Der Kanadier gehört zu den erfolgreichsten Trainern der NHL-Geschichte. Mit 68 Jahren kann er sich einen Wechsel nach Europa vorstellen.
Mit 39 Jahren Verspätung hat es Bruce Boudreau doch noch an den Spengler-Cup geschafft. Boudreau, 68, spielte in der Saison 1984/85 für ein paar tausend D-Mark in Iserlohn, nachdem er sich in der NHL nicht richtig hatte durchsetzen können. Und 1977 einen Kurzauftritt in «Slap Shot» gehabt hatte, dem legendärsten Eishockeystreifen der Filmgeschichte.
Im Winter 1984 nahm das Team Canada, inzwischen längst Rekordsieger, erstmals am Spengler-Cup teil. «Aber aus Deutschland haben sie leider keine Spieler genommen. Schön, dass es nun geklappt hat», sagt Boudreau an diesem Donnerstagmittag. Der Trainer ist so etwas wie der heimliche Star dieser Auswahl, mit 617 Siegen in der NHL liegt er auf Platz 21 der Bestenliste. 2008 wurde er als «Trainer des Jahres» ausgezeichnet.
Es sind bemerkenswerte Erfolge für einen, der von weit unten kam. Mehr als 15 Jahre lang coachte Boudreau in unterklassigen Ligen, ehe er eine Chance in der NHL erhielt. Ein Weggefährte aus jener Zeit ist Doug Shedden, der ehemalige Trainer des EV Zug und des HC Lugano. In Muskegon, einer Kleinstadt in Michigan, wohnten die beiden kurze Zeit zusammen. Und Mitte der 1990er Jahre coachten sie in der drittklassigen East Coast Hockey League; ihre Teams aus dem amerikanischen Süden, aus Louisiana und Mississippi, waren erbitterte Rivalen.
Zu den Partien kamen mehr als 10 000 Zuschauer – ihnen ging es nicht unbedingt um ästhetisches Hockeyspektakel, geboten wurden vor allem rabiate Faustkämpfe, die damals zum Alltag gehörten. In beiden Teams gab es Spieler, die in einer Saison auf über 500 Strafminuten kamen. Shedden sagt: «Das war der Wilde Westen. Aber wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Bruce ist ein exzellenter Coach, der weiss, wie man Menschen für sich gewinnen kann.»
Shedden: «Ich war der perfekte Affe für den Job»
Nachdem Boudreau zum Coach des Teams Canada ernannt worden war, ging er Shedden um Rat an – dieser hatte 2012 in der Lockout-Saison den Spengler-Cup mit Kanada und Stars wie John Tavares, Jason Spezza und Patrice Bergeron gewonnen. Dem Fachmagazin «Slapshot» diktierte er dazu kürzlich dieses unsterbliche Zitat: «Die Leute sagten, das Team sei so gut, dass es sogar ein Affe zum Titel coachen könnte. Aber hey, ich war der perfekte Affe für den Job.»
Ähnlich wie Shedden flucht Boudreau gerne und oft, es gibt einen Clip von ihm als Washington-Trainer, in dem er erzürnt in einer Minute 15 Mal «Fuck» sagt. Doch eigentlich ist er ein Player’s Coach, ein Spieler-Versteher, der in der Garderobe hohe Popularitätswerte geniesst. In Davos ist das nicht anders: Nach dem 4:0-Sieg gegen Frölunda zum Auftakt strich er das tags darauf angesetzte Training ersatzlos; die Spieler konnten den Tag mit ihren Familien geniessen.
Boudreau ist gesegnet mit Selbstironie und einer gewissen Kauzigkeit. 1975 wurde er kurz vor dem NHL-Draft in Toronto verhaftet, weil er sich in einer Bar angeheitert ausgezogen hatte. Als er Minnesota coachte, wurde auf einer Auswärtsreise um 2 Uhr ein Feueralarm ausgelöst. Das Hotel wurde evakuiert, doch Boudreau blieb im Bett und erklärte später: «Ich laufe bestimmt nicht 15 Stockwerke runter zum Ausgang. Ich habe keinen Rauch gerochen und mir gesagt: ‹Dieses Risiko gehst du ein.›»
Seine letzte Station in der NHL war Vancouver, wo er im vergangenen Januar auf unwürdige Art und Weise gefeuert wurde. Schon während Wochen war klar gewesen, dass das Klubmanagement Boudreau ersetzen würde. Es flossen Tränen; der General Manager Jim Rutherford musste sich öffentlich dafür entschuldigen, wie schäbig er mit dem altgedienten Coach umgegangen war. «Ich werde nie ganz darüber hinwegkommen. Aber das Leben muss weitergehen», sagt Boudreau.
Er ist ein vielbeschäftigter Mann, ihm gehört das Nachwuchsteam Hershey Cubs. Er hilft seinem Sohn Ben, der seit kurzem in der höchsten kanadischen Juniorenliga als Cheftrainer arbeitet. Hier und da tritt er als TV-Experte auf. Aber an den Rücktritt als Coach mag er nicht denken, auch nicht nach fünf Jahrzehnten im Eishockeygeschäft.
Das erstaunt nicht, schon nur weil seine 2009 veröffentlichte Autobiografie diesen Titel trägt: «Gabby – Confessions of a Hockey Lifer», Geständnisse eines Getriebenen im Eishockey; ein solcher ist er auch jetzt im Alter eines Pensionärs geblieben. Gabby ist sein Spitzname, es ist das englische Wort für geschwätzig und passt zu Boudreau, weil er ohne Unterlass quasseln kann.
Heute sagt er: «Ich fühle das Feuer immer noch und bin offen für eine neue Herausforderung.» Könnte die auch in Europa liegen? «Klar», sagt Boudreau, er sei ein offener Mensch und schliesse nichts aus.
Boudreau könnte ein Thema für den EHC Kloten sein
Es ist eine Haltung, die nicht zuletzt seine beiden Assistenten in Davos interessieren wird: Larry Mitchell und Jeff Tomlinson. Die beiden sind im EHC Kloten damit betraut, einen neuen Trainer zu finden. «Darüber haben wir überhaupt nicht gesprochen, unser Fokus gilt dem Spengler-Cup», sagt Boudreau. An der Zeit, das gegenseitige Interesse auszuloten, dürfte es nicht mangeln. Aber könnte sich Kloten überhaupt einen Coach von diesem Renommee und vor allem dieser Preisklasse leisten? In der NHL verdiente Boudreau meist zwischen zwei und drei Millionen Dollar.
Für den Auftritt in Davos hingegen gibt es: nichts. Die Spieler und der Staff stellen sich gratis zur Verfügung, werden aber an Ort hingebungsvoll umsorgt. Auch Tomlinson geniesst diese Erfahrung, der 53-jährige Deutschkanadier gab am Spengler-Cup unverhofft sein Comeback, nachdem er im Frühjahr aus gesundheitlichen Gründen als Kloten-Trainer hatte zurücktreten müssen.
Er sagt: «Es ist eine wundervolle Erfahrung, ich spüre wieder dieses Kribbeln. Aber an meiner Situation hat sich nichts geändert, ich bin nicht mehr in der Lage, als Coach zu arbeiten. Das hier ist einfach ein Abenteuer.» Sein Job sei es, sein Wissen über die in Europa beschäftigten Spieler weiterzugeben. Und er lerne viel, gerade auch von Boudreau. «Er ist ein ziemlich lustiger Kerl und sorgt für lockere Stimmung.»
Die zwanglose Atmosphäre soll dazu beitragen, dass Kanada nach der Enttäuschung des Vorjahres – erstmals überhaupt reiste das Team ohne einen einzigen Sieg aus Davos ab – zum fünften Mal in den letzten sieben Austragungen das Turnier gewinnt.
Es ist eine Weile her, seit Boudreau einen Titel errungen hat, 2007 war das, in der AHL. Es gibt in einem Palmarès wichtigere Triumphe als den Sieg am Spengler-Cup. Aber auch schlechtere Gelegenheiten, um sich der grossen, weiten Hockeywelt wieder ein bisschen in Erinnerung zu rufen.