Auch ohne ausufernde staatliche Kontrollen sollten Unternehmen jedes Interesse daran haben, faire Löhne zu zahlen.
Gut die Hälfte der Schweizer Firmen erfüllen ihre gesetzlichen Pflichten zur Lohngleichheitsanalyse nicht. Viele führen entweder keine Lohnanalyse durch, lassen diese nicht wie vorgeschrieben von einer externen Stelle prüfen oder kommunizieren die Ergebnisse nicht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden wären dazu seit 2020 verpflichtet.
Das zeigt eine Analyse der Berner Fachhochschule, die diese im Auftrag des Bundes durchgeführt hat.
Es gibt gute Gründe . . .
Die Gewerkschaft Unia folgert daraus, dass die Unternehmen die Lohnungleichheit ignorieren würden. Und sie liefert einen völlig absurden Lösungsvorschlag. Da Frauen oft Teilzeit arbeiten und auch deshalb weniger verdienen, fordern die Unia-Frauen eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer – bei vollem Lohnausgleich. Der Vorschlag der Gewerkschaft widerspricht jeglicher wirtschaftlichen Logik.
Bei der SP nutzt Tamara Funiciello die Gelegenheit, um striktere Kontrollen zu propagieren. Es sei skandalös, dass grosse Teile der Wirtschaft das Gefühl haben, sie könnten dies einfach ignorieren, schrieb die Co-Präsidentin der SP-Frauen. Unternehmen, die sich nicht an die gesetzliche Pflicht hielten, müssten mit Sanktionen belegt werden.
Doch das greift zu kurz: Nur weil ein Unternehmen die Analyse nicht durchführt oder diese nicht extern prüfen lässt, diskriminiert es noch lange nicht bei den Löhnen. Viele Antwortende haben valable Gründe fürs Abseitsstehen. Einige von ihnen werden in der Studie anonym zitiert.
So schrieb eine befragte Person: «Wir sind eine Schulgemeinde, zu 95 Prozent sind unsere Angestellten Lehrpersonen. (Alles ist) geregelt, vom Kanton vorgeschrieben mit Besoldungstabellen. (. . .) Für uns war die ganze Analyse eigentlich nur viel Aufwand für nichts. Wir konnten schon im Voraus sagen, dass wir gut abschneiden.»
Eine andere Antwort lautete: «Unsere Revisionsgesellschaft hat uns ein Treuhandbüro empfohlen, da haben wir eine Offerte eingeholt. Die war viel zu teuer, 2500 Franken.» Da die Firma in der eigenen Auswertung ein grünes Resultat erhalten hatte, sparte sie sich das Geld.
Die Zitate zeigen: Die Analysen kosten Zeit und Geld, der bürokratische Aufwand ist erheblich. Dieser rechtfertigt sich nur, wenn ein Nutzen entsteht.
. . . und schlechte
Tatsächlich gibt es auch schlechte Gründe fürs Kneifen. So wird in der Analyse eine HR-Mitarbeiterin aus dem verarbeitenden Gewerbe zitiert. Ihr Vorgesetzter habe ihr verboten, die Analyse durchzuführen.
«Ich habe die Analyse dann trotzdem gemacht, da ich ja Zugang zu den Lohndaten habe. Das Ergebnis war ein sehr deutlicher Lohnunterschied zuungunsten sämtlicher Frauen im Betrieb. Ich habe das mit meinem Vorgesetzten thematisiert, er wollte aber nichts ändern. Dann habe ich gekündigt», heisst es in der Studie.
Solche Zustände sind stossend, daran gibt es keinen Zweifel. Doch reflexartig flächendeckende Kontrollen und harte Sanktionen zu fordern, ist nicht sinnvoll.
Man darf davon ausgehen, dass die grosse Mehrheit der Unternehmen ein Interesse daran hat, faire und nichtdiskriminierende Löhne zu zahlen. Viele haben in den vergangenen Jahren eigene Lohnsysteme aufgebaut, um auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein.
Grundsätzlich gilt: Je höher der bürokratische Aufwand ist, desto mehr Ressourcen werden den Unternehmen für produktive Zwecke entzogen. Anstatt starre Anforderungen zu erfüllen, sollte den Unternehmen das «Comply or explain»-Prinzip offenstehen, das aus der Bankenregulierung bekannt ist. Entweder ein Unternehmen erfüllt die Anforderungen, oder es erklärt die Gründe fürs Abweichen.
Auch ohne bürokratisches Sanktionsregime entwickelt sich die Lohngleichheit in die richtige Richtung. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich geschrumpft, und zwar gemäss dem Bundesamt für Statistik von 16,3 Prozent im Jahr 2006 auf 9,5 Prozent im Jahr 2022. Gut die Hälfte des Unterschiedes ist nach dem Modell des BfS erklärbar mit objektiven Faktoren wie beruflicher Stellung, Ausbildung und Branche. Bei dem Rest ist umstritten, was auf potenziell objektive Faktoren zurückgeht, die aber nicht gemessen werden.
Die kleiner gewordene Lücke zeigt zum einen, dass Frauen in der Schweiz heute verantwortungsvollere und damit auch besser bezahlte Positionen einnehmen als früher.
Vielleicht ist die Differenz aber auch deshalb kleiner geworden, weil die Lohngleichheitsanalysen die Aufmerksamkeit in den Chefetagen für die Problematik erhöht haben. So erklärte etwa in der Umfrage ein Unternehmen, dass es nach der Lohnanalyse noch im laufenden Jahr Anpassungen bei den Salären vorgenommen habe. «Das hat übrigens dazu geführt, dass wir die Frauenlöhne angehoben haben.»
Der Bundesrat will momentan keine zusätzlichen Massnahmen ergreifen, erhält aber einen gewissen Druck aufrecht. Ein Bericht zur Wirksamkeit der neuen Vorschrift soll nun nicht erst 2029 präsentiert, sondern auf 2027 vorgezogen werden. Das ist ein guter Kompromiss.
Bis dahin und darüber hinaus sollten die Unternehmen jedes Interesse daran haben, faire Löhne zu zahlen – auch um politischen Forderungen nach mehr Kontrollen und Sanktionen entgegenzuwirken.