Die Firma Swiss Steel steckt in einer prekären Lage. Sie kämpft mit einer Absatzflaute, und sie ist hoch verschuldet. Wenn sich der zerstrittene Verwaltungsrat nicht bald zusammenrauft, wird es eng.
Die Programme haben meist einen englischen Namen. Mit Schlagworten wie «Aspire» oder «Global Excellence» – oft gepaart mit einer Jahreszahl – definieren Konzerne Ziele und versuchen, ihre Strategie zu schärfen. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass durch die Belegschaft ein Ruck geht und sich alle Beteiligten zusätzlich anstrengen.
Nichts läuft nach Plan
Auch der Luzerner Stahlkonzern Swiss Steel hat seit 2022 ein solches Strategieprogramm am Laufen, «SSG 2025». «SSG» steht für «Swiss Steel Group», und die Ziele für 2025 sind ehrgeizig. Beziehungsweise sie waren es. So wollte man 2022 eine Stabilisierung der Geschäfte erreichen («Stabilize»). 2023 sollte es dann zu einer Stärkung («Strengthen») und 2024 zum Ausbau («Scale-up») kommen.
Noch im Geschäftsbericht für das Jahr 2022 gab sich der Verwaltungsratspräsident Jens Alder in einem Interview selbstzufrieden. Man habe die Ergebnisse in beiden Vorjahren verbessert, der Trend gehe in die richtige Richtung. Doch kaum war der Bericht erschienen, lief überhaupt nichts mehr nach Plan.
2023 brachte alles andere als die angestrebte Stärkung. Das Unternehmen rutschte dem Vernehmen nach tief in die Verlustzone, nachdem schon im Vorjahr bei einem Umsatz von 4,1 Milliarden Euro lediglich ein mickriger Konzerngewinn von 9 Millionen Euro resultiert hatte.
Dreistelliger Millionenverlust?
In Investorenkreisen wird spekuliert, dass 2023 ein Fehlbetrag in dreistelliger Millionenhöhe resultiert habe. Auf Anfrage kommentiert Swiss Steel diese Schätzung nicht. Sollte sie aber zutreffen, wäre die Firma wieder ähnlich schwach unterwegs wie in den Krisenjahren 2019 und 2020. Damals wurden zusammengerechnet Verluste von über 800 Millionen Euro ausgewiesen.
Schilderungen zur Situation des Unternehmens fallen denn auch alles andere als schmeichelhaft aus. Eng mit der Firma vertraute Kreise, die allerdings nur auf anonymer Basis Auskunft erteilen wollten, sagen, Swiss Steel sei «total im Elend». Sogar Worte wie «Geldvernichtungsmaschine» und «Saftladen» fallen.
Die Insider verweisen darauf, dass die Firma, die neben Stahl Gerlafingen als einziger Schweizer Stahlhersteller verblieben ist, im Moment gleich an drei Fronten mit Problemen kämpfe. Am Markt, auf der Kapitalseite und personell.
«Schönwetterpapier»
In der Kritik stehen die beiden nominell wichtigsten Personen: Der Firmenchef Frank Koch scheue sich, zusammen mit dem Verwaltungsratspräsidenten Jens Alder durchzugreifen. Beide hätten den Ernst der Lage nicht erkannt, sagen Kreise, die sich ein härteres Vorgehen wünschen. Es brauche ein schlüssiges Sanierungskonzept, doch auf dieses warte man noch immer. Schlimmer noch: «SSG 2025» sei das pure Gegenteil davon: ein «Schönwetterpapier».
Weder Koch noch Alder standen für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zur Verfügung. Zur Begründung verlautete aus der Konzernzentrale, man arbeite Tag und Nacht daran, eine Lösung für Swiss Steel zu erarbeiten. Diese müsse aber erst stehen, bevor man sich in der Öffentlichkeit zu äussern bereit sei. Auch der Nachsatz – «Restrukturierungen sind komplex und benötigen einen behutsamen Umgang mit allen notwendigen Ressourcen in der richtigen Reihenfolge» – ist wenig geeignet, um das Vertrauen in die Führung zu stärken.
Powerplay um Präsidium
In den vergangenen Tagen sickerte denn auch durch, dass Barend Fruithof und Oliver Streuli im Clinch seien mit dem Präsidenten Jens Alder. Sie vertreten die Interessen des Grossaktionärs Peter Spuhler im siebenköpfigen Swiss-Steel-Verwaltungsrat. Wie die «Sonntagszeitung» publik machte, strebt Fruithof selbst das Präsidium an. Der Wechsel soll dabei möglichst sofort erfolgen.
Dass Spuhler, der 20,4 Prozent des Kapitals von Swiss Steel kontrolliert, auf eine schnellere Gangart bei der Sanierung drängt, ist schon länger bekannt. Mit Fruithof könnte ein Vertrauter des Schweizer Industriellen direkt durchgreifen. Er führt seit 2017 Aebi Schmidt – der Spezialfahrzeughersteller gehört mehrheitlich Spuhler – und hat die Firma auf Vordermann gebracht.
Als ehemaliger Banker mit Kaderpositionen bei der Zürcher Kantonalbank, Raiffeisen, Credit Suisse und Julius Bär sei Fruithof zudem prädestiniert, mit den Banken zu verhandeln, davon ist man aufseiten Spuhlers überzeugt.
Kredite laufen aus
Swiss Steel ächzt unter einer Nettoverschuldung, die per 30. Juni 2023 fast eine Milliarde Euro erreichte. Sie ist angesichts der dürftigen Profitabilität viel zu hoch. Hinzu kommt, dass Finanzierungskredite in der Gesamthöhe von nicht weniger als 800 Millionen Euro im März 2025 auslaufen.
Das zwingt den Konzern, mit den Banken rasch über eine Refinanzierung zu verhandeln. Das ist aber einfacher gesagt als getan. Dem Vernehmen nach ist das Vertrauen zwischen Swiss Steel und den Banken zerrüttet.
Bei einer derart anspruchsvollen Ausgangslage wäre es umso wichtiger, dass im Verwaltungsrat alle an einem Strick ziehen würden. Doch auch hier muss man das Gegenteil feststellen: Das Gremium ist zersplittert.
Uneinigkeit zwischen Peter Spuhler und Martin Haefner
Spuhler ist vor knapp drei Jahren auf Einladung Martin Haefners, des Präsidenten und Eigentümers des Autoimporteurs Amag, bei Swiss Steel eingestiegen. Dies ermöglichte Haefner, seinen damaligen Mehrheitsanteil auf eine Minderheitsbeteiligung von heute 32,7 Prozent zu reduzieren.
Haefner, der anders als Spuhler keine Vertreter im Verwaltungsrat hat, will indes nichts von einer Übernahme des Präsidiums durch Fruithof wissen. Er beharrt auf dem Standpunkt, dass der Vorsitzende wie Alder unabhängig sein müsse.
Gleichzeitig lässt Haefner durch seinen Sprecher verlauten, dass er weiterhin bereit sei, sich an einer Kapitalerhöhung zu beteiligen. Der Investor hat bereits in den beiden vergangenen Runden, dank denen dem Unternehmen 2020 und 2021 brutto insgesamt über 570 Millionen Franken an frischem Kapital zugeflossen sind, den grössten Part gezeichnet. Ohne Haefner würde Swiss Steel heute wohl nicht mehr existieren.
Es bleibt wenig Zeit
Offen ist die Frage, ob Spuhler bei einer weiteren Kapitalerhöhung mitziehen würde. Der Industrielle macht diese von einem Rücktritt Alders und einem Sanierungsplan abhängig, der Nägel mit Köpfen macht.
So oder so wird sich der Verwaltungsrat rasch zusammenraufen müssen. Ohne eine baldige Refinanzierung steht das Überleben des Stahlkonzerns auf dem Spiel.
Dabei ist aus Sicht der Anteilseigner eine privatwirtschaftliche Lösung unter Beteiligung der Banken und der beiden zurzeit noch zerstrittenen Grossaktionäre zwingend. Sonst droht Swiss Steel zum Spielball von Politikern zu werden. Die Stahlbranche weckt besondere Emotionen, und es gab in der Vergangenheit immer wieder Staaten, die sich bemüssigt fühlten, durch eine Verstaatlichung Unternehmen unter die Arme zu greifen.
Zu wenig Nachfrage aus dem Automobilsektor
Swiss Steel betreibt weltweit 25 Produktionsstätten und ist in rund 35 Ländern aktiv. Mit ihren hochwertigen und spezialisierten Erzeugnissen bedient die Firma indes nicht Massenmärkte wie den Bau, sondern vor allem die Automobil- und die Maschinenbaubranche. Und da sieht es nicht gut aus. «Der für uns sehr wichtige Markt Europa befindet sich in der Rezession», sagt eine Unternehmenssprecherin präzisierend. Weitere Belastungsfaktoren seien anhaltend hohe Rohmaterial- und Energiekosten.
«SSG 2025», lautet die offizielle Devise immer noch bei Swiss Steel. Von einer «Stärkung» ist die Firma noch weit weg – und davon, das im Jahr 2025 zu erreichen, erst recht.