Lange sagten die Umfragen den regierenden Sozialdemokraten wenig Chancen auf eine Wiederwahl voraus. Doch Australiens Premierminister Anthony Albanese gelingt eine geradezu spektakuläre Kehrtwende – auch dank Donald Trump.
Mit jeder Stunde, die am Wahlabend verstrich, wurden die Gesichter der Sozialdemokraten strahlender. Als Labor-Chef Anthony Albanese dann vor seine Parteifreunde trat, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Der 62-Jährige bleibt nicht nur australischer Regierungschef, sondern feierte – trotz monatelanger Unsicherheit in den Umfragen – einen eindrucksvollen Sieg über seinen liberal-konservativen Herausforderer Peter Dutton.
«Australien hat sich in einer Zeit globaler Unsicherheit für Optimismus und Entschlossenheit entschieden», sagte Albanese in seiner Siegesrede. Labor erreichte die erforderliche Mehrheit von 76 Sitzen im Repräsentantenhaus mühelos – laut letzten Hochrechnungen dürfte die Partei auf mindestens 85 Mandate kommen.
Für Dutton bedeutet die Wahl eine doppelte Niederlage: Er verlor nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch seinen eigenen Wahlkreis in Queensland. Sein Mitte-rechts-Bündnis steht nun vor einer personellen Neuaufstellung.
Die Wahlbeteiligung war erneut sehr hoch. Vor einigen Wahllokalen bildeten sich am Samstag lange Schlangen. In Australien gilt Wahlpflicht, und regelmässig geben über 90 Prozent der derzeit rund 18,1 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme ab – bei einer Gesamtbevölkerung von 27 Millionen. Gewählt wurden 150 Sitze im Repräsentantenhaus, ausserdem standen 40 der insgesamt 76 Sitze im Senat zur Abstimmung.
Dramatische Kehrtwende
Traditionell spielt Aussenpolitik im Inselstaat Australien kaum eine Rolle an der Wahlurne. Doch bei dieser Parlamentswahl prägte die aggressive Politik von US-Präsident Donald Trump das Geschehen – insbesondere dessen harten Zollmassnahmen, die auch Australien treffen.
Lange sah es danach aus, als könnten die liberalkonservativen Kräfte vom Unmut über explodierende Lebenshaltungs- und Wohnkosten profitieren. Doch dem Oppositionsführer Peter Dutton wurde seine politische Nähe zu Trump zum Verhängnis. Trotz späterer Distanzierung sanken seine Umfragewerte mit dem internationalen Kurswechsel, den Trump nach seiner Rückkehr ins Weisse Haus einleitete.
Premierminister Albanese hingegen, noch vor wenigen Monaten von Kommentatoren abgeschrieben, drehte die Stimmung im Wahlkampf zu seinen Gunsten. Die Umstände spielten ihm dabei ebenfalls in die Karten: Als der Gliedstaat seines Kontrahenten von dem zerstörerischen Sturm «Alfred» heimgesucht wurde, zeigte Albanese Präsenz, während Dutton ein Spenden-Dinner in Sydney besuchte. Die Naturkatastrophe erzwang zudem eine Verschiebung der Wahl – auf ein für die Labor-Partei vorteilhafteres Datum.
Rechtspopulismus scheiterte
Gleichzeitig wurde der Wahlkampf zunehmend von Trumps konfrontativer Aussen- und Wirtschaftspolitik überschattet. Für Dutton wuchs der Druck, da seine rechtspopulistischen Positionen zu Einwanderung, Klimapolitik und Identitätspolitik Parallelen zu Trumps Stil aufwiesen – auch wenn diese, wie der Politikprofessor Paul Strangio von der Monash University in einem Meinungsstück betonte, «eher australischen Ursprungs» seien. Dutton habe die nationale Stimmung verkannt: «Die Australier sind optimistischer, zukunftsorientierter und grosszügiger, als er erwartet hatte. Sie sind weniger ängstlich und weniger paranoid.»
Hinzu kam, dass der Ökonom Albanese im Gegensatz zu Dutton bestens vorbereitet in den Wahlkampf startete. Obwohl der Wahltermin spätestens im Mai erwartet wurde, wirkte das Team des Oppositionsführers «überrascht», wie Mark Kenny vom Australian Studies Institute in Canberra erklärte.
Duttons Vorstoss, Home-Office für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes abzuschaffen, geriet zur Farce – zumal der einstige Polizist selbst vom Hafendomizil in Sydney aus arbeiten wollte. Auch bei der angekündigten Streichung von über 40 000 Stellen im öffentlichen Dienst musste er zurückrudern. Seine von Trump inspirierte Sparpolitik, der Kulturkampf gegen marginalisierte Gruppen und insbesondere gegen indigene Australier und Australierinnen stiessen auf Ablehnung.
Als er den öffentlichrechtlichen Sender ABC und die australische Ausgabe des «Guardian» als «Hass-Medien» beschimpfte, schrillten laut Denis Muller vom Centre for Advancing Journalism «Alarmglocken für die Demokratie». Ähnlich umstritten war Duttons Behauptung, die Grünen seien «antisemitisch und judenfeindlich».
«Stabilität und Verlässlichkeit»
Albanese setzte dagegen auf das Bedürfnis nach Stabilität in «unsicheren Zeiten». Er präsentierte sich bewusst als empathische Person. «Als Führungspersönlichkeit muss man Freundlichkeit und Mitgefühl gegenüber den Schwächsten zeigen. Das gehört zu meinem Charakter», sagte er in einem ABC-Interview. Albanese ist in einer Sozialwohnung in Sydney aufgewachsen, seine Mutter war alleinerziehend. Zudem kündigte er an, im Falle seiner Wiederwahl die volle Amtszeit absolvieren zu wollen und warb für ein Ende der Ära des ständigen Führungswechsels.
Tatsächlich ist Albanese bereits jetzt eine Ausnahmeerscheinung in der australischen Politik. Seit Kevin Rudd 2007 zum Premierminister gewählt wurde, hat kein Regierungschef zwei volle Amtszeiten durchgehend absolviert – weder die Labor-Regierungen unter Rudd und Julia Gillard noch die Regierungen der liberalkonservativen Koalition unter Tony Abbott, Malcolm Turnbull und Scott Morrison. «Früher machte man Witze über das italienische Parlament», so Albanese. Auch Australien sei «ein bisschen so gewesen», mit ständigen Wechseln. «Ich strebe Stabilität und Verlässlichkeit an.»
Zentrale Wahlkampfthemen wie hohe Lebenshaltungskosten und Wohnungsknappheit will Albanese mit einem umfassenden Massnahmenpaket angehen: Erleichterungen beim Erstkauf einer Immobilie, mehr Unterstützung der staatlichen Krankenkasse, Schuldenerleichterungen für Studierende und kostenfreie Ausbildungsmöglichkeiten zählen dazu. Auch aussenpolitisch scheint er besser positioniert: Während das Verhältnis zu China sich seit seinem Amtsantritt stabilisiert hat, geniesst er in Washington wegen Australiens Rohstoffen und strategischer Lage Rückhalt.