Sie war in South Carolina eine gute Gouverneurin. Dass Nikki Haley selbst dort in der republikanischen Vorwahl verlieren wird, hat mit ihrer Haltung gegenüber Trump zu tun – aber nicht nur. Ein Besuch im 3000-Seelen-Ort Bamberg.
Nikki Haley, die Tochter indischer Einwanderer, ist ein wundersames Produkt amerikanischer Integration. Die Suche nach ihren Wurzeln führt nicht etwa in eine multikulturelle Metropole, sondern in die tiefste Provinz im Südstaat South Carolina: nach Bamberg, einer 3000-Seelen-Gemeinde auf halbem Weg zwischen der Hauptstadt Columbia und der Küstenstadt Charleston. 1972 kam Nimarata Nikki Randhawa hier zur Welt.
Nikki Haley besuchte Mitte Februar den Ort ihrer Jugend – kurz vor der republikanischen Vorwahl am Samstag. Es war eine Rückkehr unter schlechten Vorzeichen: Zum einen richtete ein Tornado vor wenigen Wochen entlang der historischen Einkaufsstrasse grossen Schaden an. Der Sturm riss ganze Stockwerke der offenkundig bereits baufälligen Backsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert ein.
Zum anderen lag die ehemalige Gouverneurin in ihrem Heimatstaat auch wenige Tage vor der Wahl in den Umfragen noch rund 30 Prozentpunkte hinter Donald Trump zurück. Und dies, obwohl sie ihren Rivalen immer stärker kritisierte. Viele Politiker, die Trump öffentlich huldigten, würden ihn privat fürchten, sagte Haley kürzlich: «Sie wissen, was für ein Desaster er für unsere Partei war und bleiben wird.»
Von der Aussenseiterin zur Aufsteigerin
Vor der Kulisse zerstörter Häuser in Bamberg versuchte Haley ihren Wählern gegenüber vor allem Mitgefühl auszustrahlen und ihnen Hoffnung zu geben. «Diese kleine Stadt hat so viel durchgemacht.» Aber sie habe ihr auch beigebracht, stark zu sein und mit Anstand durchs Leben zu gehen. «Sie lehrte mich: Die Nachbarn sorgen sich um die Nachbarn – egal, was kommt.»
Unter den Zuhörerinnen war auch Jamie Brabham. Sie und ihre Tochter sind mit Haley und deren Familie seit vielen Jahren befreundet. «Ich habe früher für das Kleidergeschäft ihrer Mutter gemodelt», erzählt die 78-jährige Kosmetikerin. «Es waren sehr feine Kleider – für die Oberschicht», erinnert sich Brabham. Haley und ihre ältere Schwester hätten im Laden mitgearbeitet: «Nikki machte die Buchhaltung und Simmi den Einkauf.»
Jamie Brabham scheint selbst zur wohlhabenderen Schicht in Bamberg zu gehören. Ihre Familie besitzt unter anderem eine Forstwirtschaft mit einer Fläche von rund 400 Hektaren und ein Unternehmen, das grosse Sägeblätter schleift. Von den zerstörten Häusern im Stadtkern bis zu ihrem stattlichen Landhaus ist es nur ein kleiner Spaziergang. Der Tornado hat zwar auch das Säulenportal über ihrer Eingangstür verzogen und einen Teil der Veranda im Garten mitgerissen. Aber die Bausubstanz wirkt im Vergleich solid. Das Haus nebenan steht wie auch etliche Geschäfte in Bamberg leer, viele andere Gebäude sind baufällig oder zum Verkauf angeboten. Allein im letzten Jahrzehnt ist die Bevölkerung um fast 15 Prozent geschrumpft.
Als die Randhawas in Bamberg ankamen, fanden sie nach langer Suche ein kleines Haus nur ein paar Strassenzüge von den Brabhams entfernt. «Sie waren uns ziemlich fremd», erinnert sich Jamie Brabham. Sie waren die einzige indische Familie in einer Stadt, die in afroamerikanische und weisse Wohngebiete gespalten war. Haley thematisierte dies vor einem Jahr auch in ihrem Video, mit dem sie ihre Kandidatur lancierte: «Die Eisenbahnlinie teilte die Stadt entlang der Hautfarbe. Ich war die stolze Tochter indischer Einwanderer. Nicht schwarz, nicht weiss. Ich war anders.»
Besonders ihr Vater fiel als gläubiger Sikh mit seinem farbigen Turban auf. Dass er als Biologieprofessor in der Nachbarstadt an einer afroamerikanischen Universität unterrichtete, habe das Misstrauen noch verstärkt, schreibt Haley selbst in ihren Memoiren. Je mehr die Bamberger jedoch erkannt hätten, wie gebildet, fleissig und liebenswürdig die Randhawas seien, desto weniger sei dies ein Problem gewesen, meint Brabham.
Mit Vorliebe gegen den Strom
Obwohl sie 2016 und 2020 für Trump gestimmt hatte, steht Brabham nun voll hinter Haley. Entscheidend für sie war dabei der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021. «Ich spürte einen richtigen Schmerz in der Brust.» So etwas sehe man sonst nur in anderen Ländern. «Die Leute brachen dort ein wie Tiere.» Und Trump hätte sie jederzeit stoppen können. «Aber er tat es nicht.»
An Haley schätzt sie den Respekt für andere Menschen, ihre Offenheit für andere Meinungen und ihr unabhängiges Denken. «Sie ging nie mit der Herde», erzählt Brabham. Auch privat nicht. Ihre Eltern hätten es gerne gesehen, wenn sie einen Mann aus indischen Kreisen geheiratet hätte. Doch Nikki entschied sich für Michael Haley, den sie während ihrer Studienzeit kennengelernt hatte. Sie konvertierte zum Christentum. Heute ist die Politikerin stolz darauf, eine noch buntere Familie zu haben. Vergangenes Jahr heiratete Haleys eigene Tochter Rena ihre College-Liebe, einen afroamerikanischen Mathematiklehrer.
Zu Haleys Unterstützerinnen in Bamberg gehört auch Paula Dyches, die Mitinhaberin von «Rusty and Paula’s Restaurant». Immer wenn Haley in der Stadt sei, komme sie zum Essen zu ihr, sagt Dyches. Ihr Gasthaus mit deftiger Südstaatenküche ist eine soziale Institution. Nun allerdings hat der Tornado auch ihr Lokal verwüstet und das ganze Dach abgedeckt. Dank der Versicherung und Hilfe aus der Nachbarschaft will sie im März aber ihre Türen wieder öffnen können. Ein neues Dach und neue Fenster sind bereits montiert. Die Vitrine mit einem Familienbild der Haleys ist heil geblieben. Auch eine kleine Freiheitsstatue steht darin, davor ein rotes Holzbrett mit der Aufschrift: «Es ist kein Essen, wenn es nicht frittiert ist.»
Auf einer anderen kleinen Tafel in der Vitrine ist ein Gockel gezeichnet. Daneben heisst es: «Der Hahn kräht, die Henne liefert.» Sie wolle es noch erleben, dass ihr Land von einer Präsidentin regiert werde, kommentiert Dyches den Spruch. Im Gegensatz zu Brabham hat sie ihre Meinung über Trump jedoch erst kürzlich geändert. Noch immer ist sie überzeugt, dass Joe Biden die Wahl vor vier Jahren nicht auf faire Weise gewonnen hat. Sie zeigt daher Verständnis für die Demonstranten, die ins Capitol stürmten. «Wir mussten ihnen zeigen, dass wir das Volk sind.»
Trump habe in seinen vier Jahren an der Macht gute Arbeit geleistet. «Nur die Corona-Pandemie kostete ihn eine zweite Amtszeit.» Zunehmend störte sich Dyches jedoch an der Unart des ehemaligen Präsidenten, andere Menschen zu erniedrigen. Seine ehemalige Uno-Botschafterin Haley beschimpft er mit Vorliebe als «birdbrain» (Spatzenhirn). Um rassistische Ressentiments zu schüren, nannte er sie auch schon bei ihrem ersten Vornamen Nimarata. Zuletzt zog er über ihren Mann her, der in Afghanistan diente und zurzeit im ostafrikanischen Land Djibouti stationiert ist. «Was ist mit ihrem Ehemann passiert? Wo ist ihr Mann? Er ist weg», meinte Trump bei einer Rally in South Carolina und suggerierte, Michael Haley suche absichtlich Distanz zu seiner Frau.
Für Dyches war dies der Wendepunkt. Sie sei das Kind eines Militärangehörigen, und ihr Sohn habe in Afghanistan gedient. «Ich weiss, welche Opfer diese Leute bringen müssen.» Trump verspreche, Amerika wieder grossartig zu machen. «Aber dann darf er nicht andere Leute erniedrigen.» Sie wünsche sich eine Person wie Haley, welche die Amerikaner mit einer positiven Botschaft zusammenbringt.
Mit ihrer Meinung ist Dyches unter der konservativen Wählerschaft in South Carolina jedoch in der Minderheit. Ihr Geschäftspartner Rusty Kinard findet zwar auch, dass Haley als Gouverneurin von 2011 bis 2017 viel Gutes getan habe. Obwohl sie den Niedergang in ländlichen Regionen wie Bamberg nicht aufhalten konnte, bauten grosse Firmen wie Boeing, BMW oder Volvo ihre Produktion in South Carolina aus oder verlegten sie dorthin. Im vergangenen Jahrzehnt sank die Arbeitslosigkeit in dem Südstaat von 12 auf 3 Prozent, und die Gesamtbevölkerung wuchs um rund 10 Prozent. Kinard aber kann Haley etwas nicht verzeihen: «Sie hätte die Flagge der konföderierten Südstaaten nicht entfernen lassen dürfen. Die schadete niemandem.»
Noch bis 2015 wehte die Fahne auf dem Grundstück des Capitols in Columbia. Doch dann tötete ein weisser Rassist in einer Kirche in Charleston neun Afroamerikaner. Nachdem Fotos des Täters publik geworden waren, auf denen er mit der Südstaatenflagge posiert, setzte sich Haley als Gouverneurin dafür ein, diese in der Regionalhauptstadt vom Mast zu nehmen. Unter dem blauen Andreaskreuz mit weissen Sternen auf rotem Grund kämpften die Südstaaten im Bürgerkrieg für den Erhalt der Sklaverei. Deshalb ist die Flagge vor allem für Afroamerikaner ein rassistisches Symbol.
Der 72-jährige Kinard sieht dies jedoch etwas anders. Er betreibt mit seinem Sohn eine Farm südlich von Bamberg. Auf rund tausend Hektaren baut er vor allem Mais, Sojabohnen und Wassermelonen an. Er glaubt, dass viele hier so denken wie er. «Mein Nachbar hat eine grosse Konföderiertenflagge auf seine Scheune gemalt», erzählt er mit einem breiten Südstaatenakzent vor seinem Haus.
Kinard wird für Trump stimmen. Weil die Farmer während seiner Amtszeit sehr viele Gelder aus Washington erhalten hätten. Aber auch, weil er ein Mann sei. Eine Frau würden die ausländischen Staatsführer nicht so ernst nehmen, meint Kinard. In der Weltpolitik gebe es sehr viele rücksichtslose Leute.
Wie verbreitet Kinards politisch unkorrekte Ansichten sind, lässt sich nicht abschätzen. Aber was der Mechaniker Matt Javis zu sagen hat, ist oft zu hören: «Wir alle haben Haley geliebt, bis sie sich gegen Trump stellte», erklärt der 57-jährige Handwerker, während er vor dem Supermarkt in Bamberg zwei Einkaufstüten und ein Pack Bierdosen in seinen Pick-up lädt. «Für diese wenigen Dinge habe ich 65 Dollar bezahlt», beklagt sich Javis und führt aus, wie stark die Inflation die Preise in die Höhe getrieben hat: «Am Tag, an dem Joe Biden die Wahl gewann, kostete die Gallone Benzin 1.79 Dollar. Sechs Monate später waren es 3 Dollar.»
Haley ist für ihn nur eine Berufspolitikerin. «Die sind alle korrupt.» Sie lebe zudem nicht einmal mehr in Bamberg. Haley besitzt ein Haus im Strand-Resort Kiawah Island südwestlich von Charleston. Dort leben auch ihre Eltern. Trump hingegen sei für das Volk. «Er wird den Zustrom der illegalen Migranten über die Grenze stoppen», ist sich Javis sicher. Jeden Tag kämen Tausende. Amerika könne sich dies nicht mehr leisten.
Auf die Frage, warum Trump und die Republikaner im Kongress dann einen Kompromiss zur Verschärfung der Asylpolitik und zur Unterstützung der Ukraine mit neuen Hilfsgeldern abgelehnt hätten, winkt Javis ab. «60 Milliarden Dollar für die Ukraine und keinen Penny für Amerika. Nur ein Idiot kann dem zustimmen.» Die USA müssten sich nun zuerst um ihr eigenes Volk kümmern. «Der Krieg in der Ukraine ist das verdammte Problem der Europäer.»
Javis ist wütend. Im Zweifelsfall vertraut er lieber auf Trump anstatt auf etablierte Institutionen. «Die Medien berichten einseitig. Und wenn du nicht glaubst, was sie sagen, verteufeln sie dich.» Dagegen kommt Haley kaum an. Aber aufgeben will sie angeblich noch nicht. Auch nicht nach einer weiteren Niederlage in South Carolina. Sie scheint es nicht wahrhaben zu wollen, dass ihr Kampf um die Seele der Republikanischen Partei im Grunde bereits verloren ist.