Das städtebauliche Durcheinander und die jahrzehntelange Bebauung von Schwemmland haben das Ausmass der Zerstörung vor den Toren Valencias verschlimmert. Politische Konsequenzen will derzeit niemand ziehen.
Selbst zwei Wochen nach den gewaltigen Überflutungen in der Region von Valencia zeigt sich Carlos Mazón, der Präsident der Regionalregierung, nur selten in der Öffentlichkeit. Zu gross sind die Pannen, die ihm und seinen Mitarbeitern am 29. Oktober unterlaufen sind. Dazu gehören die viel zu späte Warnung der Bevölkerung sowie die Tatsache, dass er selbst während der Katastrophe mit einer Fernsehjournalistin bis um 18 Uhr beim Essen sass und entsprechend zu spät zur ersten Krisensitzung erschien.
Neu soll auch die Umweltministerin Schuld sein
Am Wochenende forderten 130 000 Menschen bei einer Demo in Valencia deshalb seinen sofortigen Rücktritt. Doch Mazón lehnt das ab, und seine Partei, der konservative Partido Popular, deckt ihn. Noch immer sucht der 50-Jährige die Schuld bei den anderen, insbesondere bei Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez, der am Tag des Starkregens noch auf Staatsvisite in Indien war.
Auch dessen Umweltministerin Teresa Ribera nehmen die Konservativen ins Visier. Diese habe die Flutkatastrophe nicht ernst genug genommen und sich in Brüssel auf ihre neue Aufgabe als EU-Kommissarin für Wettbewerb vorbereitet, anstatt in Madrid sofort zur Stelle zu sein, heisst es aus dem konservativen Lager. Viermal habe sie an jenem Tag bei Mazón in Valencia angerufen, doch der sei nicht ans Telefon gegangen, hält Ribera dem entgegen.
Ein weiterer Vorwurf lautet, Ribera habe im Jahr 2021 auf Grundlage eines Umweltgutachtens den Umbau eines Flussbettes im heutigen Katastrophengebiet aus Kostengründen gestoppt. Tatsächlich hatte Spaniens Senat, in dem der Partido Popular seit Jahrzehnten die Mehrheit hat, das Projekt schon ein Jahr zuvor blockiert. Der sogenannte «Barranco del Poyo», ein Flussbett, das durch die südwestlichen Vororte Valencias verläuft, war mitverantwortlich für die Überschwemmungen, die bisher mehr als 220 Menschen das Leben kosteten und zwei Dutzend Vermisste forderten.
In die Kritik britischer und deutscher Medien gerieten auch Vorgaben der EU, die europaweit die Renaturierung von Flüssen fördert. Hier scheiden sich allerdings die Geister. Denn durch Renaturierungsmassnahmen lassen sich Überschwemmungsflächen wiederherstellen und damit Hochwasserspitzen reduzieren.
Doch auch Stauseen und Flussumleitungen können sinnvoll sein, wie das Beispiel der Stadt Valencia zeigt. Nach einer verheerenden Überschwemmung am 14. Oktober 1957 beschloss der damalige Diktator Francisco Franco, das Flussbett des Turia, der damals mitten durch die Stadt verlief, zu verlegen, um künftige Hochwasserkatastrophen zu verhindern. Die Bauarbeiten – eine der grössten ingenieurtechnischen Leistungen des Regimes – dauerten über zehn Jahre und wurden teilweise durch den Verkauf von Sonderbriefmarken finanziert.
Im Zweifel für den Tourismus und gegen die Umweltauflagen
Valencia ist nicht die einzige Region, die immer wieder von schweren Regenfällen und Überschwemmungen heimgesucht wird. Laut Angaben des Umweltministeriums leben 2,7 Millionen Spanier in überflutungsgefährdeten Gebieten. Verantwortlich dafür sind die Bebauungspläne der Rathäuser, die darauf abzielen, die strengen staatlichen Vorschriften zu umgehen, die erstmals 2008 eingeführt und 2015 noch einmal verschärft wurden.
Die Probleme gehen bereits auf die 1960er Jahre zurück, als das städtebauliche Durcheinander in Spanien seinen Anfang nahm. Die Situation verschlimmerte sich mit dem Tourismus, der an der Küste binnen kurzer Zeit zum wichtigsten Wirtschaftssektor wurde. Besonders in der Region Valencia wurden im Schwemmland bedenkenlos Gebäude gebaut, vielfach entstanden Wohnungen direkt neben Flussläufen.
Doch einige Bürgermeister scheinen aus der Katastrophe lernen zu wollen. So beschloss José Luis Sanz, der Bürgermeister von Sevilla, auf eine geplante Wohnsiedlung am Ufergelände des Guadalquivir nach dem Drama von Valencia zu verzichten. Ganz anders auf den bei Touristen beliebten Balearischen Inseln: Dort will die Regierung alle Häuser, die illegal auf Schwemmland gebaut wurden, legalisieren.