Orgelmusik ist nur etwas für Kirchen? Keineswegs: Die Lettin Iveta Apkalna, Herrin der Orgel in der Hamburger Elbphilharmonie, setzt bei Gastauftritten zusammen mit Paavo Järvi nun auch Zürichs neue Tonhalle-Orgel ins beste Licht.
Als 2017 in Hamburg die Elbphilharmonie eröffnet wurde, hatte man dem spektakulären Konzerthaus von Herzog und de Meuron wie selbstverständlich eine Orgel zugestanden. Doch so selbstverständlich war das gar nicht: Die sogenannte Königin der Instrumente ist nämlich im Konzertsaal eigentlich ein Relikt, übrig geblieben aus dem 19. Jahrhundert, das Musik und Kirche im Sinne einer Kunst-Religion vereinen wollte. Praktische Verwendung gibt es für die Orgel im klassisch-romantischen Konzertrepertoire dagegen nur bei einer Handvoll Werke, unter anderem in zwei Mahler-Sinfonien. Die übrige Zeit stehen die oft millionenteuren Instrumente als schöne Kulissen herum und setzen Staub an.
In Hamburg wollte man das verhindern und schuf nach barocker Tradition die Position eines Titularorganisten. Inhaberin der Stelle ist seit frühesten «Elphi»-Tagen die Lettin Iveta Apkalna. Sie rückt das dort raffiniert in den Saal integrierte Instrument seither zusammen mit einem Kollegen zuverlässig ins beste Rampenlicht. Genau dies erwartete man sich nun auch von Apkalnas Gastauftritt in der Tonhalle Zürich, die 2021 im Zuge der Renovation ebenfalls eine neue Orgel erhalten hat, gebaut von der Firma Kuhn aus Männedorf.
Zürcher Schätzchen
Das privat finanzierte, optisch bewusst etwas zurückgenommene Instrument wurde zwar schon ein ums andere Mal aus dem Dornröschenschlaf erweckt, doch wirklich etabliert ist es im lokalen Musikleben noch nicht. Die insgesamt vier Auftritte von Apkalna im Lauf dieser Woche sind deshalb ein Coup – schon beim ersten am Mittwochabend führte sie den Besuchern eindrucksvoll vor Ohren, was für einen Schatz Zürich mit dieser neuen Orgel bekommen hat.
Zusammen mit dem Tonhalle-Orchester unter dem Musikdirektor Paavo Järvi spielte Apkalna das Orgelkonzert von Francis Poulenc – das Paradestück schlechthin, wenn es darum geht, buchstäblich alle Register zu ziehen. Poulenc arbeitet sich in dem Werk nämlich einmal von der barocken Klangpracht Bachs quer durch die Musikgeschichte bis ins bunte Treiben der Pariser Pigalle – und wieder zurück. Apkalna nutzt die Vielfalt der Stilzitate und Anspielungen, um etliche der rund siebzig verschiedenen Register zu präsentieren, gerade auch die zarteren, schwerelos schwebenden, bei denen das Ohr durchaus vergessen kann, dass die Klänge in teilweise meterhohen Holz- und Metallpfeifen erzeugt werden.
Gleichzeitig staunt man immer wieder, wie gut die Kuhn-Orgel auf die akustischen Gegebenheiten der Tonhalle abgestimmt ist: Das Instrument füllt den Saal satt und farbenreich aus, aber es dröhnt nie, und es macht auch den fehlenden Kirchenhall durch ein ungewöhnlich weiches Ausklingen der Töne wett. In seiner ganzen dynamischen Spannweite führt Apkalna das Instrument dann in ihrer frenetisch bejubelten Zugabe vor: der Toccata aus Charles-Marie Widors 5. Orgelsinfonie – noch so ein Ohrwurm-Paradestück aller Organisten. Hier unterstreicht es die besondere Eignung des Zürcher Bijous für die Klangwelt der grossen französischen Orgeltradition.
Weltspitze
In der französischen Romantik blieb auch die übrige Werkfolge: mit der Erstaufführung der erst 1997 wiedergefundenen Vertonung des 136. Psalms von Gabriel Fauré und mit dessen Requiem op. 48. In der von Järvi ausgesprochen feinsinnig gestalteten Aufführung wird die Orgel vom Solo- zum gleichberechtigten Orchesterinstrument. Sie fügt sich vollkommen harmonisch in den Gesamtklang ein, setzt aber im Zusammenwirken mit der Zürcher Sing-Akademie dennoch subtile Farbtupfer. Dieser Chor, das zeigt sich hier wieder einmal, gehört unter der Leitung von Florian Helgath längst zur Weltspitze – auch diesen Schatz sollte man in Zürich noch häufiger ins rechte Licht setzen. Und gerne in so originellen Programmen wie diesem.