Schicke Galerien, schummrige Bars, verrauchte Cafés: Die stolze Kulturszene von Damaskus ist der liberalste Teil der syrischen Gesellschaft. Nun ist die Zensur des alten Regimes endlich weg. Doch wie lange bleibt das so?
Eigentlich will Marwan Tayara am liebsten im Hintergrund bleiben. Es gehe doch gar nicht um ihn, sondern um die Kunst, sagt er. Doch um diese fürchtet Tayara, der gelernte Lichttechniker, der das Kulturzentrum Madad in Damaskus führt. In der Silvesternacht war das alte Steinhaus von bewaffneten Männern gestürmt worden.
«Sie sagten mir, ich hätte einen Tag Zeit, um meine Sachen zu packen und zu verschwinden», erzählt der 57-Jährige. Doch die Kämpfer hatten Tayara unterschätzt. Er mobilisierte seine Freunde in der Kunstszene, die sich daraufhin bei den Behörden beklagten. Innert weniger Tage war die Sache geregelt – die Kämpfer zogen auf Befehl von Syriens neuer Regierung ab.
In der Damaszener Kulturelite hat der Vorfall hohe Wellen geschlagen. Ein paar Tage später sitzt Tayara am Rande einer Solidaritätsveranstaltung in einer schicken Galerie namens Zawaya im Zentrum der syrischen Hauptstadt. Umgeben von rauchenden Frauen in Stiefeln und Männern mit Seidenschals, gibt er Auskunft. «Ich weiss bis heute nicht genau, wer diese Leute waren», sagt er. «Vermutlich wollten sie sich einfach nur das Haus unter den Nagel reissen.»
In Damaskus herrscht eine gewisse Normalität
Knapp fünf Wochen ist es jetzt her, dass islamistische Kämpfer der Rebellenmiliz Hayat Tahrir al-Sham den verhassten Diktator Bashar al-Asad verjagt haben. Das Ende des brutalen Regimes war im ganzen Land mit Freudenschüssen und Strassentänzen gefeiert worden. Inzwischen sind die Tage der Euphorie aber vorbei. Stattdessen herrscht in Teilen Syriens bereits eine gewisse Normalität.
War im Dezember der Zoll noch verwaist, werden an der Grenze zu Libanon die Pässe nun penibel geprüft. Journalisten können nur mit Genehmigung einreisen. In der Hauptstadt Damaskus hört man keine Schüsse mehr. Auch die zuvor allgegenwärtigen Islamisten-Kämpfer sind aus den Strassen verschwunden.
Viele liberale Damaszener trauen den neuen Machthabern allerdings nicht wirklich über den Weg. Besonders in der Kulturszene herrscht die Angst, dass die betont versöhnlichen Worte des neuen starken Mannes Ahmed al-Sharaa bloss Fassade sind. Viele fürchten, dass die Islamisten früher oder später ihr wahres Gesicht zeigen – und ihnen ihre neu gewonnene Freiheit wieder wegnehmen.
Immer wieder machen Mitglieder der neuen Regierung mit irritierenden Aktionen von sich reden: So soll der neue Justizminister in Idlib einst höchstpersönlich die Hinrichtung einer Frau überwacht haben. Die neue Frauenbeauftragte machte mit abfälligen Bemerkungen über ihr eigenes Geschlecht Schlagzeilen. Jüngst sorgte ein neuer Lehrplan für Unmut, in dem das Gewicht auf islamische Geschichte gelegt wurde.
«Als Frau bin ich besonders betroffen»
Der neue Lehrplan habe sie aufschrecken lassen, sagt Tamara Abou Alwan, eine junge Künstlerin, in einem Strassencafé in Damaskus. «Es kann doch nicht sein, dass wir nach Jahren der Asad-Diktatur unsere Kinder jetzt wieder indoktrinieren.» Dass der Lehrplan laut den zuständigen Behörden angeblich bloss ein Vorschlag gewesen war und jetzt überarbeitet wird, beruhigt die Tänzerin, Schauspielerin und Malerin nicht.
«Als Frau und als Angehörige einer Minderheit bin ich besonders betroffen», sagt die 26-jährige Drusin. Gerade arbeitet sie an einem Wandgemälde im Zentrum von Damaskus. Auf dem Bild sind die Helden der syrischen Revolte zu sehen: jener Bub aus Daraa, der 2011 als Erster Anti-Asad-Parolen gesprüht hatte, daneben der getötete Kämpfer Abdul al-Sarut, der mit seinen Liedern als Barde der Revolution galt – aber auch ein Islamist war.
Alwan, die lange in Beirut gelebt hat, ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über den Sturz des Regimes und der Angst vor der Zukunft. So geht es vielen Künstlern in Damaskus. «Unter Asad waren Wandmalereien strengstens verboten», sagt Alwan. Jedes ihrer Theaterstücke sei zensiert worden. «Wir hatten immer Angst, im Gefängnis zu landen.»
Jetzt sind die Künstler mit einem Mal frei – und können offen reden. Man trifft sie in verrauchten Bars wie dem «Sugarman», wo der Sturz Asads mit Freudengesängen und Whisky-Shots gefeiert wurde. Oder im «Café Mazbout», durch dessen hohe Fenster das Sonnenlicht am Nachmittag schräg auf dunkle Holztische fällt. Hier sitzt der 70-jährige Mustafa Ali mit seinen Freunden um einen vollen Aschenbecher und diskutiert über die Lage des Landes.
Die Städte sind liberal, die Dörfer konservativ
Der berühmte Bildhauer mit Bart, Béret und Stumpen hat während des Kriegs in Damaskus ausgeharrt. Unzählige seiner Freunde seien weggegangen, sagt er. Jetzt kämen sie wieder zurück. Wie Bashar Rachmani, ein Kunstkritiker, der gerade nach 42 Jahren Exil in Paris zum ersten Mal zurück in der alten Heimat ist. «Es ist überwältigend», sagt er. «Aber wir wissen nicht, was uns jetzt bevorsteht.»
Die Damaszener Kunstszene hat schwere Zeiten hinter sich. Die syrische Hauptstadt galt als eines der wichtigsten Kulturzentren des Nahen Ostens. Doch mit der Machtübernahme von Bashar al-Asads Vater Hafez im Jahr 1970 änderte sich das. Wegen der Repression flohen viele Intellektuelle ins Ausland. Als 2011 der Aufstand gegen das Regime ausbrach und dieses mit roher Gewalt reagierte, gingen erneut unzählige Künstler ins Exil.
Man dürfe jetzt bloss nicht aufgeben, findet Alwan, die junge Malerin. Sie verwende ganz bewusst bunte, schrille Farben für ihre Wandgemälde, sagt sie. «Die Kunst hier war in der letzten Zeit oftmals finster und bedrückend. Ich will das ändern.» Andere fürchten hingegen, dass sie in Zukunft eingeschränkt werden könnten. «Als Bildhauer mache ich mir besonders Sorgen», sagt Mustafa Ali. «Die Islamisten hassen normalerweise figurative Kunst.»
Tatsächlich könnten die Künstler ins Fadenkreuz der neuen Machthaber geraten. Trotz der Damaszener Kulturtradition sind sie in Syrien mit ihren zumeist linken oder liberalen Ansichten eine kleine Minderheit. «Die Städte in Syrien sind zwar liberal. Aber in den Dörfern sind die Leute konservativ», sagt Alwan. Angesichts der bitteren Armut und des Leids infolge des Bürgerkriegs sei das nachvollziehbar. «Sie setzen ihre Hoffnung auf Gott.»
«Damaskus wird niemals fallen»
An der Veranstaltung in der Galerie Zawaya sind die Gäste derweil uneins, wie sie mit der neuen Regierung umgehen sollen. Immer wieder melden sich Künstler zu Wort. Man müsse jetzt aufstehen und Haltung zeigen, sagen manche. Andere wiederum meinen, man solle Regimevertreter einladen, um mit ihnen zu diskutieren. Doch bis jetzt gibt es noch nicht einmal einen Kulturminister.
Marwan Tayara hingegen will sich nicht einschüchtern lassen. Er habe einen russischen Pass und könne auch ins Ausland gehen. «Aber dies ist mein Land, und ich liebe es.» Wenn man die Welt als Körper betrachte, dann sei Damaskus eines der pochenden Herzen. «Damaskus wird niemals fallen», sagt er. «Selbst Timur, der mächtige Mongolenführer, hat die Stadt nicht kleingekriegt.»