Das vom US-Präsidenten unterzeichnete Dekret gegen hohe Medikamentenpreise in den USA fällt in der Sache harmloser aus als befürchtet. Doch die Unsicherheit im Pharmasektor dürfte vorerst anhalten.
Das Gepolter von US-Präsident Donald Trump gegen die Pharmaindustrie ist seit Wochen nicht zu überhören. Kaum eine Gelegenheit lässt er aus, um Massnahmen gegen die Industrie anzukündigen. Zunächst ging es um Zölle auf US-Importe, von denen pharmazeutische Produkte bisher ausgenommen wurden. Jetzt zielt der US-Präsident verstärkt auf die hohen Medikamentenpreise in den USA, die er nicht länger tolerieren will.
Das erzeugt latenten Druck auf Pharmaaktien. Der Stoxx Europe Health Care, der grosse Gesundheitsunternehmen wie Roche, Novartis, AstraZeneca, Novo Nordisk, Sanofi und GlaxoSmithKline umfasst, hat sich seit dem sogenannten «Liberation Day» am 2. April nur schleppend erholt, während der Stoxx Europe 600 seine Verluste bereits wettmachen konnte.
Entsprechend gross waren die Sorgen, als Donald Trump am Sonntagabend ankündigte, am Montag ein Dekret zu unterzeichnen, um gegen die hohen Medikamentenpreise vorzugehen. Der öffentliche Fokus richtete sich vor allem auf eine mögliche Meistbegünstigungsklausel. Solch eine Klausel sieht grundsätzlich vor, dass US-Bürger nur noch den niedrigsten Preis zahlen sollen, der in vergleichbaren Ländern gilt – ein Vorschlag, der das Geschäftsmodell von Big Pharma, teure Forschung über hohe US-Preise zu finanzieren, existenziell bedrohen würde, sollte er konsequent umgesetzt werden.
Grosse Worte – doch was steckt dahinter?
Als Trump am Montagnachmittag schliesslich das gefürchtete Dekret unterzeichnete und zusammen mit dem Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. vor die Medien trat, schalteten die Aktien der Pharmakonzerne allerdings in den Erholungsmodus. Auch Roche und Novartis machten ihre zwischenzeitlichen Tagesverluste von bis zu 4% bis zum Handelsende wieder wett. Am Ende des Tages stand sogar ein komfortables Plus zu Buche.
Was ist passiert?
Donald Trump hat im Vorfeld zwar laut gebellt, am Ende aber nicht gebissen. Zumindest vorerst sind die schlimmsten Befürchtungen nicht eingetreten. Zwar liest sich das Dekret auf den ersten Blick durchaus einschneidend:
Das Papier weist den US-Handelsbeauftragten und das Handelsministerium an, gegen «unangemessene und diskriminierende Massnahmen im Ausland» vorzugehen, welche die Medikamentenpreise drücken. Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. hat zudem 30 Tage Zeit, gemeinsam mit Pharmaunternehmen Vorschläge zur Senkung der Preise zu erarbeiten. Sollten die Preise innerhalb von 180 Tagen nicht sinken, erhalten Kennedy und andere die Befugnis, Regeln und Beschränkungen für Pharmafirmen und Importe vorzuschlagen.
Doch bei genauer Betrachtung wirkt die Anordnung deutlich schwächer als zunächst angenommen – nicht zuletzt, weil konkrete Ausführungspläne der US-Regierung fehlen. «Vage und ohne konkrete Umsetzungsdetails» nennt Jefferies-Analyst Michael Yee das Dekret denn auch in einer ersten Reaktion. Unklar bleibe, ob der Präsident und der Gesundheitsminister nach Ablauf der 180 Tage überhaupt befugt wären, eine Meistbegünstigungsklausel («Most Favored Nation»-Regel, kurz MFN) ohne Zustimmung des Kongresses und ohne entsprechendes Gesetz durchzusetzen.
Citi-Analyst Geoff Meacham hebt zudem hervor, dass die Sprache deutlich weniger streng sei, als dies Wallstreet befürchtet habe. Er gehe davon aus, dass die schwierige Durchsetzbarkeit der Massnahmen sowie die zu erwartenden juristischen Widerstände eine Erholung im Biopharma-Sektor bewirken könnten.
Jetzt ein Comeback von Pharma- und Biotech-Aktien auszurufen erscheint zwar deutlich verfrüht – dafür ist die Unsicherheit weiterhin viel zu gross. Richtig ist jedoch: Auch nach dem Dekret bleiben viele Fragen offen. Wie werden «vergleichbare Länder» überhaupt definiert? Unklar. Sind Preisregelungen rechtlich durchsetzbar? Nach aktuellem Stand eher nicht. Und: Wird der Kongress ein solches Vorhaben unterstützen – immerhin müsste er ein entsprechendes Gesetz absegnen? Auch das ist zumindest fraglich.
Big Pharma verdient sein Geld in den USA
So unkonkret das Vorhaben ist: Donald Trump hat mit seinem Vorstoss durchaus einen Punkt. Die Medikamentenpreise in den USA sind in der Tat zwei bis drei Mal höher als in Europa. Es ist kein populistisches MAGA-Sprech und nicht aus der Luft gegriffen zu behaupten, dass US-Konsumenten die niedrigen Medikamentenpreise in Europa und anderen Regionen zumindest teilweise mitfinanzieren. Nicht zufällig zielen globale Pharmakonzerne vor allem auf den US-Markt, um Geld zu verdienen.
Das hohe Exposure in den USA – grundsätzlich ein Vorteil und so gewollt – erweist sich in diesen Wochen und Monaten als Belastungsfaktor. Auch die Schweizer Pharmariesen setzen einen Grossteil ihres Geschäfts in den USA um, wobei hier vor allem Roche hervorsticht. Doch auch Novartis hat sich unter CEO Vasant Narasimhan zum Ziel gesetzt, den Fokus verstärkt auf die USA zu setzen.
Was jedoch grundsätzlich gegen schnelle Erfolge im Kampf gegen hohe Medikamentenpreise spricht: Reformen im US-Gesundheitssystem zählen zu den politisch schwierigsten Vorhaben überhaupt.
In Europa – darunter in der Schweiz und in Deutschland – sind die Medikamentenpreise staatlich reguliert, was den Margen von Big Pharma deutliche Grenzen setzt. In den USA herrscht – vereinfacht gesagt – grundsätzlich eine freie Preisfestsetzung durch Pharmaunternehmen. Eine staatliche Preisregulierung für verschreibungspflichtige Medikamente gibt es nicht.
Was zunächst nach einem einfachen System klingt, entpuppt sich als komplexes Geflecht mit zahlreichen Akteuren. Neben den Pharmaherstellern spielen vor allem Krankenversicherungen, sogenannte Pharmacy Benefit Managers (Mittelsmänner bei Preisverhandlungen), Apothekenketten sowie staatliche Programme wie Medicare oder Medicaid eine zentrale Rolle. Versuche, dieses fragmentierte System – auch von Seiten der Demokraten – zu reformieren, sind bereits mehrfach gescheitert, auch weil die Pharma-Lobby nirgends so stark ist wie in den USA.
Verworrene Situation
Die komplexe Lage macht es besonders schwierig, abzuschätzen, wie sich die Situation entwickeln wird. Neben der geringen Chance, dass die Medikamentenpreise tatsächlich gesenkt werden, steht auch die These im Raum, dass in den USA künftig statt der Pharmakonzerne die sogenannten Pharmacy Benefit Managers (PBM) in den Fokus rücken könnten.
Denn Trump nimmt auch die Mittelsmänner zwischen Pharmaunternehmen und Versicherern ins Visier. Ursprünglich sollten die PBM dazu beitragen, die Medikamentenkosten zu senken – heute gelten sie jedoch als Preistreiber mit undurchsichtiger Rolle im Gesundheitssystem. Zwar verhandeln sie Rabatte, doch bleibt häufig unklar, wie viel davon tatsächlich bei den Patienten oder den Versicherern ankommt.
Eine zweite These ist, dass Trumps Vorstoss am Ende nicht die US-Preise senkt, sondern vielmehr Druck auf europäische Länder ausübt, ihre Preisniveaus anzugleichen. Sprich: Die Preise könnten in Europa steigen. Doch auch das liesse sich nicht von heute auf morgen umsetzen: In vielen europäischen Ländern unterliegen Arzneimittelpreise strengen Regulierungen und staatlichen Preisfestsetzungen. Eine Anhebung der Preise würde nicht nur politische Widerstände hervorrufen, sondern auch hohe rechtliche Hürden mit sich bringen.