Bei der Abstimmungsvorlage für den 9. Februar geht es um Fundamentales: einen Radikalumbau von Wirtschaft und Gesellschaft.
Wir leben gemessen an den Umweltbelastungen weit über unsere Verhältnisse. Ein radikaler Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist dringend. Das sagen die Jungen Grünen, deren Volksinitiative zur Umweltverantwortung am 9. Februar an die Urne kommt. Diesen Donnerstag lancieren Bundesrat Albert Rösti und die Initianten die heisse Phase des Abstimmungskampfs.
Laut der Initiative darf die in der Schweiz verursachte Umweltbelastung spätestens zehn Jahre nach der Annahme «die planetaren Grenzen gemessen am Bevölkerungsanteil der Schweiz» nicht mehr überschreiten. Der Initiativtext nennt als Themengebiete «namentlich» Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag.
Die Initiative erinnert an das Volksbegehren der Grünen zur «grünen Wirtschaft», das 2016 an der Urne mit fast 64 Prozent Nein-Stimmen scheiterte. Jene Initiative enthielt 2050 als Zeitvorgabe. Der neue Vorstoss ist mit der Frist von zehn Jahren weit einschneidender.
Konsumsicht im Vordergrund
So dürften die Schweizer gemäss dem neuen Begehren schon ab 2035 die Umwelt nur noch so stark belasten, dass bei proportionaler Hochrechnung auf die Weltbevölkerung die planetaren Grenzen nicht überschritten wären. Und dies unabhängig davon, was die anderen Länder effektiv machen oder nicht machen.
Für die Berechnung der planetarischen Grenzen gibt es verschiedene Methoden und Blickwinkel. Im Fokus steht typischerweise die Konsumbetrachtung. Entscheidend für die Länderbuchhaltung ist damit nicht der Ort der Produktion, sondern der Ort des Konsums. Wenn also zum Beispiel ein Schweizer Schokoladenproduzent seine Produkte nach Deutschland exportiert, wird die Umweltbelastung der Schokoladeproduktion Deutschland angelastet. Und Schweizer Importe zum Beispiel von Stahl für hiesige Bauprojekte werden der Schweiz angelastet.
Dieser Ansatz erscheint logisch: Der Konsument ist der letztlich entscheidende Verursacher der Umweltbelastung durch die Produktion. Wenn ein Land «schmutzige» Industrien aufgibt, aber im Gegenzug die entsprechenden Produkte importiert, bringt das im Prinzip keine Verbesserung der globalen Umweltbelastung.
Der Mensch übermarcht
Gemäss einer von Greenpeace bestellten Studie von 2023 lebt die Schweiz in diversen Bereichen weit über den planetaren Grenzen. In Sachen Klimawandel schätzt die Studie die Übermarchung auf den Faktor 19. Bei der Biodiversität auf den Faktor 3,8 und in Sachen Wasserverbrauch und Stickstoff jeweils zwischen 2 und 3.
Die bisher letzte vom Bund bestellte Analyse zum ökologischen Fussabdruck der Schweiz enthält Daten bis 2018. Laut dieser Untersuchung hat die Schweiz zwar seit dem Jahr 2000 die Umweltbelastung pro Einwohner um 26 Prozent reduziert, doch das Land liegt aus Konsumsicht immer noch ungefähr um den Faktor 4 über den planetarischen Grenzen. Bei einem Durchschnitt der Konsum- und Produktionssicht wäre es noch etwa der Faktor 3.
Auf Basis dieser Schätzungen müsste die Schweiz gemäss der Volksinitiative bis 2035 ihren Ausstoss von Treibhausgasen um etwa 90 Prozent senken, die Belastung der Biodiversität um über 70 Prozent reduzieren und die Belastung durch Überdüngung um etwa 50 Prozent drücken.
Laut Daten des Global Footprint Network für 2019 ist Afrika der einzige Kontinent, dessen Umweltbelastung unterhalb der planetaren Grenzen liegt. Dies nicht etwa, weil Afrika besonders ökologisch ist, sondern weil der Kontinent besonders arm ist. Der statistische Zusammenhang der Daten ist klar: Je reicher ein Land ist, desto stärker übermarcht es in Sachen Umweltbelastung.
Eine deutliche Senkung der Umweltbelastung dürfte zwar längerfristig für reiche Länder wie die Schweiz möglich sein, ohne dass der Wohlstand auf afrikanisches Niveau fällt. Doch der von der Volksinitiative geforderte Fahrplan mit massiven Senkungen innert zehn Jahren würde einen riesigen Hosenlupf erfordern. Der Bundesrat warnte vor Jahresfrist in seiner Botschaft zur Volksinitiative ans Parlament vor «enormen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten». Und: «Der Wohlstand der Bevölkerung würde sich in der Folge drastisch reduzieren.»
Wohnen, Verkehr, Ernährung
Der Initiativtext sagt nichts zur Art der Umsetzung. Das ist die übliche Taktik von Initianten: Man fordert ein hehres Ziel und versucht, durch Verschweigen der haarigen «Details» zur Umsetzung die Angriffsfläche zu minimieren. Auf ihrer Website liefern die Initianten vor allem Worthülsen. Zum Beispiel: «Die Initiative fordert eine Neuorientierung der Wirtschaft, weg von Grosskonzernen, die nur für ihren eigenen Profit arbeiten, und hin zu mehr Wohl für uns Menschen und Umwelt.» Oder: «Wir investieren in ökologische Infrastruktur wie erneuerbare Energie, Fuss- und Velowege. Ebenso brauchen wir eine Ausbildungsoffensive und die Förderung nachhaltiger Arbeitsplätze.»
Zur Erinnerung: In der Betrachtungsart der Umweltbelastung durch den Initiativtext geht es nicht um die Abschaffung der bösen Grosskonzerne, sondern um eine massive Einschränkung des umweltbelastenden Konsums – zum Beispiel via Verbote oder enorme Verteuerung. Vielleicht ist diesen Donnerstag etwas Konkreteres zu hören.
Gemäss der vom Bund bestellten Studie entfallen rund zwei Drittel der erfassten Umweltbelastungen auf Wohnen, Verkehr und Ernährung. Beim Wohnen betrifft dies gemäss Bundesangaben vor allem die Heizenergie und den Stromverbrauch im Haushalt sowie den Gebäudebau.
Beim Verkehr fallen besonders der fossile Treibstoffverbrauch auf der Strasse sowie Flugreisen ins Gewicht. Und bei der Ernährung sind speziell Fleisch und andere tierische Produkte im Visier. Bedeutend sind zudem auch gewisse weitere Nahrungsmittel aufgrund eines hohen Einsatzes von Pestiziden. Der Bund nennt hier als Beispiele Wein und Kaffee.
Verbote oder Verteuerung
Theoretisch könnte man zum Beispiel Ölheizungen innert zehn Jahren verbieten oder via zusätzliche Lenkungsabgabe so massiv verteuern, dass sich nur noch Millionäre die Sache leisten können. Und man könnte auch Ähnliches beschliessen in Sachen fossile Treibstoffe im Strassenverkehr, Flugreisen und Fleischkonsum.
Klar ist aber, dass mit solchen Massnahmen die Möglichkeiten der Konsumenten stark eingeschränkt wären. Wie schlimm das wäre, müssten wohl letztlich die Bürger entscheiden – wenn es zu Referenden über Gesetzesänderungen zur Umsetzung der Volksinitiative käme.
Die Umsetzung der Initiative hätte auch massive Folgen für den internationalen Handel in der Schweiz. Rund zwei Drittel der erfassten Umweltbelastung durch den Endkonsum in der Schweiz entfallen auf Importe.
Die Welt würde sich nicht an die Schweiz anpassen. Also müsste die Schweiz zur Umsetzung der Initiative den Handel massiv einschränken. Zum Beispiel durch Importverbote oder durch die Einführung eines Umweltbelastungszolls; Letzteres könnte vielleicht noch kompatibel sein mit den Welthandelsregeln, sofern die inländischen Produzenten gleich hohe Belastungen haben. Eine entsprechende Verbilligung von Schweizer Exporten wäre indes gemäss Welthandelsregeln nicht zulässig. Somit wäre wohl mit bedeutenden Exporteinbussen zu rechnen.