Die Iberische Halbinsel erlebte am Montag den grössten Stromausfall des Jahrhunderts. Eindrücke aus der spanischen Hauptstadt, wo stundenlang nichts mehr war, wie es sein sollte.
Die 89-jährige Madrilenin Beatriz Barrachina ist sich sicher, das war der längste Stromausfall, den sie bisher erleben musste. Rund acht Stunden war die Stromversorgung in Spanien und Portugal am Montag unterbrochen, erst ab 20 Uhr abends gingen in Teilen der Länder nach und nach die Lichter wieder an.
Zunächst dachten viele Menschen an ein lokales Problem. Besonders in der spanischen Hauptstadt sind kleinere Ausfälle der Elektrizitätswerke keine Seltenheit. Doch nach gut einer halben Stunde ohne Strom strömten immer mehr Menschen auf die Strasse – da wurde klar, dass es sich um ein grossflächiges Blackout handeln musste.
Zunächst fehlten Informationen, viele tippten nervös auf ihren Handys, bis die Netze schliesslich zusammenbrachen. Auch Telefonverbindungen waren instabil oder völlig unterbrochen. Die Situation weckte Erinnerungen an den Ausnahmezustand während der Corona-Pandemie: In den wenigen noch geöffneten Supermärkten deckten sich Menschen hastig mit Wasser und Toilettenpapier ein.
Nicht einmal unter Franco gab es ein solches Chaos
In Madrid spitzte sich die Lage dramatisch zu. Die Feuerwehr musste U-Bahn-Passagiere aus Schächten retten und rund 300 Menschen aus stecken gebliebenen Aufzügen befreien. Die stark befahrene Stadtautobahn M-30 wurde kurzerhand gesperrt.
Sogar vier Fensterputzer, die gerade Madrids Wolkenkratzer reinigten, mussten in ihren Körben hoch über der Stadt auf Rettung warten. Viele Geschäfte – vor allem grosse Kaufhäuser – schlossen aus Furcht vor Diebstählen in den dunklen Gängen. Keine einzige Ampel funktionierte mehr, und innerhalb kürzester Zeit brach ein beispielloses Verkehrschaos aus. Dies, obwohl Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida die Bevölkerung aufgefordert hatte, auf das Auto zu verzichten. «Dass so ein Chaos in Europa möglich ist, hätte ich nie gedacht», sagte Barrachina kopfschüttelnd. «Nicht einmal unter Franco war es so schlimm.»
Das digitale Zeitalter hat seine Tücken
In Barcelona meldeten Radioberichte ähnliche Zustände, wobei der Radioempfang nur für diejenigen Spanier zugänglich war, die über ein batteriebetriebenes Gerät verfügten oder gerade im Auto sassen.
Wer bisher glaubte, dass das Leben der Menschen im digitalen Zeitalter viel einfacher sei, der wurde hier schnell vom Gegenteil überzeugt. Plötzlich waren Bargeld und UKW-Radios mit Batteriebetrieb das höchste Gut. Noch nie suchten die Menschen so schnell die Nähe zu Nachbarn, zu Passanten, um sich zu versichern, dass die Welt noch funktionierte.
Steckt Russland dahinter?
Schnell machten Gerüchte die Runde, dass man es hier mit einer Cyberattacke auf das spanische Stromnetz zu tun haben könnte, hinter der möglicherweise sogar Russland stehen könnte. Zudem waren auch Portugal und das französische Baskenland vom Blackout betroffen. Erst vor wenigen Wochen hatten beide Länder angekündigt, ihre Armeen mit Milliardeninvestitionen aufzurüsten, um der Bedrohung durch Russland zu begegnen.
Auch aus der Ukraine kam Unterstützung, was die Spekulationen in diese Richtung befeuerte: Der Energieminister Herman Halutschenko bot auf X an, Spanien und Portugal beim Wiederaufbau ihres Stromnetzes zu helfen. Sein Land habe durch die gezielten russischen Angriffe auf die eigene Energieinfrastruktur inzwischen viel Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt. Im spanischen Rundfunk hiess es unterdessen, der Geheimdienst CNI untersuche die Ursachen des Ausfalls.
Am frühen Abend äusserte sich Ministerpräsident Pedro Sánchez gleich zweimal binnen weniger Stunden und erklärte, man schliesse keine mögliche Ursache aus. Auf Madrids Strasse kam das für viele zu spät. «Wir wussten fünf quälende Stunden lang überhaupt nicht, was los war», sagte auch Barrachina. Auf den Strassen war die Meinung einhellig: Der Regierungschef hätte sich früher melden und die Bevölkerung beruhigen müssen.
Sánchez wies Gerüchte zurück, ein Brand im französischen Perpignan habe den Stromausfall ausgelöst. Doch die Einberufung des Rats für nationale Sicherheit heizte Spekulationen über mögliche Sabotage an. Beatriz Barrachina sprach aus, was viele denken: «Diese Welt ist aus den Fugen. Man fühlt sich nirgends mehr sicher – vielleicht war das nur ein Vorgeschmack.»
Regierung hat noch keine Erklärung
Erst in den Abendstunden kam der Strom nach und nach zurück. Das Baskenland und Andalusien waren dank der Hilfe aus Frankreich und Marokko die ersten Regionen, die bereits am späten Nachmittag wieder ans Netz gingen.
Immer noch betroffen waren am Dienstagmorgen die Reisenden in den Fernzügen. Weil der Schienenverkehr am Montagabend nicht mehr aufgenommen werden konnte, hatten viele Reisende auf den Bahnhöfen übernachtet. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr blieb ebenfalls unterbrochen und kam am Dienstag nur stockend in Gang.
Auch am Dienstagmorgen hatte die spanische Regierung immer noch keine Erklärung für den grössten Stromausfall in der Geschichte des Landes. Am Mittag erklärte dann der spanische Stromnetzbetreiber an einer Pressekonferenz, dass es «keinerlei Einmischung gegeben hat», obwohl die Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei. Experten debattieren nun darüber, ob der hohe Anteil von erneuerbaren Energien in Spanien zur Instabilität des Stromnetzes geführt haben könnte.
Während Experten den wirtschaftlichen Schaden auf vier Milliarden Euro beziffern, denken viele Spanier längst wieder praktisch: Sie müssen nun schnell die aufgetauten Vorräte aus Kühlschränken und Gefriertruhen verbrauchen.