Viele moderne Apfelsorten bedienen zwar die Wünsche der Konsumenten, können aber Allergien auslösen. Zwei Sorten
wurden extra allergenarm gezüchtet. Jetzt gab es die erste Ernte.
Einmal reinbeissen in den knackigen, rot glänzenden Apfel – schon juckt der Gaumen, Lippen und Zunge schwellen an. Für mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland und mehrere hunderttausend in der Schweiz ist die Vitaminbombe alles andere als eine Freude. In seltenen Fällen schwillt sogar der Rachen derart zu, dass die Betroffenen unter Atemnot leiden. Doch zwei neue Apfelsorten könnten auch ihnen munden: Sie sind allergenarm.
«Bei uns auf der Allergiestation haben Leute geweint, als sie nach Jahren der erzwungenen Abstinenz endlich wieder völlig ohne Probleme einen dieser allergenarmen Äpfel essen konnten», berichtet Karl-Christian Bergmann im Gespräch. Der Allergologe hat an der Charité in Berlin Tests mit den zwei neuen Apfelsorten durchgeführt. «Ehrlich gesagt, ich hatte nicht gedacht, dass es überhaupt möglich ist, so einen wirklich allergenarmen Apfel zu züchten.»
Konventionelle Züchtung aus klassischen Apfelsorten
Das Kunststück fertiggebracht hat das Team von Werner Dierend von der Hochschule Osnabrück, zusammen mit Obstbauern der Züchtungsinitiative Niederelbe (ZIN). Daher tragen die neuen Apfelsorten auch bis zur endgültigen Namensfindung die Kürzel ZIN 168 und ZIN 186. «Es war eine ganz konventionelle Züchtung, wir haben vorhandene Apfelsorten wie Elstar oder Braeburn als Elternsorten genommen», erzählt Dierend.
Vorerst kommen nur wenige Apfelallergiker in den Genuss der neuen Sorten. Dieses und letztes Jahr wurden im Alten Land bei Hamburg 200 000 Bäume gepflanzt. Jetzt ist die erste Sorte geerntet, bis zu vier Kilogramm trug ein Baum. Die Ernte der zweiten Sorte folgt Anfang Oktober. Die noch kleine Ernte wird nun regional verkauft. Doch bereits im kommenden Jahr rechnen die Obstbauern mit 400 Tonnen und wollen die zwei Apfelsorten dann deutschlandweit anbieten.
Apfel-Eiweiss namens Mal d1 löst Allergieanfall aus
Ihre Verträglichkeit beruht darauf, dass sie sehr wenig von dem Protein namens Mal d1 enthalten. Dies haben Labortests, die vom Team von Wilfried Schwab an der Technischen Universität München durchgeführt wurden, bestätigt. Das Protein ist verantwortlich für die allergischen Reaktionen. Das Zuchtziel war also die Reduktion eines Proteins. Andere Eigenschaften der Elternäpfel wurden beibehalten, also zum Beispiel der Geschmack oder sonstige Inhaltsstoffe.
Apfelallergien haben in den letzten Jahren zugenommen. Das liegt aber nicht etwa daran, dass die modernen Äpfel immer mehr Mal d1 enthalten. Die Menge an Mal d1 ist nicht das einzige Kriterium, wie stark eine allergische Reaktion ausfällt.
Äpfel enthalten nämlich auch Gegenspieler zu Mal d1. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Molekülen namens Polyphenole. Diese steuern Geschmacksstoffe bei. Zudem schützen sie den Apfel vor Fressfeinden oder mindern die Wirkung von UV-Strahlung. Und sie binden und inaktivieren das Mal-d1-Protein. Ein hoher Polyphenolgehalt macht somit einen Apfel verträglicher für Allergiker.
Dummerweise enthalten viele moderne Apfelsorten wie Gala, Jonagold oder auch Pink Lady nur noch sehr wenige Polyphenole. Denn die Sorten wurden gemäss den Vorlieben der heutigen Konsumenten gezüchtet. Und die wollen in der grossen Mehrheit süsse, wenig säuerliche Äpfel, die zudem kaum noch bräunlich werden nach dem Anbeissen oder Anschneiden. Diese Wünsche erfüllen jene Äpfel, die wenig Polyphenole enthalten. Somit sind viele der modernen Apfelsorten zwar konsumentengerecht, aber auch sehr allergen.
Markttest steht noch aus
Ob die allergenarmen Sorten ZIN 168 und ZIN 186 die Konsumenten mit ihrem Geschmack überzeugen, wird sich zeigen. Die Forscher beschreiben die ZIN-168-Äpfel als fest, süss und saftig, mit knackigem Fruchtfleisch. Die süssliche Note überwiegt.
Des Weiteren müssen sich die beiden Sorten auch im kommerziellen Anbau durchsetzen. Sie dürfen nicht zu anfällig sein für Schädlinge und zudem gut lagerfähig. Diesen Sommer haben beide Sorten den Bauern keine Probleme bereitet, berichtete Dierend.
Gerade der Punkt Lagerung sei heikel, sagt Samuel Cia, Sortenprüfer für Äpfel und Birnen bei der Forschungsanstalt Agroscope in Wädenswil. Denn während der Lagerung bildeten Äpfel vermehrt Proteine. Viele Äpfel werden daher im Laufe der Wochen allergener, als sie es direkt nach der Ernte sind. Manche Apfelallergiker können frisch vom Baum gepflückte Äpfel essen, aber nicht mehr Exemplare derselben Sorte im Januar. Die zwei neuen ZIN-Sorten seien auch nach mehreren Monaten Lagerung immer noch allergenarm, betont Dierend. Das hätten die klinischen Tests gezeigt.
Das norddeutsche Projekt der allergenarmen Äpfel ist mittlerweile auch im Süden der Republik auf Interesse gestossen. «Apfelzüchter vom Bodensee haben bei mir angefragt, ob ich ihre neuen Sorten auch auf den Mal-d1-Gehalt testen könne», erzählt Schwab. Derzeit bereitet sein Team die Tests vor. Auch Schweizer Obstbauern seien prinzipiell daran interessiert, allergenarme Äpfel anzubauen, sagt Cia. Er kann sich gut vorstellen, dass Bauern die zwei ZIN-Sorten austesten würden, wenn diese auch von Nichtmitgliedern angebaut werden dürften.
Eine Lösung auch für andere Obstallergien?
Nicht nur Äpfel, auch andere Obstsorten lösen Allergien aus. Allerdings habe es ökonomisch wenig Sinn, andere allergenarme Obstsorten zu entwickeln, meint Dierend. Er nennt zwei Gründe. Erstens seien von einer Apfelallergie viel mehr Menschen betroffen als von anderen Obstallergien. Ursache ist eine Besonderheit des Mal-d1-Proteins. Dieses ähnelt molekular einem Protein, das in Birkenpollen vorhanden ist. 97 Prozent der Apfelallergiker entwickeln zuerst einen Heuschnupfen wegen Birkenpollen. Daraus entwickelt sich dann im Laufe der Jahre eine Allergie auf Äpfel.
Zweitens wird von keiner anderen Obstsorte so viel gegessen wie von Äpfeln. In Deutschland beträgt der Pro-Kopf-Konsum von Äpfeln gut 20 Kilogramm pro Jahr, in der Schweiz knapp 13 Kilogramm. Alle anderen Obstsorten liegen bei unter 10 Kilogramm pro Jahr.
Was bleibt Apfelallergikern ausser Verzicht und Warten auf ZIN 168 und ZIN 186? Oftmals werden alte Apfelsorten wie die diversen Renette-Varianten, Gewürzluike oder der Finkenwerder Herbstprinz empfohlen. Denn bei denen ist der Polyphenolgehalt noch nicht züchterisch reduziert. Allerdings bekommt man diese Sorten meist nicht im Supermarkt, sondern allenfalls auf Wochenmärkten oder bei Bauern mit alten Streuobstwiesen.
Dierend warnt allerdings davor, sämtliche alten Sorten als allergenarm und alle modernen als hochallergen zu bezeichnen. Es gebe auch alte Sorten wie zum Beispiel den Golden Delicious, die Allergiker nicht vertrügen. Betroffene sollten daher, wenn sie eine Sorte zum ersten Mal austesteten, nur ein kleines Stückchen probieren, rät der Allergologe Bergmann. Und zudem nur frische und keine gelagerten Äpfel essen.
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