Gemäss einem neuen Verkaufsverbot für Tabak, bei dem die Altersgrenze jedes Jahr um ein Jahr angehoben wird, sollen heute 15-jährige Briten nie in ihrem Leben legal Zigaretten kaufen dürfen. Warum treibt gerade ein konservativer Premierminister eine solch radikale Einschränkung voran?
Am Parteitag der Konservativen im letzten Herbst in Manchester präsentierte sich Premierminister Rishi Sunak als Macher, der den politischen Konsens aufbricht und unkonventionelle Entscheide im langfristigen Interesse des Landes fällt. Unter seinen Ankündigungen fanden sich auch Massnahmen zur Eindämmung des Konsums von elektronischen Vape-Zigaretten – und ein neuartiges Verbot des Verkaufs von herkömmlichen Raucherwaren an Jugendliche.
Ab 2027 soll die Altersgrenze von derzeit 18 Jahren jedes Jahr um ein weiteres Jahr steigen. 2028 läge die Schwelle bei 19 Jahren, 2029 bei 20 Jahren. Britinnen und Briten, die heute jünger als 15 Jahre alt sind, dürften also niemals in ihrem Leben legal Zigaretten erwerben. Wer heute hingegen älter ist als 15 Jahre, wird sein ganzes Leben lang völlig rechtmässig Tabakprodukte kaufen dürfen.
Hohe Kosten des Tabakkonsums
Inzwischen hat das Gesetzesprojekt die ersten parlamentarischen Hürden überschritten. Sunak hat seinen Parteikollegen die freie Stimmabgabe ohne Fraktionszwang erlaubt: 58 konservative Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz – 106 weitere enthielten sich der Stimme. Doch da die Labour-Opposition den dirigistischen Gesetzesentwurf geradezu lustvoll unterstützte, besteht kaum noch ein Zweifel daran, dass das ebenso neuartige wie kuriose Verbot definitiv beschlossen und in Kraft treten wird.
Grossbritannien dürfte damit zum weltweit ersten Land avancieren, das ein Verkaufsverbot für Tabak einführt, das bis zum Ende des Jahrhunderts Schritt für Schritt praktisch die ganze Bevölkerung erfassen würde. Neuseeland hatte unter der Labour-Regierung von Jacinda Ardern ein ähnliches Vorgehen geplant. Doch die konservative Nachfolgeregierung beschloss im Herbst 2023, das Verbot aus praktischen und finanziellen Gründen fallenzulassen.
Sunak und seine Regierung begründen den erheblichen staatlichen Eingriff mit den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Kosten des Tabakkonsums. Laut dem Gesundheitsministerium sterben im Vereinigten Königreich jedes Jahr rund 80 000 Personen an den Folgen des Rauchens, das damit die wichtigste Ursache von verhinderbaren Todesfällen im Land darstelle.
Insgesamt summieren sich die jährlichen Kosten für das Gesundheitswesen und die Wirtschaft laut der Regierung auf 17 Milliarden Pfund (19,4 Milliarden Franken). Das Verkaufsverbot soll bis zum Ende des laufenden Jahrhunderts fast eine halbe Million Fälle von Herzerkrankungen, Infarkten und Lungenkrebs verhindern.
Allerdings hat die Zahl der britischen Raucherinnen und Raucher ohnehin bereits markant abgenommen. Hatten 2011 gemäss dem Office for National Statistic noch rund 20 Prozent der Bevölkerung regelmässig zum Glimmstengel gegriffen, waren es 2022 noch knapp 13 Prozent. Gemäss Umfragen sind es vor allem die prohibitiv hohen Preise, die Raucher zum Aufhören bewegen.
Gesundheitsbewusster Sunak
Dass sich ausgerechnet ein konservativer Premierminister als Vorreiter einer staatlichen Verbotspolitik in Szene setzt, erstaunt. Sunak argumentiert, er wolle heutigen Rauchern nichts verbieten, sondern bloss eine neue Generation von Britinnen und Briten davon abhalten, mit Rauchen anzufangen. Dennoch sprach Sunaks Vorgängerin Liz Truss von einer Infantilisierung der Bürger, und Boris Johnson bezeichnete den Plan als «völlig irre».
Für Sunak hingegen ist der Kampf gegen das Rauchen auch ein persönliches Anliegen. Er hat zwei Töchter im Teenager-Alter, die vom Verkaufsverbot betroffen wären und die er als Teil einer rauchfreien Generation heranwachsen sehen möchte. Zudem gilt er als sehr gesundheitsbewusst. Sunak trinkt keinen Alkohol und ist Vegetarier, zudem folgt er eisern einem Fasten-Regime und nimmt in den ersten 36 Stunden jeder Woche keine Nahrung zu sich. Nicht zuletzt weiss der Premierminister die Mehrheit der Wählerschaft hinter sich. In einer Umfrage vom letzten Herbst befürworteten 71 Prozent der Britinnen und Briten seine Pläne für eine rauchfreie Insel.
Das Verkaufsverbot wirft neben prinzipiellen auch praktische Fragen auf, weil nur der Verkauf von Zigaretten verboten wird, nicht aber deren Konsum. So beklagt die British Independent Retailers Association, die Verantwortung zur Durchsetzung liege einzig bei den Angestellten des Detailhandels. In zwanzig Jahren beispielsweise werden Verkäuferinnen und Verkäufer prüfen müssen, ob ein Kunde 39 Jahre alt ist und damit Zigaretten kaufen darf oder erst 38 Jahre alt ist und daher vom Verkaufsverbot betroffen ist. Diese gesetzliche Pflicht zur Bevormundung von Erwachsenen könnte die Angestellten negativen Reaktionen aussetzen, lässt der Verband verlauten.
Heikles Terrain
Manche Experten werfen auch die Frage auf, wie zielführend der alleinige Fokus auf den Tabakkonsum wirklich sei.
So kam eine Untersuchung der Londoner Bayes Business School 2022 zum Schluss, dass selbst ein komplettes Verbot des Rauchens die Lebenserwartung der Betroffenen nur langsam und nur bis zu einem gewissen Grad erhöhen würde. Denn die mit dem Rauchen verbundenen Gesundheitsprobleme häufen sich laut der Studie in sozial benachteiligten Gegenden und sind mit anderen negativen Faktoren wie Drogenkonsum, psychischen Erkrankungen, Übergewicht oder Armut verknüpft.
Offen ist vor diesem Hintergrund, ob eine künftige Regierung dereinst ähnlich gelagerte Einschränkungen gegen den Verkauf von stark zuckerhaltigen Waren oder alkoholischen Getränken in Erwägung ziehen könnte. Rechtsphilosophisch begibt sich Sunak mit seinem Traum einer rauchfreien britischen Insel jedenfalls auf heikles Terrain, da der Staat Erwachsene vor dem Gesetz bewusst ungleich behandelt und eine willkürlich anmutende Alterslimite durchsetzt.