Viele Experten warnen schon lange davor: In einer zweiten Amtszeit könnte Donald Trump die Nato in eine existenzielle Krise führen. Nun befeuert der ehemalige Präsident diese Angst bei einem Wahlkampfauftritt mit eigenen Worten öffentlich.
Donald Trump hegt wenig Sympathien für das transatlantische Verteidigungsbündnis. Das ist kein Geheimnis mehr. «Die Nato ist mir scheissegal», soll er zu seinem ehemaligen Sicherheitsberater John Bolton gesagt haben. Gemäss dem EU-Kommissar Thierry Breton meinte Trump zudem bei einem Treffen in Davos 2020: «Die Nato ist tot, und wir werden sie verlassen.»
Nun allerdings äusserte Trump seine Geringschätzung für die westliche Verteidigungsallianz am Samstag nicht bloss hinter verschlossenen Türen. Bei einem Wahlkampfauftritt in South Carolina beklagte sich der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner darüber, dass die USA die Ukraine mit mehr Milliarden unterstützten als die Europäer. Dabei nannte er indes völlig falsche Zahlen: «Warum stehen wir bereits bei über 200 Milliarden Dollar und die europäischen Länder mit einer ähnlich grossen Wirtschaft bei 25 Milliarden Dollar?»
Europa tut immer noch zu wenig
Gemäss dem Kieler Institut für Weltwirtschaft senden zahlreiche europäische Staaten im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung mehr Geld in die Ukraine als die USA. Aber davon wollte Trump am Samstag nichts wissen. Stattdessen erinnerte er daran, wie er in seiner ersten Amtszeit die europäischen Partner zu höheren Verteidigungsausgaben drängte. Bei einem Gipfeltreffen habe ihn ein Präsident eines grossen Landes gefragt: «Wenn wir nicht bezahlen und Russland uns angreift, würden Sie uns verteidigen?» Er habe ihm geantwortet: «Nein, ich würde euch nicht verteidigen. Ehrlich gesagt, würde ich sie (die Russen) ermutigen, zu tun, was immer zur Hölle sie tun wollen.»
Man kann Trumps Äusserungen relativieren. Er war nicht der erste amerikanische Präsident, der von den Europäern eine gerechtere Lastenteilung einforderte. Er tat dies einfach mit einer wesentlich härteren Verhandlungstaktik. Und sein immer noch währender Unmut ist durchaus verständlich. Obwohl viele europäische Länder – vor allem im Osten – seit der russischen Annexion der Krim vor zehn Jahren ihre Verteidigungsausgaben erhöhten, erfüllen selbst grosse Staaten wie Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato noch immer nicht. Laut Berechnungen des Ifo-Instituts gab Berlin im vergangenen Jahr rund 1,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aus. Der Mittelwert aller Nato-Länder liegt derzeit bei 1,82 Prozent.
Nicht nur eingefleischte Trump-Kritiker befürchten derzeit jedoch, dass der ehemalige Präsident das transatlantische Verteidigungsbündnis in einer zweiten Amtszeit in eine existenzielle Krise führen könnte. Der amerikanische Kongress fügte in das Budgetgesetz für die Verteidigung im Dezember eine Passage ein, welche es dem Präsidenten praktisch verunmöglicht, aus der Nato auszutreten. Die entsprechenden Paragrafen wurden unter anderem vom republikanischen Senator Marco Rubio eingebracht.
Gemäss diesen Bestimmungen müsste Trump den Senat mindestens ein halbes Jahr im Voraus informieren, sollte er einen Nato-Austritt anstreben. Dieser wäre jedoch nur möglich, wenn zwei Drittel der Senatoren dafür stimmen würden oder der Kongress ein eigenes Gesetz dazu verabschieden würde. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse in der kleinen Parlamentskammer scheint ein offizieller Rückzug der USA aus dem westlichen Verteidigungsbündnis für Trump deshalb kaum realisierbar.
Der Kongress hat begrenzte Kontrolle
Wie die preisgekrönte Journalistin und Historikerin Anne Applebaum jedoch kürzlich in der Zeitschrift «Atlantic» ausführte, ist die Existenz der Nato auch dann in Gefahr, wenn sie nur noch auf dem Papier bestehen sollte. Die wichtigste Waffe der Allianz sei ihre psychologische Wirkung, schreibt Applebaum. «Sie kreiert eine Erwartung der kollektiven Verteidigung, die in den Köpfen aller existiert, die ein Mitglied des Bündnisses bedrohen könnten.»
Sollte Russland deshalb davon überzeugt sein, dass Trump einem Nato-Mitglied nicht mehr zu Hilfe eilen würde, spielt es womöglich kaum mehr eine Rolle, ob die Allianz formal noch existiert. Ohne die Einwilligung des Kongresses könne der amerikanische Präsident die Nato zudem auch einfach lahmlegen, indem er etwa keinen Botschafter nach Brüssel schicke oder die Zahlungen an das dortige Hauptquartier einstelle, zitiert Applebaum den ehemaligen amerikanischen Nato-Botschafter Alexander Vershbow.
Wenig überraschend kritisierte deshalb auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Sonntag Trumps Wahlkampfauftritt: «Jede Andeutung, dass Verbündete sich nicht verteidigen werden, untergräbt unsere gesamte Sicherheit, einschliesslich jener der Vereinigten Staaten, und setzt amerikanische und europäische Soldaten einem erhöhten Risiko aus», meinte Stoltenberg in einer Erklärung.
Mit seinen Aussagen in South Carolina sägt Trump bereits an der psychologischen Wirkung der Nato. Zwischen den Zeilen scheint dabei vor allem eine Botschaft mitzuschwingen: Die USA würden unter seiner Führung selbst demokratische Verbündete und mit ihnen die liberale Weltordnung nicht mehr um jeden Preis verteidigen. Nicht nur in Moskau, sondern auch in Peking und Teheran dürften sich die Diktatoren darüber freuen.