Das Frauenbild der fünfziger Jahre ist zurück: Auf Instagram und Tiktok inszenieren sich Influencerinnen als Tradwife, als traditionelle Ehefrau. Ist das ein Problem?
Carolina Tolstik sagt, als Hausfrau stecke ihr Leben voller Überraschungen. Neulich zum Beispiel: Da habe sie ihrem Mann das Frühstück zubereitet, woraufhin er ihr einen Wäscheständer geschenkt habe. Darüber habe sie sich so gefreut, dass sie sich sofort um die Wäsche gekümmert habe.
Tolstik ist 28 Jahre alt, kommt aus Dortmund und hat ukrainische Wurzeln. Sie hat Germanistik studiert und als Lehrerin gearbeitet, seit drei Jahren lebt sie auf Mallorca. Als Kunstfigur mit dem Namen «Malischka» inszeniert sie sich auf Instagram und Tiktok vor insgesamt knapp 60 000 Followern als Hausfrau, genauer gesagt als Stay-at-Home-Girlfriend, als Freundin, die nicht arbeiten geht. In ihren Videos treibt sie alle Klischees, die es über Hausfrauen gibt, satirisch auf die Spitze.
Als «Malischka» zeigt sie sich beim Aufräumen, Kochen und Backen; ab und zu entspannt sie sich in der Sonne und trinkt Kaffee. Tolstik ist dabei stets geschminkt und trägt figurbetonte Kleidung. «Als Hausfrau ist es meine Aufgabe, dass mein Mann immer glücklich und zufrieden ist», sagt «Malischka». Sogar wenn sie bügelt, lächelt sie.
Tradwives sind feminin, nicht feministisch
In den sozialen Netzwerken feiert die Hausfrau ihre Wiederauferstehung. Unter dem Schlagwort Tradwife, der Kurzform für «traditional wife» (traditionelle Ehefrau), zelebrieren Influencerinnen seit etwa 2018 ein konservatives Rollenbild: Die Frau ist zuständig für Haushalt und Kinder, der Mann schafft das Geld heran und hat in wichtigen Fragen das letzte Wort.
Das Feld dieser Influencerinnen ist weit. Manche haben nur Spass an einer glamourösen Inszenierung, andere meinen es mit der Hausfrauenrolle ernst. Allen Frauen ist jedoch eines gemein: Sie geben sich feminin, nicht feministisch, sie tragen Petticoats oder Blümchenkleider. Für viele ist der Feminismus der Grund für die Übel der Gegenwart, für Unverbindlichkeit, Konsumkultur und Männerhass. Tradwives leben ihre eigene Art von Feminismus. Sie sagen: Wir haben das Leben als Hausfrau frei gewählt.
Die Tradwives tauchten zuerst in den USA auf; im deutschsprachigen Raum spielen sie derzeit nur eine kleine Rolle. Viele Influencerinnen haben einen christlichen Hintergrund. Zu ihnen zählt die Amerikanerin Hannah Neeleman, die mit insgesamt knapp zwanzig Millionen Followern auf Tiktok und Instagram als die bekannteste der Tradwives gilt, auch wenn sie sich selbst nicht so bezeichnet. Sie ist eine Mormonin. Einst war Neeleman Balletttänzerin, heute lebt sie mit ihrem Mann Daniel und acht Kindern auf einer Farm in Utah. In ihren Videos zeigt die 34-Jährige, wie sie in Kleid und Schürze Brot backt, Pfirsichmarmelade einkocht und Ziegen melkt.
Einige Tradwives verknüpfen die Hausarbeit mit reaktionären oder gar rechtsextremen Ideologien; Wissenschafter bezeichnen dies als «radikalisierte Häuslichkeit». Das macht die Frauen für die politische Rechte interessant.
In den USA sprechen sich einige etwa gegen Abtreibung aus oder fordern, dass Weisse mehr Kinder bekommen sollen. Die Influencerin Estee Williams, optisch eine moderne Marilyn Monroe, betont in ihren Videos, wie wichtig es sei, sich dem Mann zu unterwerfen; Scheidung lehnt sie ab. Auch Brittany Sellner, die amerikanische Frau des österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner, gehört zu den Tradwives. Frauen gelten in dieser Szene nicht als weniger wert als Männer; ihnen werden wegen der biologischen Unterschiede nur andere Aufgaben zugeschrieben. Und die sind zu Hause.
Aufgerieben zwischen Arbeit und Haushalt
Die Britin Alena Kate Pettitt war eine der ersten Frauen, die sich öffentlich dazu bekannten, gerne eine traditionelle Hausfrau zu sein. Im Jahr 2020 erzählte die damals 34-Jährige der BBC, ihre Mutter sei alleinerziehend gewesen und habe arbeiten müssen. Als Kind habe sie gespürt, welche Last der Haushalt für ihre Mutter gewesen sei, sagte Pettitt. Als ihr dann später ihr Mann vorgeschlagen habe, zu Hause zu bleiben, sei sie erleichtert gewesen. Er zahlte ihr fortan ein Haushaltsgeld.
Pettitt berichtete zunächst auf ihrem Blog «Mrs Stepford» über ihren Alltag, dann bekam sie ein Kind. Sie schrieb «Ladies Like Us», ein Handbuch für die moderne Hausfrau, und gründete die «Darling Academy», eine Website für Liebhaber traditioneller Britishness. Dort erklärt sie unter anderem, was Frauen von Prinzessin Diana lernen können (Mitgefühl), warum sie kein Girlboss sein möchte (sie will keine Männer unterdrücken) und was zu einer femininen Garderobe gehört (Kleid, Strickjacke und hübsche, flache Schuhe).
Sie habe sich nie in den Bildern wiedergefunden, die die Medien in ihrer Jugend von Frauen gezeichnet hätten, sagte Pettitt der BBC. Unabhängig zu sein, die gläserne Decke zu durchbrechen oder wie die Frauen in «Sex and the City» sexuelle Abenteuer zu erleben, all das sei nie ihre Sache gewesen.
Mit dieser Haltung traf Pettitt einen Nerv. Viele Frauen hätten ihr geschrieben, dass sie auch gerne Hausfrau wären, sagte sie: «Die Menschen sehnen sich nach dem Gefühl, dazuzugehören, nach einem Zuhause und Ruhe.»
Doch nur die wenigsten Tradwives sind traditionelle Hausfrauen wie Pettitt. Die meisten spielen eine Rolle, die dem Zeitgeist widerspricht und ihnen daher Aufmerksamkeit verschafft. Feministinnen fordern, dass Frauen ihr Leben frei gestalten können sollen; von einem Mann finanziell abhängig zu sein, gilt als verpönt. Tradwives fragen jedoch: Wenn eine Mutter berufstätig sein muss, aber auf keinen Fall Hausfrau sein darf – hat sie dann überhaupt eine Wahl?
«Entdämonisierung rechter Politik»
Es gibt Stimmen, die diese Entwicklung kritisch sehen. Zu ihnen zählt die Journalistin Susanne Kaiser, die sich in ihren Büchern «Politische Männlichkeit» und «Backlash» mit der Retraditionalisierung beschäftigt, die in Teilen der Gesellschaft zu beobachten ist. Kaiser sagt: «Die Influencerinnen bewerben ein Rollenbild, das die Errungenschaften des Feminismus zunichtemacht. Setzt es sich durch, würden die Frauen bestimmte Freiheiten, die sie jetzt für selbstverständlich halten, verlieren.»
Tatsächlich sind die Tradwives enorm privilegiert. Viele profitieren von einer guten Schulbildung. Zudem nehmen sie Rechte für sich in Anspruch, für die vor noch gar nicht langer Zeit andere Frauen vehement gekämpft haben. Bis 1976 etwa durfte eine verheiratete Frau in der Schweiz nur mit Erlaubnis ihres Mannes ein eigenes Konto haben, bis 1988 konnte er ihr auch verbieten, arbeiten zu gehen. Tradwives können jederzeit aus ihrer Rolle ausbrechen und gehen. Früher war dies vielen Hausfrauen kaum möglich, da sie oft keine Ausbildung hatten und staatliche Auffangnetze fehlten.
Hinzu kommt das Finanzielle. Einige Tradwives verdienen mit ihrer Hausfrauen-Phantasie viel Geld, etwa durch Werbung. Die Neelemans verkaufen in ihrem Online-Shop auch Kekse (137 Franken) oder Sauerteig-Starter-Sets (82 Franken). Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als das Familienmodell mit einer Hausfrau entstand, sowie später in den 1950er und 1960er Jahren war es nur für das Bürgertum eine realistische Option. Auch heute kann sich dieses Modell kaum eine Familie leisten. Die Neelemans sind in dieser Hinsicht doppelt privilegiert. Ihre Farm ist nicht nur ein florierender Grossbetrieb mit mehreren Angestellten, Daniel Neeleman ist zudem der Sohn eines Millionärs, der fünf Fluggesellschaften gegründet hat.
Zwar äussern sich die wenigsten Tradwives politisch. Ihnen wird aber vorgeworfen, dass sie, wenn auch unbeabsichtigt, schöne Bilderwelten im Sinne von rechten Parteien kreierten, die ebenfalls ein traditionelles Familienbild propagieren. Die Frau gehört ins Haus? Ein stiernackiger Mann, der das fordert, kann einpacken. Von einer Frau klingt es weniger schlimm. Susanne Kaiser nennt das die «Entdämonisierung rechter Politik». Über die Risiken des Hausfrauendaseins, die finanzielle Abhängigkeit, die Machtunterschiede oder eine mögliche Trennung erfährt man bei den Tradwives ebenfalls nichts.
«Ich koche und backe wirklich gerne. Das ist aber nur ein Teil meiner Persönlichkeit»
Ist nun jede Frau, die zeigt, dass sie gerne backt, eine rechte Propagandistin? Ein Anruf bei Carolina Tolstik auf Mallorca. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und ist per Zoom zugeschaltet. «Zuerst wollte ich nur meinen Alltag teilen», sagt sie. «Aber dann habe ich ein Loblied auf die Hausfrau aus den 1960er Jahren über eins meiner Videos gelegt. Es war als Spass gemeint, aber natürlich steckt hinter jedem Spass auch etwas Ernst. Das hat extrem polarisiert.»
Im Gegensatz zu den politischen Tradwives aus den USA meint es Tolstik mit der Selbstdarstellung in ihren Videos nicht ernst. Sie distanziert sich daher scharf von dem Vorwurf, rechte Narrative zu bedienen. «Frauen sollen so leben können, wie sie wollen», sagt sie. «Wenn jemand sagt, dass etwas so oder so sein müsse, sage ich: ‹Es muss erst einmal gar nichts.›»
Ihre Videos sieht Tolstik als Unterhaltung. Ihre Aussagen sind bewusst extrem. «Ich koche und backe wirklich gerne. Das ist aber nur ein Teil meiner Persönlichkeit», sagt sie. Mit ihrem Freund hat sie ausserdem eine Marketingagentur, sie ist also keine klassische Hausfrau. Das spielt in ihren Videos aber keine Rolle.
Susanne Kaiser bezeichnet die Tradwives daher als eine Art Reenactment: Sie spielen die Rolle einer Hausfrau, die es in dieser Form gar nicht gibt – und auch nie gab.