Mangels Alternativen präsidiert Charles Morerod, Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, künftig die Bischofskonferenz.
Die Bischöfe der Schweiz wollen die katholische Kirche ohne fundamentale Veränderungen fundamental verändern. Das ist die Botschaft, die sie seit einiger Zeit vermitteln. Als im vergangenen Jahr ein weiterer Missbrauchsskandal die Kirche erreichte, sagte Joseph Maria Bonnemain, der Bischof von Chur: «Auch ich will eine ‹Revolution›, aber die werden wir nicht mit einer Revolution, mit Ungehorsam, mit Aufständen und Konfrontation zustande bringen.»
Und so wählen die Bischöfe an diesem Mittwoch einen Mann zu ihrem Präsidenten, der noch im Oktober vom Vatikan kritisiert worden ist: Charles Morerod, 63, der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg. Er sei in der Vergangenheit «naiv» gewesen, weil er die «Eignung bestimmter Kandidaten für kirchliche Ämter» nicht überprüft habe. Zudem habe er Missbrauchsvorwürfe nicht so untersucht, wie es vorgesehen gewesen wäre. So steht es offenbar in einem Brief, der «Ihrer Exzellenz» aber «keine wesentlichen Versäumnisse», keine Vertuschung oder Böswilligkeit unterstellen will.
Morerod zeigte sich im vergangenen Jahr über eine Studie der Universität Zürich schockiert, die mehr als tausend Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche der Schweiz offengelegt hatte, und er versprach, wenn er feststellen sollte, dass er grosse Fehler begangen habe, sei es besser zu gehen. Ein Jahr später führt er die katholische Kirche als Präsident der Bischofskonferenz in die nächsten Jahre.
Die Mitteilung zu seiner Wahl ist drei Zeilen kurz, eine Gratulation oder eine Begründung gibt es nicht. Innerhalb der Kirche sprechen gut informierte Leute von einer Notlösung. Angeblich habe man Rom um eine Ausnahmegenehmigung für Felix Gmür, den Bischof von Basel, ersucht: Ob er nicht, auch wenn es die Statuten verbieten, noch eine dritte Amtszeit ihr Präsident sein könne?
Das Wort ist die Tat
Jetzt verkörpert Charles Morerod die Konferenz der Bischöfe, die geweiht sind, um ihrem Kirchenvolk die Linie vorzugeben. Und die gleichzeitig eine Linie für sich selbst suchen. Nie war das offensichtlicher als im vergangenen September, als die Missbrauchsstudie das Land erschütterte. Gleich drei Bischöfe baten damals in Zürich zum Gespräch. Sie waren stolz, dass sie den Forscherinnen die Archive geöffnet hatten, sie präsentierten Massnahmen, sie wollten Human-Ressources-Institutionen schaffen, und – anders als vom Papst vorgesehen – auch jahrzehntealte Akten nicht mehr vernichten («Das ist eigentlich eine Ungehorsamkeitserklärung an Rom.»).
Was die Bischöfe wollten, sollte zwar nicht an den unabänderlichen Grundsätzen ihrer Kirche rütteln, aber alles zum Guten verändern. Wenn der eine Bischof sagte, der Zölibat werde mehrheitlich nicht mehr verstanden, dann sagte ein anderer Bischof, wenn ein Priester es gut mache, werde der Zölibat weiterhin verstanden. Ein Kulturwandel sei unbedingt nötig, aber ein Kulturwandel passiere langsam. Was die Bischöfe beschrieben, war eine Welt, in der auf jeden Wunsch ein Sachzwang folgt, in der jede Schuld entschuldigt werden kann. Auch ein Bischof ist je nach dem nicht mächtig, sondern ohnmächtig: ein Gläubiger allein in einer Weltkirche. Ob schuldbehaftete Bischöfe nicht zurücktreten sollten? Verantwortung gelte es zu tragen, nicht abzugeben.
Das Gespräch der Bischöfe in Zürich war auch eine Selbsttherapie: In den Geschichten der Geistlichen lösten sich die Widersprüche irgendwann scheinbar von allein auf. Gewohnt, Trost zu spenden, trösteten sie sich immer auch selbst. Als der Bischof von Chur sagte, man habe so viel gesprochen und versprochen, dass es jetzt zu handeln gelte, da antwortete ihm der Bischof von Basel: «Ja, auch wenn bereits viel geschehen ist.» Das war die katholische Art der Krisenbewältigung: Ist nicht das Wort schon die Tat?
Aus der Kirche ist zwar auch von kritischen Geistern zu vernehmen, dass es seit einiger Zeit tatsächlich eine Entwicklung und eine neue Bereitschaft gebe, Priester und Seelsorger psychologisch abklären zu lassen, bevor man sie einstelle – aber dass sich alles nur langsam verändere. Die Kirche ist eine jahrtausendealte Institution, die nicht für schnelle Wechsel, sondern für ewige Gewissheiten gemacht ist.
Im vergangenen Jahr hatten die Bischöfe beschlossen, sich selbst untersuchen zu lassen – aber von einem der ihren: Joseph Maria Bonnemain, dem Bischof von Chur. Er hatte schon in den nuller Jahren als Sekretär einer kirchlichen Kommission zu sexuellen Übergriffen gearbeitet. Er ist der letzte Bischof mit gutem Ruf.
Wer bleibt?
Im Umgang mit der Untersuchung zeigt sich das bischöfliche Paradox: Es soll sich viel verändern, ohne dass sich viel verändern soll. Einerseits schickten die Bischöfe dem Vatikan nicht nur im vergangenen Winter die Ergebnisse der Untersuchung, sondern drängten ihn im Sommer noch einmal zu einer Antwort. Andererseits publizierten sie den Brief aus Rom nicht, sondern fassten ihn nur zusammen (und verwiesen darauf, dass einige Bischöfe persönliche Antworten erhalten hätten, über die aber die einzelnen Diözesen informieren müssten). Einerseits wurden «Fehler, Versäumnisse und Unterlassungen» eingeräumt, «zugleich» handle es sich aber nicht um gravierendes Fehlverhalten. Zwar hätten sich keine Hinweise auf strafbare Vergehen ergeben, «nichtsdestotrotz» werde das eigene Verhalten «als nicht korrekt erachtet».
«Sie befinden sich in einem Lernprozess»: So beschreiben sich die Bischöfe selbst, als könnten sie von aussen auf sich selbst schauen. Aus ihrer Sicht muss sich die Bischofskonferenz erneuern, aber mit dem alten Personal. Nachdem Felix Gmür, der bisherige Präsident der Bischofskonferenz, nicht noch weitere drei Jahre im Amt bleiben kann, wird mit Charles Morerod dessen Vorgänger der neue Präsident. Er war schon von 2016 bis 2018 im Amt. Er wurde vom Vatikan für seine Rolle in der katholischen Missbrauchsgeschichte kritisiert – jetzt soll er für eine glaubwürdige Aufarbeitung dieser Geschichte stehen.
Wer hätte es sonst sein sollen? Äbte und Weihbischöfe hätten eine Ausnahmegenehmigung des Vatikans gebraucht. Joseph Maria Bonnemain, der Bischof von Chur, hat die Altersgrenze bereits überschritten – er ist 76 Jahre alt und noch im Amt, weil der Papst ihn darum gebeten hat. Jean-Marie Lovey, der Bischof von Sitten, erreicht im nächsten Jahr die Altersgrenze und kann das Amt auch nicht mehr drei Jahre lang ausüben. Markus Büchel, der Bischof von St. Gallen, wird zurücktreten – das Domkapitel hat aber noch keinen Nachfolger gewählt. Büchel galt lange als Hoffnungsträger der katholischen Kirche. Im vergangenen Jahr musste aber auch er Verfehlungen eingestehen, im Fall eines übergriffigen Priesters, der «Pfarrer Tätscheli» genannt wurde. «Ich habe einen grossen Fehler gemacht. Und es tut mir leid», sagte er. Und so gibt es nicht viele in der Bischofskonferenz, die in der vergangenen Zeit nicht hätten um Vergebung bitten müssen.
Aus diesem Kreis haben die Bischöfe Charles Morerod gewählt. Aus welchen Gründen? Es muss offen bleiben. Wie einer, der vom Vatikan für die bisherige Kultur in der katholischen Kirche kritisiert wurde, den Kulturwandel anführen will? Die Bischofskonferenz beantwortet an diesem Mittwoch keine Fragen.