Donald Trump gibt sich bei seiner ersten Rede nach dem Attentat als versöhnlicher Landesvater. Allerdings nur zu Beginn. Dann geht er zum Angriff über.
Zum Abschluss des republikanischen Parteitags in Milwaukee hat Donald Trump seine euphorisierten Anhänger in einer über 90 Minuten langen Rede in den Bann gezogen.
Speziell war nicht nur die Länge seiner Rede. Auch waren seine Vorredner nicht etwa schwergewichtige Parteigrössen, im Gegenteil: Unter ihnen befanden sich der ehemalige Wrestler Hulk Hogan, der Geschäftsführer einer Kampfsportorganisation, sein Sohn Eric Trump, der evangelikale Prediger Franklin Graham, der Musiker Kid Rock oder der rechtskonservative Journalist und Putin-Apologet Tucker Carlson.
«Gott war an meiner Seite»
Carlson kreierte den Kontext für Trumps spätere Rede: Nach dem Attentat auf Trump vergangenen Samstag sei alles anders. «Trump ist ein anderer.» Als er aufgestanden sei nach dem Streifschuss und seine Faust in die Luft gereckt habe, habe eine Transformation stattgefunden. Trump sei bereits vor der Wahl im November «ein nationaler Anführer» geworden.
Trump hätte den Anschlag nutzen können, um das politische Klima weiter anzuheizen, meinte Carlson. Aber er habe das Land zur Einigkeit aufgerufen und sich damit «sehr verantwortungsbewusst» verhalten. Nach allem, was passiert sei, spüre er: «Gott ist unter uns.»
Trump knüpfte in seiner Rede direkt an Carlsons Gedanken an. «Ich will Präsident für alle Amerikaner sein.» Es sei Zeit, zusammenzukommen. «Wir steigen zusammen auf, und wir fallen zusammen.» Dann erzählte Trump nochmals in Details, wie er das Attentat am vergangenen Samstag selbst erlebt hatte. Nur weil er seinen Kopf im letzten Moment zur Seite gewendet habe, sei er noch am Leben. «Blut war überall, aber ich fühlte mich sicher, weil Gott auf meiner Seite war.»
Danach ging Trump jedoch zum Angriff über. Die Amerikaner seien eine geeinte Nation, die für die Freiheit und die Gerechtigkeit für alle einstehe. Politische Differenzen sollten deshalb nicht kriminalisiert oder dämonisiert werden. «In diesem Geist sollte die Demokratische Partei sofort damit aufhören, das Justizsystem zu instrumentalisieren und ihre politischen Gegner als Feinde der Demokratie zu bezeichnen.» Indem er gegen diese «parteiischen Hexenjagden» ankämpfe, sei er es, der die Demokratie zu retten versuche.
Vorwurf des Wahlbetrugs
«Ich will den American Dream zurückbringen», versprach Trump. Einen Traum, den Biden und die Demokraten ausgelöscht hätten. «Selbst die zehn schlechtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten zusammen hätten nicht einen solchen Schaden anrichten können wie Biden.» Die Inflation erdrücke die Amerikaner, und die «Invasion» von Millionen illegaler Einwanderer stürze das Land in eine Misere. «Sie (die Demokraten) zerstören unser Land.» Überall im Ausland herrsche zudem Krieg. «Der Planet wandelt am Rande des dritten Weltkriegs.»
Die USA hätten es auf der Weltbühne mit sehr harten, kämpferischen Leuten zu tun. Aber Amerika werde derzeit nicht von kämpferischen Leuten regiert. Die Demokraten seien «alles andere als kämpferisch, ausser wenn es darum geht, bei Wahlen zu betrügen».
Trump versuchte sich versöhnlich und staatsmännisch zu zeigen. Aber er fiel schnell in alte Muster zurück. Die Realität ist ohnehin eine andere. Trump mag noch so die Einigkeit beschwören, in Tat und Wahrheit hat er nicht einmal seine eigene Partei geeint, er hat sie sich unterworfen. Seine grössten Kritiker wurden aussortiert oder zu Statisten degradiert. Wer am Parteitag noch eine Rolle spielen wollte, musste kapitulieren. So wie Nikki Haley es am Dienstag tat. Die USA würden eine zweite Trump-Regierung nicht überleben, sagte die Präsidentschaftsbewerberin in den republikanischen Vorwahlen. Nun erklärte sie: «Zum Wohl des Landes müssen wir für Trump stimmen.»
Der Demokrat John Kennedy machte 1960 seinen grössten Rivalen im Kampf um die Präsidentschaft, den Senatsführer Lyndon Johnson, zu seinem Vizepräsidenten, um die Partei zu einen. Trump hingegen nominierte mit Vance einen linientreuen und politisch wenig erfahrenen Gefolgsmann. Mit der Personalie scheint Trump ein klares Zeichen zu setzen: Es gibt kein Zurück mehr zur alten Grand Old Party, die selbstbewusst für Freihandel, eine optimistische Einwanderungspolitik und eine transatlantische Wertegemeinschaft einstand.
Die Zukunft in der Partei soll der «America First»-Bewegung gehören, die für alle Probleme in den USA vor allem zwei Gründe sieht: den Freihandel und die Zuwanderung. Es sei einfach zu erklären, warum sich viele Amerikaner heute kaum mehr ein Haus kaufen könnten, meinte Vance in seiner Rede am Mittwoch: «Wall-Street-Barone brachten die Wirtschaft zum Absturz, die amerikanischen Häuserbauer bauten nichts mehr.» Der Mangel an guten Stellen habe zu stagnierenden Löhnen geführt. «Und dann fluteten die Demokraten dieses Land mit Millionen illegaler Einwanderer. Also mussten die Bürger mit Leuten, die gar nicht hier sein sollten, um wertvollen Wohnraum wettstreiten.» Die Delegierten im Saal skandierten danach spontan: «Schickt sie zurück.» In den Händen hielten sie Schilder hoch mit der Aufschrift: «Massenabschiebungen jetzt!»
Das oberste Gesetz ist die Loyalität
Bezeichnend für den Zustand der Partei war auch der Auftritt von Peter Navarro am Mittwoch. Trumps ehemaliger Handelsberater kam direkt aus dem Gefängnis, wo er vier Monate eingesessen hatte. Zu dieser Strafe wurde er verurteilt, weil er gegenüber der parlamentarischen Untersuchungskommission zum Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 keine Aussage machen und keine Dokumente aushändigen wollte. Sie habe gewollt, dass er Trump betrüge, erklärte Navarro. «Aber ich weigerte mich.» Frenetisch applaudierten die Delegierten in der Halle.
Kein anderer Redner vor ihm wurde vermutlich so lautstark begrüsst wie Navarro. Bidens «Ministerium für Ungerechtigkeit» und seine «Schakale» hätten ihn ins Gefängnis gesteckt, meinte er. «Wenn sie mich oder Trump ins Visier nehmen, können sie auch auf euch losgehen.» Deshalb müssten die Republikaner selbst die volle Kontrolle über die Regierung übernehmen. «Sonst wird die Regierung uns kontrollieren.»
Navarro machte im Grunde klar: Das oberste Gesetz sollte die Loyalität zu Trump sein. Gemessen am Applaus scheinen die Delegierten diese Meinung vollends zu teilen. Als Zeichen ihrer grossen Solidarität verbanden einige von ihnen gar ihr rechtes Ohr, genau so wie Trump seit dem Streifschuss vom vergangenen Wochenende.
Im Gegensatz zur berauschten Parteibasis lehnt indes ein Teil der Republikaner einen solch blinden Personenkult immer noch ab. Sie fühlen sich von der Partei entfremdet. Trump ist offensichtlich überzeugt, dass er die Wahl auch ohne sie gewinnen kann. Zu schwach scheinen ihm die Demokraten zu sein. Sollte Trump die Wahl aber dennoch verlieren, könnte er es noch bereuen, nicht alle Konservativen in sein Boot geholt zu haben.