Der neue Fall für Corinna Harfouch und Mark Waschke ist gut. Man lernt etwas über buddhistische Ahnenverehrung in Lichtenberg. Über die rechten Ausschreitungen der Nachwendezeit auch, die sogenannten «Baseballschlägerjahre».
Noch immer gibt es in Berlin zu viele Lost Places. Ewige Baustellen, Leerstand, Zwischennutzungsimmobilien. Allein zwei stillgelegte Flughäfen stehen mitten in der Stadt. In einem davon, in Tegel, hat das neue «Tatort»-Team vorübergehend seinen Arbeitsplatz bezogen, angeblich wegen Asbestsanierung der Büros.
Karow passt das nicht in den Kram. Dabei könnte er doch der staubtrockenen Kollegin gerade hier ganz wunderbar aus dem Wege gehen. Nach durchgearbeiteten Nächten stehen für die beiden Mordkommissare geräumige Besuchertoiletten für die Katzenwäsche parat. Stille breitet sich aus in den Gängen. Tiefe Melancholie liegt über dem verwaisten Tower, die Kamera ist ganz verliebt in diesen Anblick.
Zwanzig Messerstiche
Auch der zweite Fall der beiden (Regie: Mira Thiel) gibt sich wieder dem bizarr nostalgischen Charme der Erinnerungskultur hin. «Willkommen in den Neunzigern», sagt Robert Karow (Mark Waschke) zu Susanne Bonard (Corinna Harfouch), als er ihr die mehrfach gesicherte Vordertür zum Mordhaus öffnet, in einer friedlichen Seitenstrasse Lichtenbergs, einst der Bezirk mit dem Sitz des Stasi-Hauptquartiers.
Ein Mann in den besten Jahren wurde tot aufgefunden, bei offener Terrassentür: zwanzig Messerstiche. Was aussieht wie Raubmord im Affekt, erweist sich als Aussenseite eines unfassbaren Horrorszenarios. Der Keller ist ein Schlachthaus, der Garten ein Friedhof. Herr Engler hatte dort ausser seinem Hund auch seine «Mutti» (Ostjargon) verscharrt sowie zwei junge Mädchen – die vietnamesischen Pflegekräfte der dementen alten Dame, die er beide, eine nach der anderen, vergewaltigt, gefoltert und ermordet hatte. Die dritte, offenbar schwer verletzt, ist flüchtig: die Tatverdächtige.
Die Spur führt in die gut organisierte vietnamesische Community der Hauptstadt. Es geht um politische Aufklärung. Das ist gut. Man lernt etwas dazu. Über die rechten Ausschreitungen der Nachwendezeit, die sogenannten «Baseballschlägerjahre», als im Rostocker Sonnenblumenhaus und anderswo vietnamesische Vertragsarbeiter drangsaliert wurden. Und über die Lichtenberger Pho-Da-Pagode – illegal angesiedelt mitten in einem Asiamarkt –, die vor Jahr und Tag beinahe vom Lichtenberger Bauamt verboten und abgerissen worden wäre.
Ströme von Blut, Urin, Sperma
Diese Szenen der buddhistischen Ahnenverehrung sind authentisch. Die Ströme von Leid, Blut, Urin, Sperma, von denen erzählt wird, kann man gottlob weder sehen noch riechen. Die Tonspur ist schon Grusel genug, auch die Augen der Harfouch, ihre blasse Nase, bevor sie aus dem Bluthaus hinausmuss und sich draussen auf dem Rasen hinlegt. Auch Karow kann den Anblick der Greuel nicht ertragen, als er die Videos auswertet, auf denen Engler und Co. ihre Perversionen penibel dokumentiert haben. Hier zeigt sich erstmals eine kleine Gemeinsamkeit: Bonard fällt um, Karow kotzt.
Dass beide gern in Literaturzitaten sprechen, verbindet sie ebenfalls. «Folge dem weissen Kaninchen», sagt er, als sie in Charlottenburg an der Tür von Dr. Lê Müller klingeln, die als Tierärztin manchmal auch Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung verarztet. Besagtes Tier ist zu schön, um wahr zu sein, frisch geföhnt. Und nicht einmal Kitsch. Sondern ein Lächeln wert, ganz wie die weiss gekleideten vietnamesischen Kinder, die am Ende für die Kommissare in der Pagode tanzen.
Ja, ein oder zwei Mal lächelt Frau Bonard den Herrn Karow an. Einmal, als der Fall Kreise zieht, sagt sie sogar etwas Zitierfähiges: «Das Böse ist immer noch ein bisschen böser, als man denkt.» Freunde sind sie deshalb noch lange nicht geworden. Das wäre zu viel verlangt. Aber fad ist ihnen auch nicht mehr miteinander.
«Tatort» aus Berlin: «Am Tag der wandernden Seelen». Sonntag, 20.05 / 20.15 Uhr, SRF 1 / ARD.