Welche Rolle spielt die Bundesrätin beim 15-Milliarden-Deal? Antworten liefern vertrauliche Unterlagen – und ein Vergleich mit der 13. AHV-Rente.
Schwierig war es von Anfang an. In den zähen Kämpfen um das Budget der Armee, die vor zwei Jahren begonnen haben, hat Viola Amherd Freund und Feind schon mehrmals verwirrt. Gelegentlich musste die Verteidigungsministerin nicht nur die Milliarden des Militärs verteidigen, sondern auch sich selbst. Mit dem früheren Finanzminister Ueli Maurer lag sie mehrfach im Clinch, heute hat sie es mit seiner Nachfolgerin Karin Keller-Sutter zu tun. Entschieden ist der Streit noch immer nicht, im Gegenteil, er erreicht gerade einen Höhepunkt.
Ausgerechnet jetzt, wo Amherd auch als Bundespräsidentin fungiert, wirft ihre Rolle erneut Fragen auf. Welchen Anteil hat sie am ebenso kühnen wie umstrittenen Vorschlag, den die Sicherheitskommission des Ständerats lanciert hat? Eine Mitte-links-Allianz will über einen neuen Fonds 10 Milliarden Franken für die Armee und 5 Milliarden für die Unterstützung der Ukraine bereitstellen.
Das viele Geld soll als «ausserordentlich» deklariert werden, um es an der Schuldenbremse vorbeizuschleusen. Der Bundesrat hat diese Idee bereits mehrfach abgelehnt, aus seiner Sicht erlaubt das Gesetz eine ausserordentliche Verbuchung weder bei der Armee noch bei der Ukraine.
«Nicht voraussehbar, überraschend, schwerwiegend»
Dennoch berichten nun mehrere Involvierte, das Departement Amherd habe den Mitte-links-Plan hinter den Kulissen unterstützt oder zumindest nicht bekämpft. Diese Darstellung wird gestützt durch vertrauliche Unterlagen für die entscheidende Kommissionssitzung, über die als Erstes der «Blick» berichtet hat. Amherds Departement will sich auf Anfrage nicht dazu äussern.
In den Unterlagen wird die Frage der ausserordentlichen Finanzierung ausführlich behandelt. Zuerst legt die Finanzverwaltung die bekannte Sicht dar und erklärt, weshalb alle Ausgaben für die Armee und die Wiederaufbauhilfe der Ukraine ordentlich budgetiert werden müssen. Diese Auslegung ist bereits früher durch das Bundesamt für Justiz gestützt worden. So weit, so normal.
Dann aber folgt ein Absatz mit der Überschrift «Input VBS»: Hier führt Amherds Departement aus, neben der finanzhaushaltstechnischen sei auch eine sicherheitspolitische Beurteilung vorzunehmen. Sie fällt düster aus: Die Sicherheitslage habe sich stark verschlechtert. Kaum jemand habe damit gerechnet, dass Russland einen eigentlichen Krieg gegen die Ukraine unter Grosseinsatz seiner Streitkräfte beginnen würde, schreibt das VBS. Dann folgt in Fettschrift, damit es sicher niemand übersieht, dieser Satz: «Das ist als ein nicht voraussehbares, überraschendes, schwerwiegendes – und somit auch als aussergewöhnliches – Ereignis zu betrachten.»
«Aussergewöhnlich» klingt nach «ausserordentlich». Will das VBS damit sagen, dass eine Finanzierung an der Schuldenbremse vorbei eben doch möglich wäre? Explizit ist die Aussage in den Unterlagen nicht zu finden. Zu den mündlichen Ausführungen an der Kommissionssitzung sind unterschiedliche Versionen zu hören. Zumindest teilweise wurden sie so verstanden, dass sich das VBS eine ausserordentliche Finanzierung gut vorstellen könnte.
Alles eine Frage des politischen Willens
Eines zeigen die Unterlagen deutlich: Das VBS bemüht sich, die zeitliche Dringlichkeit zu betonen. Die Lieferfristen bei Rüstungsgütern würden wegen der steigenden Nachfrage länger, steht da. Man dürfe nicht zögern und zuwarten. Es gelte, der Armee die Mittel «rasch» zuzusprechen.
Ein hoher Zeitdruck kann ein Argument sein, wenn es um die ausserordentliche Verbuchung von Ausgaben geht. Dass der Bund etwa bei einer Naturkatastrophe ohne Rücksicht auf die Schuldenbremse rasch handlungsfähig sein muss, ist klar. Also gilt das auch beim Armeebudget?
Hier hilft ein Vergleich mit einem anderen Streitthema: mit der 13. AHV-Rente, die das Volk Anfang März beschlossen hat. Sie kostet 4 bis 5 Milliarden Franken im Jahr und muss Anfang 2026 eingeführt werden, weniger als zwei Jahre nach der Abstimmung. Somit sind aus heutiger Sicht sowohl der Zeitdruck als auch der Geldbedarf grösser als bei der Armee. Trotzdem zeigt der Fahrplan des Bundesrats, dass es möglich ist, die Finanzierung rechtzeitig umzusetzen – und zwar im ordentlichen Verfahren, ohne Ausnahmeklausel, ohne neue Schulden. Der Plan stösst zwar politisch auf Widerstand, weil er einseitig höhere Abgaben vorsieht.
Aber das ist nicht die entscheidende Frage. Vielmehr zeigt der Vergleich, was im Rahmen der Schuldenbremse möglich ist. Die Lehre daraus: Es ist alles eine Frage des politischen Willens. Wenn Bundesrat und Parlament für die Armee und die Ukraine mehr Geld bereitstellen wollen, können sie dies auf ordentlichem Weg beschliessen – mit Einsparungen oder höheren Einnahmen.
Dass Sparpakete und Steuererhöhungen schwierig und schmerzhaft sind, ist klar. Aber die rechtlichen Vorgaben sind ebenso klar: Sie erlauben die Aushebelung der Schuldenbremse nur, wenn der Zahlungsbedarf nicht im normalen Verfahren gesteuert und gedeckt werden kann.
Bis 2035 oder bis 2030?
Ob man das auch im VBS so sieht, wird sich bald zeigen. Das Departement muss dem Bundesrat nun einen Entwurf für die Stellungnahme zum 15-Milliarden-Deal der Sicherheitskommission vorlegen.
Dabei ist ein zweiter Punkt brisant: Umstritten ist nicht nur die Verbuchung der Armeeausgaben, sondern auch deren Höhe. Hier deuten die Unterlagen aus der Kommission ebenfalls darauf hin, dass sich Bundesrätin Amherd auf einem schmalen Grat bewegt. Ursprünglich verlangte das Parlament, dass das Armeebudget bis 2030 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts erhöht wird.
Wegen der schlechten Finanzlage schlug der Bundesrat später vor, den Anstieg zu bremsen. Das 1-Prozent-Ziel soll erst 2035 statt 2030 erreicht werden. Das Parlament hat dies akzeptiert, wenn auch knapp. Laut gut informierten Quellen soll unter dem Druck der Finanzen am Ende auch Amherd keine Gegenwehr mehr geleistet haben.
«Rasch erhöhen und intensivieren»
Doch nun tönt es wieder anders. In den Unterlagen verweist das VBS auf die Rüstungspläne der Nato-Staaten und betont, es sei essenziell, dass auch die Schweizer Armee ihre Verteidigungsfähigkeit «rasch erhöhen und intensivieren» könne. Heisst das, dass das VBS den Anstieg des Budgets nun wieder beschleunigen möchte? Dass es das Ziel von 2035 zurück auf 2030 verschieben will?
Tief blicken lässt primär ein Satz. Die Sicherheitskommission will für die Armee bis 2030 rund 10 Milliarden mehr ausgeben als geplant. Das ist genau so viel, wie ihr durch die zeitliche Erstreckung entgeht, die Bundesrat und Parlament beschlossen haben. Kommentar des VBS: «Mit diesem Betrag könnten die nötigsten Investitionen rasch getätigt werden.» Im Umkehrschluss heisst das: Laut VBS verhindert der Bundesrat mit seiner Variante, dass die Armee schon nur das Nötigste machen kann. Für Gesprächsstoff ist gesorgt.
Der nächste Entscheid steht kurz bevor. Die Finanzkommission des Nationalrats diskutiert Anfang Woche über den 15-Milliarden-Deal. Finanzministerin Keller-Sutter dürfte alles daransetzen, dass es hier anders ausgeht.