Der Servette FC wird Opfer seiner Überheblichkeit und kann seinen Cup-Sieg nicht wiederholen. Mit Ciriaco Sforza und dem FC Schaffhausen rufen sich zwei Vergessene des Schweizer Fussballs in Erinnerung.
Gefühlte hundert Mal schrie Ciriaco Sforza am Sonntagnachmittag das gleiche Wort auf den Schaffhauser Kunstrasen: «Use!» Es war die Anweisung des Schaffhauser Trainers an sein Team, nicht so tief zu stehen, sondern aufzurücken. Und gleichzeitig aber natürlich auch so etwas wie das Motto des Tages. Raus mit Servette, dem turmhohen Favoriten und Titelhalter.
Das Unterfangen gelang erstaunlicherweise: 2:1 siegte der Aussenseiter. Für Servette war es die verdiente Strafe für einen nonchalanten, überheblichen Auftritt; die Genfer schlugen sich selbst. Zur Pause hatten sie noch 1:0 geführt, doch in der 48. Minute unterlief dem Innenverteidiger Yoan Séverin ein Slapstick-artiges Eigentor. Zwölf Minuten später flog der Stürmer Jérémy Guillemenot nach einer streng gepfiffenen gelb-roten Karte vom Platz. Und quittierte das mit einem so überheblichen Lächeln, als ob er nicht begriffen hätte, dass seine Aktion den Klub gerade in eine Sinnkrise gestürzt hat.
Guillemenot, 26, wurde im Sommer 2023 für knapp 800 000 Franken aus St. Gallen eingekauft, es ist die mit Abstand höchste Ablöse, die Servette seit dem Konkurs von 2005 bezahlt hat. Der Transfer wurde von der Vereinsführung in erster Linie deshalb bewilligt, weil der Mittelstürmer ein Genevois ist. Ist ein Spieler im Kanton gross geworden, spielt das Geld in Genf eine untergeordnete Rolle – auch beim leihweisen Wechsel von Kevin Mbabu im Februar 2023 flossen Summen, die in keiner Relation zum Leistungsvolumen stehen.
Bei Guillemenot ist es ähnlich: Er ist ein Grossverdiener in dieser Mannschaft. Und lässt Torgefahr so beständig vermissen, dass er seit seinem Wechsel kein unumstrittener Stammspieler ist. Sein Auftritt in Schaffhausen war der Tiefpunkt einer bisher komplizierten Liaison.
Für den Leader Servette stellt die Blamage auch einen Weckruf dar. Der Cup-Sieg vom Juni, Servettes erster Titel seit 23 Jahren, hat die Erwartungen rund um den Klub weiter angeheizt. Vor drei Wochen bezwang das Team im Play-off-Rückspiel zur Conference League Chelsea; «Le Matin» fabulierte danach, Servette sei nun der Favorit auf den Meistertitel. Dabei kann der Klub finanziell aktuell nicht annähernd mit den Schwergewichten YB und Basel mithalten.
Der Verbleib der Offensivkraft Dereck Kutesa sollte ein Signal sein, doch wie stark ist die Zuversicht nun beschädigt?
Aufgrund von Sparmassnahmen ist das Kader weniger üppig besetzt als in der Vorsaison, in der Servette dem Vernehmen nach über seinen Verhältnissen lebte, was ein Loch in die Kasse riss. Es bedurfte reichlich interner Überzeugungsarbeit, damit im Sommer keine Spieler verkauft wurden.
Die Offensivkraft Dereck Kutesa hätte für knapp zwei Millionen Dollar nach Saudiarabien wechseln können, wo sein Salär vervielfacht worden wäre. Servette blieb hart, obwohl Kutesas Vertrag 2025 ausläuft und eine Verlängerung derzeit wenig realistisch erscheint. Ein Tag vor dem Ende der Transferfrist wäre beinahe ein namhafter Leihspieler aus der Bundesliga in Genf gelandet, ehe der Besitzerklub doch noch sein Veto einlegte.
Es sollte ein Signal sein: der Verbleib Kutesas und die Bereitschaft, für den richtigen Spieler zusätzliche Investitionen vorzunehmen. Dass man an das Potenzial dieser Mannschaft glaubt und ihr zutraut, um den Titel mitzuspielen. Es fragt sich, wie sehr der blamable Auftritt vom Sonntag diese Zuversicht beschädigt hat. Und wie stark er auch die Autorität des frisch eingestellten und bisher glücklosen Trainers Thomas Häberli beschädigt.
Der FC Schaffhausen verzeichnete im Sommer 47 Kadermutationen – und wechselte auch den Trainer aus
Für Schaffhausen und Sforza, zwei Vergessene des Schweizer Fussballs, ist der Achtungserfolg derweil ein Ausrufezeichen. Hinter dem Klub liegen schwierige Monate, Jahre eigentlich, die geprägt waren von undurchsichtigen Besitzverhältnissen und den Wirren um die unter Betrugsverdacht stehende Anlagefirma Berformance, bis Anfang 2024 Titelsponsor des Stadions. Der FCS, bis 2007 erstklassig, trennte sich von seinem Sponsor und stellte im Sommer die Strategie um. Der Klub will nicht länger Hort für abgehalfterte ehemalige Granden im Zwielicht der Karriere sein. Die Konsequenz waren 47 Mutationen in der vergangenen Transferperiode, dazu ein neuer Sportchef und mit Sforza ein neuer Trainer.
Um Sforza, 54, war es in letzter Zeit still geworden. Im April 2021 hatte sich der FC Basel von ihm getrennt; es war zu jener Zeit das grösste Rätsel der Branche: Wie Basel sich für diesen Trainer hatte entscheiden können. Und weshalb der Klub so lange an ihm festhielt, wo unter dem ehemaligen Aushängeschild der Nationalmannschaft so qualvoll schwacher Fussball gezeigt wurde.
In Schaffhausen kann Sforza in Ruhe arbeiten, wahrscheinlich ist das eine gute Voraussetzung. Schliesslich erlebte er die beste Phase seiner bisher überschaubaren Trainerkarriere – vom dritten Platz mit den Grasshoppers in der Super-League-Saison 2009/10 abgesehen – ebenfalls in der Challenge League, beim FC Wohlen in der Saison 2014/15. Der Provinzklub durfte damals von der Barrage träumen. In Schaffhausen ist das in dieser Spielzeit kaum realistisch. Das lässt die Sensation vom Sonntag noch ein bisschen süsser schmecken.