Ein 24-jähriger Nordmazedonier ist vom Obergericht wegen Vergewaltigung und Angriffs zu einer Freiheitsstrafe von 46 Monaten verurteilt worden.
Es war ein lauer Samstagabend im Juni 2021: Ein angetrunkenes 19-jähriges finnisches Au-pair hatte in einem Pub in Zürich mit Freunden einen EM-Achtelfinal geschaut und wollte nun zum See. Vor dem Parkhaus Urania stieg die junge Frau in einen dunklen BMW X5 von drei wildfremden Männern ein. Diese kamen aus der Ostschweiz. Das Auto gehörte dem Vater eines der Beteiligten.
Auf der Rückbank des Autos bekam die Frau sogleich einen Becher mit «Captain Morgan»-Rum in die Hand. Die Männer drehten etwa fünfzig Minuten lang auf der unter Autoposern beliebten Strecke am Seebecken zwischen Wollishofen und Zürichhorn mehrere Runden. Dabei wechselten zwei von ihnen zweimal ihre Plätze, um an der Frau auf der Rückbank sexuelle Handlungen vorzunehmen.
Unbestritten ist: Ein heute 24-jähriger Nordmazedonier, auf den damals zu Hause eine Freundin wartete, schlief ohne Kondom mit der Finnin.
Laut dem Staatsanwalt wurde das Au-pair später aus dem Auto «geworfen», irrte verwirrt umher, vertraute sich Passanten an und erstattete Anzeige bei der Polizei wegen Vergewaltigung. Die Rückrechnung ihres Blutalkoholgehalts ergab einen Wert zwischen 1,73 und 2,63 Gewichtspromille zur Tatzeit.
Durch Überwachungsvideos konnte der BMW identifiziert werden. Die Männer wurden festgenommen und sassen rund eineinhalb Monate in Untersuchungshaft. Sie erklärten, die sexuellen Handlungen seien einvernehmlich erfolgt.
Äusserst mildes Urteil der Vorinstanz
Im erstinstanzlichen Prozess vor Bezirksgericht Zürich im Mai 2023 stellte sich der heute 24-jährige hauptbeschuldigte Nordmazedonier auf den Standpunkt, der Geschlechtsverkehr sei auch von der Finnin gewollt gewesen. Er wurde dennoch wegen Vergewaltigung verurteilt, aber mit einem äusserst milden Urteil bestraft, einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten. Er muss dem Opfer 15 000 Franken Genugtuung bezahlen, die er derzeit in Monatsraten von 500 Franken abstottert.
Das Bezirksgericht verzichtete auf die Anordnung eines beantragten obligatorischen Landesverweises, allerdings nur mit Zweidrittelmehrheit des dreiköpfigen Richtergremiums. Dem in der Schweiz geborenen und hier gut integrierten Beschuldigten, der als Fachmann Gesundheit arbeitet, wurde ein persönlicher Härtefall zugebilligt. Demgegenüber befand eine Richterin, dass das öffentliche Sicherheitsbedürfnis trotzdem überwiege.
Der Fahrer, ein heute 24-jähriger Kosovare, wurde vor Vorinstanz von der Mittäterschaft bei den Sexualdelikten freigesprochen. Der dritte Täter – ein heute ebenfalls 24-jähriger Nordmazedonier – kam mit einer Busse von 1000 Franken wegen sexueller Belästigung davon. Alle drei Beschuldigten akzeptierten ihre Urteile.
Für den Staatsanwalt ist die Strafe des Vergewaltigers allerdings viel zu milde ausgefallen. Er zog den Fall ans Obergericht weiter und beantragt eine Freiheitsstrafe von 42 Monaten und 6 Jahre Landesverweis.
Der Staatsanwalt will «ein Signal für die Öffentlichkeit»
Im Berufungsprozess macht der Beschuldigte keine Angaben mehr zum Sachverhalt. Zum beantragten Landesverweis sagt der in der Schweiz geborene Pflegefachmann, der nie eine Einbürgerung beantragt hat: «Es würde eine Welt zusammenbrechen, ich wüsste nicht, was machen.» Er sei heute ein anderer Mensch und ekle sich zum Teil vor Sachen, die er früher gemacht habe. Er habe damals falsche Freunde gehabt und trinke heute keinen Alkohol mehr.
Der Staatsanwalt plädiert, das Obergericht habe die Möglichkeit, öffentlich ein Signal zu setzen, dass Vergewaltigung kein Kavaliersdelikt sei. Das vorinstanzliche Urteil sei unverständlich. Er fordert zusätzlich einen Schuldspruch wegen Angriffs im Zusammenhang mit einer Prügelei im September 2019 in Weinfelden, an welcher der Beschuldigte beteiligt war. Von diesem Vorwurf war der Pflegefachmann vorinstanzlich freigesprochen worden.
Der Verteidiger beantragt die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils. Die Vergewaltigung sei vom Beschuldigten anerkannt. Er wolle damit abschliessen. Er argumentiert für die milde Bestrafung: Der Beschuldigte habe ausserhalb des Opfers ejakuliert, keine physische Gewalt angewendet, und die Frau habe sich damals ja freiwillig in eine Gefahrensituation begeben. Das Verschulden sei eher leicht.
Der Beschuldigte habe sich dreieinhalb Jahre lang nichts mehr zuschulden kommen lassen und sei in der Schweiz verlobt. Durch einen Landesverweis wäre auch die laufende Wiedergutmachung gefährdet.
Landesverweis mit Minimaldauer
Bei der Urteilseröffnung verwahrt sich der Gerichtsvorsitzende dezidiert gegen die Aufforderung, wonach das Gericht ein Zeichen oder ein Signal für die Öffentlichkeit setzen solle. Das Obergericht habe einfach die geltende Gerichtspraxis angewendet. Ein Zeichen müsse es nicht setzen. Das milde Urteil der Vorinstanz liege «äusserst quer in der Landschaft».
Das Obergericht spricht den Fachmann Gesundheit neben der Vergewaltigung auch wegen Angriffs schuldig. Er wird zu einer vollziehbaren Freiheitsstrafe von 46 Monaten verurteilt; 40 Monate davon für die Vergewaltigung. Der Beschuldigte wird für die Minimaldauer von 5 Jahren des Landes verwiesen.
Der Beschuldigte sei zwar klar ein schwerer persönlicher Härtefall, erklärt der vorsitzende Richter fast entschuldigend. Er habe aber gleich zwei Katalogtaten verübt, und der Landesverweis sei laut Bundesgerichtspraxis auch bei Härtefällen mit Strafen von über zwei Jahren vorgeschrieben.
Im Rahmen aller denkbaren Vergewaltigungen gebe es viel schlimmere Fälle. Der Beschuldigte habe zwar keine physische Gewalt angewendet. Es sei für ihn aber klar erkennbar gewesen, dass die Frau nicht gewollt habe. Besonders demütigend sei für diese gewesen, dass er sie in Anwesenheit von zwei Kollegen in einem fahrenden Auto vergewaltigt habe.
Und an die Adresse des Verteidigers sagt er, es sei gefährlich, zu sagen, dass sich das Opfer freiwillig in eine Gefahrensituation begehen habe. «Ich würde meiner Tochter zwar auch raten, dass sie das nicht tun soll», strafrechtlich sei dies aber nicht relevant.
Urteil SB230587 vom 25. 11. 2024, noch nicht rechtskräftig.