Die Amerikaner kaufen gerne Nespresso. Doch auf den Kapseln droht der 31-Prozent-Zoll für Schweizer Produkte fällig zu werden. Wie werden sich die Zölle genau auswirken? Eine Analyse anhand einer Ristretto-Kapsel.
Nespresso ist vielleicht das erfolgreichste Produkt von Nestlé. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern dürfte jedes Jahr mehr als 10 Milliarden Nespresso-Kaffeekapseln weltweit verkaufen. Alle haben sie etwas gemeinsam: Die Kapseln werden in der Westschweiz hergestellt. Nespresso ist «made in Switzerland».
Die Amerikaner greifen gerne zum Produkt aus der Schweiz. Die USA sind in den letzten Jahren zum wichtigsten Markt für Nespresso aufgestiegen. Geschätzt ein Viertel ihres Umsatzes dürfte die Marke in den USA machen.
Doch nun ist der Erfolg bedroht. US-Präsident Donald Trump hat einen Strafzoll von 31 Prozent gegen die Schweiz verhängt. Am Mittwoch galt er bereits – auch für Nespresso-Kapseln –, bis Trump die Strafzölle am Abend überraschend für 90 Tage aussetzte.
Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Was passiert, wenn der 31-Prozent-Zoll definitiv eingeführt wird? Wie genau wird Nestlé Zölle auf den Kapseln bezahlen müssen? Bedeutet das höhere Ladenpreise für die amerikanischen Konsumenten? Gibt es Wege, die Zölle zu umgehen? Eine Analyse am Beispiel einer Ristretto-Kapsel.
Grosse Wertschöpfung in der Schweiz
Nespresso ist ein verschwiegenes Unternehmen. Der Mutterkonzern Nestlé gibt kaum Zahlen zum Kapselgeschäft bekannt. Was man weiss: Die amerikanischen Konsumenten bezahlen für eine Kapsel Ristretto 85 Cent.
Doch die US-Zölle fallen nicht auf diesem Ladenpreis an. Belastet wird vielmehr der Wert, den die Kapsel bei der Einfuhr in die USA hat. Im Fachjargon nennt man das den Zollwert.
Nestlé äussert sich nicht zu Zollfragen. Man kann aber versuchen, die Grössenordnung des Zollwerts auf Basis öffentlich verfügbarer Daten abzuschätzen. Dazu muss man den Weg einer Nespresso-Kapsel nachverfolgen – von der Kaffeebohne bis zum Ladenregal in den USA.
Die Reise einer Nespresso-Kapsel beginnt in der Westschweiz. In den drei Produktionswerken in Romont, Avenches und Orbe werden Säcke mit grünen Kaffeebohnen aus der ganzen Welt angeliefert. Rund 216 000 Tonnen ungeröstete Kaffeebohnen hat die Schweiz laut Zollstatistik im Jahr 2024 eingeführt – zu einem Durchschnittspreis von rund 5 Franken pro Kilogramm.
Ein guter Teil der importierten Kaffeebohnen landet in den Werken von Nespresso. Dort werden sie geröstet, wobei die Kaffeebohnen rund ein Fünftel ihres Gewichts verlieren. Entwickler entwerfen neue Kreationen, die Kaffeebohnen werden gemischt und gemahlen, das Pulver wird in Kapseln abgefüllt. Die Aluminiumkapseln stellt Nestlé nicht selbst her, sondern lässt sie von den Firmen Dätwyler und Alupak in der Schweiz fertigen.
Am Ende läuft die Ristretto-Kapsel vom Band: rund 5 Gramm gemahlener Kaffee, 1 Gramm Aluminium. Doch was ist sie bei der Ausfuhr aus der Schweiz wert?
Hinweise liefert die Zollstatistik. Im Jahr 2024 hat die Schweiz 20 500 Tonnen Kaffee im Wert von 1,035 Milliarden Franken in die USA exportiert. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei fast ausschliesslich um Kapseln aus der Nespresso-Produktion handelt. Neben den Nespresso-Kapseln der Linie Original – wie die Ristretto-Kapsel – sind bei den amerikanischen Konsumenten auch die grösseren und schwereren Vertuo-Kapseln beliebt.
Trifft man Annahmen zum durchschnittlichen Gewicht der exportierten Kapseln, lässt sich ableiten: Nespresso liefert wohl rund 2,5 Milliarden Kapseln pro Jahr in die USA, zu einem Exportwert von geschätzten 40 Rappen pro Stück. Umgerechnet sind das 44 Cent – oder ungefähr die Hälfte des Ladenpreises in den USA.
Mithin entsteht in der Schweiz eine grosse Wertschöpfung. Nespresso macht aus einem Kilo grüner Kaffeebohnen und etwas Aluminium ein Produkt, das beim Export in die USA rund 50 Franken pro Kilogramm wert ist. Das ist geschätzt acht Mal mehr als die Kosten für die Rohstoffe.
Was am US-Zoll passiert
Die Ristretto-Kapseln werden in der Westschweiz in Kartonschachteln verpackt und in Container verladen. Dann treten sie ihren Weg in die USA an. Zunächst geht es per Zug an einen Nordseehafen wie Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg. Dort werden die Container aufs Schiff verladen.
Der Transport aus der Schweiz in die USA kostet laut Logistikexperten rund 2500 Dollar pro 40-Fuss-Standardcontainer. In einen solchen Container passen 1,6 Millionen verpackte Ristretto-Kapseln. Umgerechnet auf eine Kapsel, dürften die Transportkosten bei 0,15 Cent liegen. Der Transport macht also nur einen vernachlässigbar kleinen Teil am Gesamtpreis einer Nespresso-Kapsel aus.
Wenn das Schiff in den USA ankommt, fällt Trumps Zollhammer. Bis jetzt haben die Amerikaner keine Zölle auf den Import von Kaffee erhoben. Doch nun droht für die Nespresso-Kapseln der generelle 31-Prozent-Strafzoll für Waren mit Ursprung in der Schweiz.
«Die Zölle müssen auf den sogenannten Zollwert bezahlt werden», sagt Simeon Probst, Leiter Zollberatung und internationaler Handel bei PwC Schweiz. «Der Zollwert entspricht grundsätzlich dem Transaktionswert eines Gutes. Das ist der Preis, den der Importeur bezahlt oder zu bezahlen hat, um die Waren zu erhalten.»
In der Praxis ist laut Probst im Zollwert vieles enthalten: die Herstellkosten und die ganze Wertschöpfung in der Schweiz (inklusive Lizenzgebühren oder Entschädigungen für Markenrechte), auch die Transportkosten bis zur Grenze. Vorleistungen kann eine Firma nicht geltend machen. Beispielsweise kann Nespresso nicht die Kosten für die ungerösteten Kaffeebohnen oder die Aluminiumkapseln abziehen, sondern muss den vollen Warenwert versteuern.
Im Fall der Ristretto-Kapsel heisst das: Der 31-Prozent-Zoll fällt auf einem Betrag von mutmasslich 44 Cent an (Exportwert plus Transportkosten). In der Praxis entspricht der Zollwert zwar oft nicht genau dem Exportwert, den eine Firma für die Schweizer Zollstatistik angibt, aber die Werte dürften nahe beieinanderliegen.
Für eine Ristretto-Kapsel muss also ein Zoll von geschätzten 13,5 Cent an den amerikanischen Fiskus abgeliefert werden. Die Zollrechnung bezahlt der Importeur – mutmasslich Nespresso USA.
Viele Firmen würden solche Zölle gerne umgehen. Sie könnten etwa in Versuchung geraten, den Zollwert möglichst niedrig anzugeben. Doch der PwC-Experte Probst sagt: «Das ist ein Spiel mit dem Feuer; der Spielraum ist klein.» Die Zollbehörden würden genau auf eine korrekte Deklaration achten, weil sie ein Interesse an hohen Zolleinnahmen hätten. Zudem seien im WTO-Abkommen zur Zollwertbestimmung klare Regeln festgelegt, wie die Berechnungen zu erfolgen hätten.
Auch Tricks helfen nicht. Schlaumeier könnten auf die Idee kommen, die Nespresso-Kapseln in ein Zwischenlager in Grossbritannien zu liefern. Beim Export von dort in die USA könnte man verlangen, dass der Ausgleichszoll für Grossbritannien von niedrigen 10 Prozent zur Anwendung komme. Doch die gängigen Ursprungsregeln unterbinden solches Gebaren. Es gilt in diesem Fall der Zollsatz für das Land, in dem ein Produkt mehrheitlich hergestellt wurde. Bei Nespresso-Kapseln ist das die Schweiz.
Die Preise für die Konsumenten in den USA steigen
Firmen wie Nespresso müssen andere Wege finden, um mit den US-Zöllen umzugehen. Naheliegend ist der Versuch, die Zölle vollständig auf die amerikanischen Konsumenten zu überwälzen. Im Fall der Ristretto-Kapsel von Nespresso würde das bedeuten: Der Ladenpreis stiege von 85 Cent auf mutmasslich 99 Cent.
Ob Firmen Zölle komplett überwälzen können, hängt allerdings davon ab, wie die Konsumenten reagieren und wie intensiv der Wettbewerb auf einem Markt ist. Bei starker Konkurrenz lassen sich Mehrkosten nur teilweise oder gar nicht weitergeben. Die Unternehmen müssen dann auf Marge verzichten.
Marktbeobachter erwarten, dass die Preise für Kaffee in den USA generell deutlich steigen werden. Dies allein schon deshalb, weil sich der Rohstoff Kaffeebohnen verteuern dürfte: Trump hat wichtige Anbauländer wie Brasilien (10 Prozent), Kolumbien (10 Prozent) oder Vietnam (46 Prozent) mit Ausgleichszöllen belegt. In einem solchen Umfeld kann wohl auch Nespresso mehr von den Konsumenten verlangen.
Lohnt sich der Bau einer Fabrik in Amerika?
Um den Zöllen auszuweichen, könnte Nespresso schliesslich ein Kapselwerk in den USA bauen. Das ist Trumps eigentliches Ziel: dass Firmen die Produktion in die USA verlagern und so Arbeitsplätze schaffen.
Die Überlegung ist nicht abwegig. Nestlé stellt laut eigenen Angaben bereits 95 Prozent der Produkte, die das Unternehmen in den USA verkauft, im Land selbst her. Nespresso ist die grosse Ausnahme.
Dennoch dürfte eine amerikanische Nespresso-Fabrik kaum bald Realität werden. Zölle sind nur ein Faktor bei Investitionsentscheidungen. Wichtig sind etwa auch der Dollar-Kurs, die Kostenstrukturen in einem Land und besonders die Verfügbarkeit von Fachkräften. In der Westschweiz hat Nestlé einen Kaffee-Cluster mit viel Expertise aufgebaut. Das lässt sich nicht rasch kopieren.
Der Bau eines Werks dauert von der Planung über die Bewilligung bis zur Fertigstellung mehrere Jahre. Solche Investitionen setzen Firmen wie Nestlé nur um, wenn sie sich langfristig rechnen.
Doch mit seiner Entscheidung vom Mittwochabend hat Trump Zweifel gesät, wie ernst er es eigentlich mit den Strafzöllen meint. Da erscheint eines sinnvoller: Abwarten und Kaffee trinken.