Die Einladung des Uhrenkonzerns zur Generalversammlung vom 21. Mai sieht keine gesonderte Abstimmung darüber vor, wen die Inhaberaktionäre als Vertreter im Verwaltungsrat möchten. Das verstösst gegen das Aktienrecht.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Der Uhrenkonzern Swatch Group führt am 21. Mai seine Generalversammlung virtuell durch. Der Anlass, der nach Ansicht der Familie Hayek wohl weitgehend dem courant normal hätte folgen sollen, hat durch eine überraschende Verwaltungsratskandidatur Brisanz erhalten.
Ich habe an dieser Stelle gestern bereits darüber geschrieben: Der amerikanische Value-Investor Steven Wood von der Beteiligungsgesellschaft GreenWood Investors stellt sich als unabhängiger Vertreter der Inhaberaktionäre zur Wahl ins Aufsichtsgremium von Swatch Group. Der Verwaltungsrat des Konzerns spricht sich in der Einladung zur GV jedoch klar gegen die Wahl von Wood aus.
Die Argumentation: Wood habe keinen Bezug zur Schweiz und zu den Erzeugnissen der schweizerischen Industrie, er sei dem VR von Swatch Group nicht bekannt. Überdies sei er Mitglied des Verwaltungsrats des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo, weshalb er aus Reputationsgründen strikt abgelehnt werde.
Zudem: Mit Jean-Pierre Roth, dem früheren Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, sitze bereits ein Vertreter der Inhaberaktionäre im Gremium.
Problematische Argumentation von Swatch Group
Diese Argumentation ist jedoch problematisch, denn: Jean-Pierre Roth wurde nie explizit als Vertreter der Inhaberaktionäre in den VR gewählt. Im Mai 2010, als Roth erstmals gewählt wurde, wurde er als normales VR-Mitglied, ohne spezifische Funktion als Vertreter der Inhaberaktionäre, vorgeschlagen. Auch in der Einladung zur diesjährigen GV wird die Wahl von Roth nicht als Vertreter der Inhaberaktionäre traktandiert.
Weshalb ist das relevant?
Artikel 709 des Schweizerischen Obligationenrechts schreibt unmissverständlich vor, dass bei Aktiengesellschaften, die mehrere Kategorien von Aktien haben, durch die Statuten den Aktionären jeder Kategorie die Wahl wenigstens eines Vertreters im VR zu sichern ist.
Dieser Artikel kommt bei Swatch Group zur Geltung: Das Aktienkapital der Gesellschaft ist in zwei Kategorien – Namen- und Inhaberaktien – aufgeteilt. Das bedeutet, die Inhaberaktionäre haben ein Recht darauf, im VR von mindestens einer Person vertreten zu werden. Die Statuten der Gesellschaft sehen das auch vor. Unter Artikel 22 Abs. 4 steht dort: «Je ein Mitglied des Verwaltungsrates ist als Vertreter der Namen- und der Inhaberaktionäre zu bestimmen.»
Die Namenaktionäre des Familienpools sind im siebenköpfigen Gremium mit Nayla Hayek, Nick Hayek, Marc Hayek und Daniela Aeschlimann vertreten.
Aber wie muss der Vertreter der Inhaberaktionäre bestimmt werden?
Wie der Jurist Peter Böckli in «Schweizer Aktienrecht» schreibt, ist der genaue Inhalt der Statutenbestimmung zur Wahl des Kategorienvertreters vom Gesetz nicht vorgezeichnet. Allerdings existiere ein wegleitender Bundesgerichtsentscheid von 1940, der nach wie vor massgeblich sei: Demnach habe die Aktionärsgruppe ein Vorschlagsrecht mit weitgehend verbindlicher Wirkung.
Böckli dazu im Wortlaut: «Die Statuten müssen der in ihren Rechten zurückgesetzten Aktienkategorie die organisatorische Möglichkeit bieten – praktisch durch eine Sonderversammlung der betreffenden Aktionärsgruppe –, einen Vertreter vorzuschlagen.» Und weiter: «Der so Vorgeschlagene muss dann von der Generalversammlung aller Aktionäre gewählt werden, sofern der Wahl nicht wichtige Gründe aus der Perspektive des Gesellschaftsinteresses entgegenstehen.»
Inhaberaktionäre dürfen ihre Vertretung selbst bestimmen
Das bedeutet im konkreten Fall von Swatch Group: Mit dem Hinweis in den Statuten, wonach je ein Vertreter der Namen- und der Inhaberaktionäre zu bestimmen ist, ist es nicht getan. Den Inhaberaktionären müsste die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Vertretung für den VR selbst zu nominieren. Und diese Nomination müsste im Rahmen einer Sonderversammlung geschehen, bei der die Namenaktionäre nicht stimmberechtigt sind.
Der oder die Nominierte wird sodann an der Generalversammlung allen Aktionären zur Wahl vorgeschlagen, wobei nur «wichtige Gründe aus der Perspektive des Gesellschaftsinteresses» für eine Nichtwahl geltend gemacht werden können.
Noch konkreter: Falls Swatch Group tatsächlich Jean-Pierre Roth als Vertreter der Inhaberaktionäre im VR vorschlagen möchte, dann müsste dieser im Rahmen einer Sonderversammlung der Inhaberaktionäre auch entsprechend nominiert werden.
Das wurde, soweit ich überblicken kann, von Swatch Group noch nie gesetzeskonform durchgeführt. Nochmals: Das ist keine Option, sondern gesetzliche Pflicht. Böckli schreibt dazu: «Jedem Aktionär der in ihren Rechten zurückgesetzten Aktienkategorie muss die Befugnis zustehen, die Einberufung einer Sonderversammlung zu verlangen und wo nötig gerichtlich durchzusetzen.»
Swatch kann sich an Richemont orientieren
Mit Blick auf die kommende GV von Swatch Group am 21. Mai würde das konkret bedeuten, dass die Inhaberaktionäre in einer Sonderversammlung die Wahl haben sollten, ob sie lieber Jean-Pierre Roth oder Steven Wood – oder beide – als ihren Vertreter in den VR nominieren möchten. Und die Person, die nominiert wird, muss dann von der Generalversammlung aller Aktionäre gewählt werden.
Wie das geht, zeigte der Uhrenkonzern Richemont im Jahr 2022: Der Investor Bluebell Capital portierte damals in der Person von Francesco Trapani einen designierten Vertreter der Aktienklasse «A» für die Wahl in das Aufsichtsgremium von Richemont. Der VR von Richemont unter dem Präsidium von Johann Rupert sprach sich gegen die Wahl von Trapani aus, schlug in der Person von Wendy Luhabe aber eine alternative Vertreterin der Aktienklasse «A» vor. Die Wahl zwischen Trapani und Luhabe wurde in Form einer Sonderversammlung während der regulären GV am 7. September 2022 abgehalten, wobei sich nur A-Aktionäre an diesen Traktandum beteiligen durften.
Das wäre meines Erachtens der Weg, den auch Swatch Group am 21. Mai beschreiten müsste. So, wie die Einladung zur GV jetzt formuliert ist, widerspricht sie dem Schweizer Aktienrecht.
Es ist bekannt, dass einzelne Exponenten der Familie Hayek nicht viel von guter Corporate Governance halten und sich darum foutieren, was Analysten und Fondsmanager über ihre Leistung an der Spitze von Swatch Group denken.
Aber ich hoffe doch sehr, dass sie sich nicht um das Schweizer Aktienrecht foutieren.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Mark Dittli