Die Ukraine hat zwei Personen festgenommen, die im Westen des Landes militärisch relevante Informationen gesammelt haben sollen. Im belasteten Verhältnis zwischen Kiew und Budapest ist ein neuer Tiefpunkt erreicht.
Transkarpatien im äussersten Westen der Ukraine gilt als eines der sichersten Gebiete des kriegsversehrten Landes. Weitab der Front und ohne nennenswerte Industrie oder grosse Städte ist die Region hinter den Karpaten nur selten Ziel russischer Raketenangriffe.
Ein Brennpunkt ist Transkarpatien dennoch, vor allem für die belasteten Beziehungen zwischen Kiew und Budapest. In der multiethnischen Region leben ungefähr 100 000 ethnische Ungarn. Die ukrainischen Minderheitengesetze sowie die ungarische Unterstützung für Volksgenossen im Ausland, etwa durch die grosszügige Verleihung der ungarischen Staatsbürgerschaft, sorgen immer wieder für Verstimmungen.
Hinzu kommt die provokative Rhetorik aus Budapest, die Transkarpatiens historische Bedeutung als magyarisches Kernland betont und damit verklausuliert den ukrainischen Anspruch auf die Region infrage stellt.
Informationen über ukrainische Flugabwehr
Nun hat der ukrainische Inlandgeheimdienst SBU mitgeteilt, dass nach seinen Erkenntnissen die ungarischen Aktivitäten in Transkarpatien weit über das bisher bekannte Ausmass hinausgingen. In der Region sei ein ungarischer Spionagering tätig, der «Informationen zum Nachteil der Ukraine» sammle. Zwei Personen wurden in diesem Zusammenhang festgenommen.
Ein vom SBU veröffentlichtes Video zeigt unter anderem Ausschnitte aus einem anonymisierten Verhör von einem der beiden Verdächtigen sowie Mitschriften abgehörter Telefongespräche mit einem Offizier des ungarischen Militärgeheimdiensts.
Der Auftrag an den Verhafteten, einen ehemaligen ukrainischen Soldaten, der bereits länger im Kontakt mit den ungarischen Diensten gestanden habe und im Herbst 2024 aktiviert worden sei, lautete demnach, militärisch relevante Informationen zu sammeln sowie ein Meinungsbild der Bevölkerung zu erstellen.
Konkret sei es um in Transkarpatien stationiertes Militärgerät gegangen, aber auch um militärische Ausrüstung, die in der Region auf Schwarzmärkten erworben werden könne. Unter anderem habe der Spion Informationen über die ukrainische Flugabwehr weitergegeben. Zudem habe er herausfinden sollen, wie die Bevölkerung über die Stationierung von ausländischen Friedenstruppen in der Region denke.
«Antiungarische Propaganda»
Der ungarische Aussenminister Peter Szijjarto sprach gegenüber dem Fernsehsender ATV von ukrainischer Propaganda. «Die letzten drei Jahre haben leider bewiesen, dass der Krieg in der Ukraine teilweise ein Propagandakrieg ist», sagte Szijjarto. Die Ukraine setze häufig antiungarische Propaganda ein, die sich später als völlig haltlos erweise. Die Regierung werde sich mit der Sache befassen, sobald offizielle Informationen vorlägen.
Dass Kiew den Vorfall nutzt, um die ungarische Regierung zu diskreditieren, liegt nahe. Die Beziehungen sind nicht nur wegen Transkarpatien schlecht. Viktor Orban sabotiert nach Kräften jegliche europäische Unterstützung für die Ukraine und plädiert für eine Aussöhnung mit Moskau.
Am Freitag trafen sich in Lwiw die Aussenminister von mehr als dreissig europäischen Staaten – nicht aber Ungarns – und setzten so einen Kontrapunkt zu den propagandistischen Feierlichkeiten in Moskau anlässlich des 80. Jahrestags des sowjetischen Sieges über Nazi-Deutschland. Das verleiht dem Zeitpunkt der ukrainischen Spionagevorwürfe eine besondere Bedeutung.
Ungarn ist sicherlich nicht der einzige Staat, der in der Ukraine nachrichtendienstlich aktiv ist. Auch enge Partner dürften hinter dem Rücken Kiews heikle Informationen sammeln. Dass die Anschuldigungen gegen Budapest haltlos sind, bedeutet das aber nicht.