vor zu viel Optimismus gewarnt. Und die Profis sind sich einig, dass 2024 Herausforderungen bleiben – doch sind Ausblick und Positionierung unterschiedlich zuversichtlich.
«Der Start ins Börsenjahr 2024 ist geglückt, wir blicken auf ein erstes Quartal mit positiver Performance zurück», sagt Martin Lehmann von 3V Asset Management. Marc Hänni von Vontobel Asset Management gibt zu bedenken, dass es insbesondere im Januar und im März wenige Indexschwergewichte waren, die dafür sorgten, dass der Aufwärtstrend von Ende 2023 aufrechterhalten werden konnte. «Das Segment der kleinen und mittelgrossen Unternehmen dagegen legte kaum an Wert zu.»
Geringe Visibilität, schwierige Auftragslage
«Wegen der nach wie vor vorhandenen Unsicherheiten angesichts der globalen Wirtschaftsverfassung standen in der Berichtssaison vor allem die Ausblicke für das laufende Jahr im Fokus», sagt Hänni. Sie blieben aber grösstenteils sehr vage. Das bestätigt Philipp Murer von der Bank Reichmuth: «Im zweiten Halbjahr 2023 sind vielerorts die Bestellungen ausgeblieben, der Umsatz kam deutlich zurück, und die Visibilität ist schlecht.» Dies führe dazu, dass 2024 ein Übergangsjahr sein werde, wenn sich die Konjunktur nicht verbessere.
Der Lagerabbauzyklus sei laut Murer in einigen Segmenten aber bereits fortgeschritten, was historisch jeweils dazu geführt habe, dass der Bestellungszyklus anziehe. Marc Possa von der VV Vermögensverwaltung sieht das anders: «Es könnte für die Unternehmen schwierig werden, den Auftragseingang zu steigern.» Einige – insbesondere europäische – Einkaufsmanagerindizes hätten sich zwar leicht verbessert, viele lägen aber immer noch gefährlich weit unter der Wachstumsschwelle, «was auf schwierigere wirtschaftliche Zeiten hindeutet».
Ohnehin hält Possa die Märkte derzeit für zu optimistisch: «Sie preisen keine grössere Rezession ein, man hofft weiter auf den nötigen Support der Zentralbanken.» Dies, nachdem das sehr positive Jahresende 2023 bereits auf einem perfekten Desinflationsszenario basierte. Die Marktteilnehmer mussten ihre Erwartungen an die US-Notenbank Fed im Hinblick auf baldige Zinssenkungen angesichts anhaltend starker Wachstums- und Beschäftigungsdaten reduzieren. «Auch wenn die positive Stimmung an den Märkten kurzfristig anhalten könnte, bleiben wir für die erste Jahreshälfte zurückhaltend.»
Schwächerer Franken hilft
Lehmann sieht die kommenden Monate positiver: «Die Aussicht auf tiefere Zinsen gepaart mit einer möglichen Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im zweiten Halbjahr sollte für weiter steigende Kurse sorgen.» Rückenwind erwartet er – speziell für Small und Mid Caps – auch von der unerwarteten Zinssenkung der Schweizerischen Nationalbank. Dabei helfe die Abschwächung des Frankens, was das Anlegerinteresse vermehrt auf dieses Segment lenke.
Die Frankenschwäche sei aber wohl eine temporäre Entwicklung, sagt Hänni. Insgesamt erachtet Vontobel den Ausblick auf Schweizer Aktien für die nächsten zwölf Monate als vorteilhaft. «Der defensive Charakter von Schweizer Aktien wird in diesem Umfeld zum Tragen kommen.» Ronald Wildmann von Serafin Asset Management sieht vor allem bei Substanzwerten sowie bei Titeln von Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung noch ein erhebliches Aufwärtspotenzial.
Philipp Murer gefallen Zykliker
Philipp Murer setzt in seinem Fonds Reichmuth Pilatus im Nebenwertesegment auf Marktleader in ihren Nischen, die gut geführt sind und über eine solide Bilanz verfügen. Derzeit gefallen ihm zyklische Unternehmen besonders gut: Die grössten Positionen sind weiterhin Bossard und SFS, wo Murer Ende 2023 zugekauft hatte. Unter den fünf Favoriten ist neu auch Komax (per Ende März).
«Wir haben die Kursschwäche im März genutzt und unsere Position am Hersteller von Kabelverarbeitungsmaschinen zu attraktiven Kursen ausgebaut», sagt Murer. Die langfristigen Treiber von Komax seien intakt. Insbesondere beim – durch den Personalmangel befeuerten – Automatisierungstrend sieht er noch Potenzial: Erst rund 20% der Kabelbearbeitung seien automatisiert, ein Teil davon nur teilweise.
Nach Zukäufen im Vorquartal taucht auch Interroll neu unter den grössten fünf Übergewichten auf. Der Intralogistiker sei Technologieführer in einer attraktiven Nische und werde von einem umsichtigen Management geführt. «Langfristig gesehen sind Automation und Intralogistik ein struktureller Wachstumsmarkt», auch hier spiele der Personalmangel eine Rolle. Zu den aktuellen Kursen kriege man laut Murer viel Qualität zu einem angemessenen Preis.
Zugekauft hat der Fondsmanager im ersten Quartal bei Forbo. Beim Spezialisten für Bodenbeläge sei ein Aktienkurs um 1000 Fr. jeweils ein Kaufsignal. Auf dem jetzigen Niveau sei die Bewertung attraktiv, und die Markterwartungen seien angemessen. «Mit Jens Fankhänel hat ein neuer CEO mit grosser Industrieerfahrung übernommen, von ihm halten wir viel», ergänzt Murer. Die Strategie der konsequenten Aktienrückkäufe zahle sich für Aktionäre langfristig aus.
Ausgebaut hat Murer auch Zehnder, eine Kernposition des Fonds. Der Hersteller von Heizungen und Lüftungssystemen sei umsichtig geführt, der Markt wachse strukturell, und der Zyklus befinde sich nahe dem Tief. Der Kurs hat sich seit dem Höchst denn auch halbiert, die Aktien seien damit moderat bewertet. «2024 wird wohl ein Übergangsjahr: Höhere Lohnkosten versucht das Unternehmen mit Einsparungen zu kompensieren.» Für den Aufschwung sei Zehnder aber gerüstet.
Martin Lehmann glaubt ans Aufholpotenzial
Martin Lehmann hält die Bewertung der Small und Mid Caps gegenwärtig für attraktiv. «Nach zwei schwierigen Jahren sehen wir Aufholpotenzial für dieses Segment.» An den Positionen im 3V Invest Swiss Small & Mid Cap hat er wenig verändert. Unter den fünf Favoriten tauchen neu die Aktien von Implenia auf, während sich das Gewicht von Temenos wegen des Kurseinbruchs Mitte Februar verringert hat. Gewinn mitgenommen hat der Fondsmanager bei den Valoren des Technologieunternehmens Comet.
Implenia habe für 2023 erneut starke Geschäftszahlen präsentiert, und die 50% höhere Dividende sende ein zuversichtliches Signal aus, sagt Lehmann. «Der operative Fortschritt in den vergangenen Jahren hat mehr Investorenvertrauen sowie eine höhere Bewertung verdient.» Mit dem Einstieg der Buru Holding als Grossaktionär sollte nun auch im Aktionariat Ruhe einkehren, ist der Fondsmanager überzeugt.
Eine neue Position aufgebaut hat Lehmann in Calida. Der Wäschehersteller hat für 2023 nach Fehlakquisitionen und hohen Wertberichtigungen tiefrote Zahlen ausgewiesen. Jetzt seien die Aufräumarbeiten abgeschlossen, ist der Fondsmanager überzeugt. Derweil sei die Bilanzqualität mit der sehr geringen Verschuldung hoch, «und wir sehen die Rückkehr zu (profitablem) Wachstum».
Seit dem Börsengang im März engagiert ist 3V Asset Management auch in Galderma. «Wir erachten das strukturell wachsende Geschäft des Dermatologiespezialisten als attraktiv», sagt Lehmann.
Markant erhöht hat er ausserdem die Position in Barry Callebaut, nachdem hausgemachte Probleme und der stark gestiegene Kakaopreis den Aktien zugesetzt hatten. Nun sei die Bewertung attraktiv, hält Lehmann fest. «Der langfristige Investment Case ist intakt, und Barry Callebaut sollte mit ihrer Marktposition vom wachsenden Schokoladenmarkt sowie vom Trend zu Outsourcing profitieren.»
Erfreulicher lief 2023 für Medacta, das Orthopädieunternehmen ist deutlich gewachsen und konnte erneut Marktanteile gewinnen. Der einzige Wermutstropfen sei der Fakt, dass die Marge durch den starken Franken geschmälert worden sei. Lehmann hat auch diese Position ausgebaut.
Marc Hänni fokussiert auf hohe Qualität
Im gegenwärtig anspruchsvollen Marktumfeld sei es laut dem Leiter Schweizer Aktien bei Vontobel Marc Hänni noch wichtiger als sonst, an den hohen Qualitätsanforderungen bei der Unternehmensanalyse festzuhalten: «Wir fokussieren auf starke Bilanzen, globale Marktführerschaft, Innovationskraft und eine einwandfreie Unternehmenskultur.» Unter den grössten Übergewichten tauchen per Ende März fünf neue Namen auf.
Holcim habe in den vergangenen Quartalen unabhängig vom Marktumfeld sowohl die Profitabilität als auch den Cashflow verbessert. «Wir erwarten, dass diese Entwicklung 2024 weitergeht.» Die Dekarbonisierungsinitiativen seien beschleunigt worden und sollten die relative Performance gegenüber den Wettbewerbern stützen. Der Spin-off des nordamerikanischen Geschäfts könne die Neubewertung der Aktien weiter vorantreiben.
Zuversichtlich ist Hänni auch, dass Belimo der Start ins neue Jahr geglückt ist. «Insbesondere für den chinesischen Markt erwarten wir, dass sich in den nächsten Quartalen eine Trendwende abzeichnen könnte, nachdem der Umsatz im vergangenen Jahr 10% zurückgegangen ist.» Grosses Potenzial sieht Vontobel auch im noch immer kleinen Sensorengeschäft, das derzeit weniger als 5% des Gesamtumsatzes ausmacht.
Neu unter den Favoriten von Vontobel sind auch die Aktien von Clariant, nachdem Hänni die Position im Vorquartal ausgebaut hatte. «Wir sehen Clariant als gut positioniert, um von der Stabilisierung und der Erholung in den wichtigsten Endmärkten zu profitieren.» Nach der Reduktion der Ziele für 2025 seien die Markterwartungen an den Spezialchemiehersteller realistisch. Zudem habe sich das neue Management bisher einen guten Track Record aufgebaut.
Ebenfalls von einer Erholung profitieren kann laut Hänni der Flughafen Zürich. Die Passagierzahlen sind seit Anfang Jahr weiter gestiegen. Der freie Cashflow werde ab 2025 – nach der Fertigstellung des Noida-Flughafens in Indien – deutlich steigen. «Die Aktie sieht bewertungstechnisch attraktiv aus, wenn man die aktuellen Vielfachen mit dem Zehnjahresdurchschnitt vergleicht – und dies bei einer derzeit höheren Profitabilität als in der Vergangenheit.»
Nachgekauft hat Vontobel bei Cembra und Kühne + Nagel. Beim Logistikkonzern hat Hänni die Kursschwäche nach der Präsentation der enttäuschenden Zahlen für das vierte Quartal 2023 genutzt. «Aus unserer Sicht steht das Unternehmen aber besser da als noch vor der Pandemie.» So lag die für Logistikdienstleister wichtige Konversionsmarge (Verhältnis zwischen dem Gewinn vor Steuern und dem Rohertrag) im vergangenen Jahr über dem Niveau von 2019. Auch gelinge es dem Unternehmen, Marktanteile zu gewinnen.
Enttäuscht ist Hänni dagegen von der Entwicklung bei AMS Osram. Trotz des Kurssturzes bestehe im Verhältnis zu den Risiken zu wenig Aufwärtspotenzial in der Aktie. Er hat die Position komplett verkauft.
Ronald Wildmann setzt auf den Schweizer Binnenmarkt
Ronald Wildmann setzt im Fonds AMG Substanzwerte mehrheitlich auf Unternehmen, die ihren wirtschaftlichen Fokus in der Schweiz haben. «Die Bewertungen in diesem Segment sind momentan sehr tief.» Unter den fünf grössten Positionen tauchen per Ende März gleich vier neue Namen auf: Galenica, Hiag, Accelleron und Flughafen Zürich.
Zugekauft hat Wildmann erneut bei den Aktien von Flughafen Zürich und von Bell Food Group. Der Flughafen zeige eine starke Umsatz- und Gewinndynamik, und wie Hänni verweist auch Wildmann darauf, dass mit der Fertigstellung des Flughafens in Indien die Free-Cashflow-Generierung noch zunehmen werde. Die Titel entwickelten sich damit zu einer Dividendenstory. Der Nahrungsmittelhersteller wiederum habe 2023 trotz herausforderndem Umfeld stark performt. «Das aktuelle Investitionsprogramm wird die Wettbewerbsfähigkeit von Bell nachhaltig und deutlich verbessern.» Die Aktie sei attraktiv bewertet.
Positiv gestimmt ist der Fondsmanager auch für die Jungfraubahn: «Mit der vollendeten Errichtung der V-Bahn geht sie gestärkt aus der Pandemie hervor und hebt sich mit eindeutigen Wettbewerbsvorteilen von der inländischen Konkurrenz ab.» Diese Vorteile würden sich laut Wildmann in einem hohen durchschnittlichen Preis pro Gast niederschlagen.
Eine neue Position aufgebaut hat Wildmann in BKW, nachdem er die Papiere noch im Herbst 2023 verkauft hatte. Mit Blick auf die gestiegenen Strompreise, die für die kommenden drei Jahre bereits abgesichert wurden, und die operative Hebelwirkung seien die Aktien günstig bewertet, hält er fest. Langfristig geht er von weiter steigenden Strompreisen aus. «Die Wertberichtigungen im Dienstleistungsgeschäft wurden vorgenommen, und das neue Management wird diesen Bereich nicht weiter forcieren.»
Nicht mehr ins Profil des auf Swissness ausgerichteten Fonds passten dagegen die Titel DKSH. Wegen eines enttäuschenden Geschäftsverlaufs verkauft hat Wildmann seine Positionen in Coltene und Swissquote.
Marc Possa ist von defensiver Qualität überzeugt
«Gesunde Bilanzen werden in einer Welt, die von strengeren Kreditbedingungen und einem sich abschwächenden Marktumfeld geprägt ist, immer wichtiger», sagt Marc Possa. Das spiegelt sich in der Aktienauswahl des von ihm verwalteten SaraSelect-Fonds. Bei drei der fünf Favoriten hat sich nur die Reihenfolge geändert: Bachem, Also und Sika gehören schon lange zu den Übergewichten. Neu unter den Top fünf sind Bell Food Group und Skan.
Wie Wildmann ist auch Possa überzeugt von Bell Food Group. Der Fleischverarbeiter – und dank der Tochtergesellschaft Hilcona auch Convenience-Spezialist – sei sehr gut aufgestellt. «Die Synergieeffekte mit Coop werden vom breiten Markt nicht verstanden», hält er fest. Auch die Kapitalausgaben in Höhe von 1,5 Mrd. Fr. hält Possa für sinnvoll und zweckmässig.
Skan wiederum profitiert laut Possa dank ihrer klaren Marktführerschaft im Bereich der Isolatoren vom starken strukturellen Wachstum beim Gebrauch von flüssigen Wirkstoffen, die bei der Abfüllung sterilisiert werden müssen. «Nach dem Ende der Blackout-Periode im Nachgang des Börsengangs im Oktober 2021 kommt man als Investor endlich auch an vernünftige Aktienpakete.»
Nachdem Possa Ende 2023 aktiv gewesen war, verzeichnete sein Fonds im ersten Quartal nur wenige Käufe. So etwa bei Stadler Rail: «Dank der Ratingänderung durch UBS von ‹Kaufen› auf ‹Verkaufen› in Erwartung negativer Zahlen für die Jahreszahlen 2023 hat sich die Gelegenheit ergeben, weiter in diese an sich sehr gut positionierte, exzellent geführte Gesellschaft zu investieren.» Unter anderem der strukturelle Treiber durch den Trend vom Individual- hin zum öffentlichen Verkehr werde das Wachstum der Gesellschaft länger positiv prägen.
Strukturelles Wachstum erwartet der Fondsmanager auch bei SIG Group. Der Verpackungsspezialist werde von CEO Samuel Sigrist gut geführt und weise darüber hinaus auch defensive Eigenschaften auf. «Nach grösseren Kursrückgängen konnten wir endlich die Position aufbauen», sagt Possa.
Ausgebaut hat er das Engagement bei Dätwyler. Sie bleibe hinter West Pharma global die klare Nummer zwei im Bereich des Pharmapackaging. Zuletzt habe der Aktienkurs unter dem Wegfall des Covid-bedingten Geschäfts und den Wechseln im Management gelitten. «Sowohl CEO als auch CFO wurden jedoch umgehend sehr kompetent ersetzt. Die neuen Köpfe werden der langjährig eingeschlagenen Strategie, die keiner grossen Veränderung bedarf, zu mehr Dynamik verhelfen.»